90 Jahre nach dem Ermächtigungsgesetz am 24. März 1933
• Wie konnte das damals geschehen?
• Welche Lehren ziehen wir daraus heute?

Fr. 24. März 2023, Beginn: 19.00 Uhr
Nachbarschaftszentrum Westend

Für das Podium hatten zugesagt die Direktkandidat*innen für die Landtagswahl:
Cirsten Kunz (SPD),
Emely Green (B 90 Die Grünen),
MdL Dr. Matthias Büger (FDP),
Christiane Ohnacker (Die Linke),
Oliver Förster (Die Partei);
und Klaus Breidsprecher
i.V. für den verhinderten MdL Frank Steinraths (CDU). Alle waren auch anwesend und diskutierten in der von Klaus Pradella (hr) moderierten Podiumsdiskussion zum Thema. In den nachfolgenden Aufklappfeldern finden Sie einen Bericht, eine Fotostrecke, das Programm und sonstige Einzelheiten zu dieser Veranstaltung, an der rund 40 Personen teilnahmen.

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Warum ist der Rückblick auf die die Ereignisse rund um das Ermächtigungsgesetz so wichtig, um heute – 90 Jahre danach – für die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie Schlüsse ziehen zu können?

Am 20. Januar 1933 wurde Adolf Hitler durch den Antidemokraten, aber als Reichspräsident gewählten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. In den darauffolgenden Monaten zementiert Adolf Hitler seine Macht. Zehn Wochen später schafft sich der am 5. März neu gewählte Deutsche Reichstag am 24. März mit Hilfe des »Ermächtigungsgesetzes« selbst ab und überträgt all seine Befugnisse auf die Reichsregierung.

Der eine Woche vor der Reichstagswahl inszenierte Brand des Reichstagsgebäudes am 27. Februar wurde zum Anlass genommen, mit der »Reichstagsbrandverordnung« wichtige Grundrechte außer Kraft zu setzen und den Terror gegen die linken Kräfte zu legalisieren. Die Wahlen am 5. März brachten der NSDAP aber nicht die absolute Mehrheit, die sich Hitler mit dem Terror gegen die anderen Parteien erhofft hatte.

Das »Ermächtigungsgesetz« vom 24.03.1933 wurde nur deshalb beschlossen, weil die bürgerlichen Parteien dem Gesetz zugestimmt haben und zuvor die 81 Stimmen der KPD-Abgeordneten annulliert wurden. Gegen das Gesetz stimmten einzig die Sozialdemokraten.

Diese Entwicklung wurde lange gemäß des von Joseph Goebbels geprägten Begriffs »Machtergreifung« genannt – auch in der Forschung nach 1945. Inzwischen wird von vielen in der historischen Profession »Machtübergabe« oder »Machtübertragung« bevorzugt.

Anlässlich der Hessischen Landtagswahl im Herbst 2023 wollen wir in dieser Podiumsdiskussion mit von den demokratischen Parteien nominierten Kandidaten*innen diskutieren, wie das vor 90 Jahren geschehen konnte und fragen, was wir heute tun müssen, damit sich derartiges nicht wiederholen kann.
Nach einem kurzen illustrierten Rückblick der reichsweiten und lokalen Ereignisse vor 90 Jahren sollen in einer ersten Diskussionsrunde zunächst die historischen Ereignisse im Mittelpunkt stehen, in einer zweiten dann die aktuellen Herausforderungen.

Zitat von Adolf Hitler zur Machtübertragung 1933

19:00 Uhr Eröffnung und Begrüßung
19:05 Uhr Illustrierte Einführung zu den Ereignissen zwischen Sommer 1932 und 1933
19:15 Uhr 1. Diskussionsrunde mit den Landtagskandidat*innen zu den Ereignissen vor 90 Jahren
20:00 Uhr Pause
20:10Uhr 2. Diskussionsrunde mit den Landtagskandidat*innen zur Frage, wie die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie gestärkt werden kann
20:55 Uhr Ausklang der Veranstaltung

Für die Bilder mit Ablichtung des Podiums, v.l.n.r.: Vorn auf dem Podium v.l.: Oliver Förster (Die Partei), Christiane Ohnacker (Die Linke), MdL Dr. Matthias Büger (FDP), Evelin Green (B90-Die Grünen), Cirsten Kunz (SPD) und Klaus Breitsprecher (CDU). Ganz rechts auf dem 2. Bild: Klaus Pradella (Moderation) © Bilder: Ernst Richter

Von Klaus Petri

Die Verabschiedung des sogenannten »Ermächtigungsgesetzes« am 24. März 1932 mit einer Zweidrittelmehrheit der Reichstagsabgeordneten gilt als Tief- und Schlusspunkt der parlamentarischen Demokratie nach eben mal 14 Jahren Weimarer Republik. Aus diesem Anlass hatte der Verein Wetzlar erinnert e.V. die Wahlkreis-Kandidatinnen und -kandidaten zur hessischen Landtagswahl am 8. Okt. in das Nachbarschaftszentrum Westend zu einem Podiumsgespräch eingeladen, moderiert von hr-Reporter Klaus Pradella. In einer ersten Runde ging es um Ursachenanalyse des Scheiterns der Demokraten und des Triumphes der NS-Bewegung.  Der Vorsitzende von Wetzlar erinnert e.V., Ernst Richter, hatte eingangs per Lichtbild-Vortrag viele lokale Bezüge aus der Endphase der Weimarer Republik aufgezeigt.

Die CDU hatte – als Vertreter für MdL Frank Steinraths – ihr »Urgestein« Ex-Bürgermeister Klaus Breidsprecher aufs Podium geschickt. Cirsten Cunz (SPD), Emely Green (GRÜNE), MdL Dr. Matthias Büger (FDP), Christiane Ohnacker (LINKE) und Oliver Förster (DIE PARTEI) komplettierten die Gesprächsrunde. Weitgehend Einigkeit bestand darin, dass wirtschaftliche Krisen und Notlagen als Folge der Kriegsniederlage ebenso wie fehlende demokratische Traditionen (»Demokratie ohne Demokraten«) und die Zerstrittenheit der Parteien den Aufstieg der Nazis begünstigt haben.

Breidsprecher nannte die Revolutionsfurcht des Bürgertums (»Sowjetunion als abschreckendes Beispiel«), das Verlangen nach Sicherheit und die Kontinuität der Eliten sowie des Großmachtgedankens als weitere Faktoren. Dr. Büger sah in der Weltwirtschaftskrise 1930/32 einen »Brandbeschleuniger«, zudem habe sich die Unfähigkeit zum Kompromiss fatal ausgewirkt und das westliche Demokratiemodell sei bei nicht wenigen als von den Siegermächten aufgenötigt empfunden worden. Christiane Ohnacker konstatierte rückblickend einen »schleichenden Prozess der Demokratiezerstörung« und verwies dabei auf die Rolle von »Hinterzimmer-Gesprächen« und finanzkräftigen Förderern bei der Inthronisierung Hitlers als Reichskanzler. Oliver Förster attestierte den Nazi-Größen demagogisches Geschick, zudem hätten sich die Siegermächte Illusionen darüber gemacht, was mit dem Siegeszug der Nazis auf Deutschland und dann auf ganz Europa zukommen würde.

Der letzte ranghöchste Repräsentant der Weimarer Republik war der 1932 erneut im Amt des Reichspräsidenten bestätigte 85-jährige Ex-Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, bis Kriegsende Repräsentant der »Oberste Heeresleitung (OHL)« genannten kaiserlichen Militärdiktatur. Cirsten Kunz sprach in dem Zusammenhang davon, dass viele Menschen in der Weimarer Republik der Kaiserzeit nachgetrauert hätten. Zudem sei »schrägen Thesen« – wie etwa der »Dolchstoß-Legende« – nicht energisch genug entgegengetreten worden. Wahnsinnige Deutungen und Phantasien, wie sie Adolf Hitler bereits 1923 in »Mein Kampf« entwickelt, wurden wenige Jahre später mehrheitsfähig und geschichtsmächtig.

»Wie konnte das geschehen? Waren die Menschen damals blind und taub?«, stellte Klaus Pradella als Frage in den Raum. »Viele versprachen sich persönliche Vorteile ›Dritten Reich‹ und ignorierten den damit verbundenen Terror«, merkte Evelyn Green an. Dr. Büger verwies auf die mit dem Begriff »Volksgemeinschaft« verbundenen Beiklang: »Das hebt das Selbstwertgefühl des Einzelnen«. Cirsten Kunz sprach vom »einfachen Narrativ von Gut und Böse«, die Nazis hätten vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Gemengelagen versprochen. Breitsprecher nahm Bezug auf den »umfassenden Zugriff auf Kinder und Jugendliche« nach der 1933 eingeleiteten Gleichschaltung der deutschen Gesellschaft unter dem NS-Diktat. Die gelernte Krankenpflegerin Ohnacker erinnert sich an frühere Unterhaltungen mit Kriegsteilnehmern: »Die hatten die Illusion, Gutes zu tun. Es gehörte damals viel Scharfsinn und Mut dazu die Inszenierungen der Machthaber zu durchschauen und zu widersprechen«.

In einem zweiten Teil der zweieinhalbstündigen, von rund 40 Gästen besuchten Veranstaltung ging es um die Frage, wo es heute Gefährdungen der Demokratie gebe und wie man denen angemessen und wirksam begegne. »Wir haben heute in der deutschen Gesellschaft eine andere Sozialstruktur als vor hundert Jahren. Es gibt die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Die Demokratie basiert auf Menschen, die ›dafür‹ sind«, befand der FDP-Vertreter. Christiane Ohnackers Befund fällt hier deutlich skeptischer aus: »Demokratie-Verachtung hat doch längst die sog. ›Mitte der Gesellschaft‹ erreicht«. Für Evelyn Green ist »eine gute Politik der beste Weg, antidemokratische Kräfte kurzzuhalten«. Oliver Förster landete darauf den Konter: »Ist es nicht eher so, dass im aktuellen Bundestag frische, junge, oft weibliche Gesichter die überholte Politik der alten weißen Männer fortsetzen?!«

Für Cirsten Kunz ist die Erfahrung wichtig, dass – gemäß dem Sprichwort »sich regen bringt Segen« – von jungen Leuten die Veränderbarkeit ihrer Lebensumstände erkannt und aktiv in Angriff genommen wird. Sie verwies in dem Zusammenhang auf die Beispielfunktion von kommunalen Jugendparlamenten. SPD und FDP machen sich in einer gemeinsamen Landtagsinitiative für die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre stark. Dass Medienkompetenz, politischer Bildung und kulturellen Angeboten für junge Leute eine große Bedeutung zukommt, war unter den Diskutanten unstrittig.

Auf eine Frage aus der Zuhörerschaft, ob nicht auch die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich – ähnlich wie in der Weimarer Republik – ein erhebliches Gefährdungspotential mit sich bringe, fielen die Antworten indes kontrovers aus. Dr. Büger warnte vor »Neid-Debatten«, Breidsprecher vor einer Schmähung von Leistungsträgern und Angehörigen der Elite. Christiane Ohnacker berichtete aus ihren Erfahrungen am Arbeitsplatz: »Armut kann man nur mit auskömmlichen Löhnen entgegenwirken. Ich hatte jetzt ein Gespräch mit einer Kollegin in Vollzeitpflege. Ihr Nettolohn liegt knapp über dem Mindestlohn. Mit all den Preissteigerungen kommt sie vorne und hinten nicht mehr hin.«

Der konservative CDU’ler Breitsprecher zeigte sich verwundert, dass kein Vertreter der AfD auf dem Podium sitze. »Haben Sie die etwa nicht eingeladen? Wir anderen sollten denen von Angesicht zu Angesicht entgegentreten und so ihre kruden Thesen entlarven«. Ernst Richter gab für die Veranstalter zur Antwort: »Wir haben uns heute intensiv damit befasst, wie völkischer Aberglaube, wenn man ihm nicht entschieden die Einfallstore versperrt, innerhalb kurzer Fristen in Ausgrenzung, Entrechtung, Terror, Krieg und Massenmord enden kann. Es gilt, den Anfängen zu wehren. Für Demagogen, Rassisten und Anhänger eines völkisch verstandenen Deutschtums gibt es deshalb keinen Platz auf unserem Podium.«

Die Kandidat*innen zur Landtagswahl erhielten von uns nachfolgende Fragen zugestellt, die in den zwei Diskussionsrunden thematisiert werden sollen:

1. Runde:
Rückblick auf die Ereignisse vor 90 Jahren:

  • Wie erklären Sie sich, dass die Eliten aus Wirtschaft, Finanzwelt und Medien zu einem großen Teil der NSDAP als Steigbügelhalter zur Macht verhalfen?
  • Welche Faktoren haben es begünstigt, dass Millionen von Menschen die faschistische Bewegung als einen Aufbruch in eine neue und bessere Zeit empfunden haben?
  • Wieso konnte dieser Prozess der Machtübertragung seit dem Preußenputsch von 1932, über die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler bis zum Ermächtigungsgesetz so reibungslos und ohne großen Widerstand erfolgen, bei dem kein Staatsanwalt und kein Richter eingriff?

Nach der Pause, 2. Runde:
Die Herausforderungen heute:
Folgende Themenschwerpunkte sollen u.a. eine Rolle spielen:

  • Was brauchen wir, damit Rechtspopulisten, Reichsbürger, Schwurbler und Neonazis keinen Zulauf und Stimmenzuwächse bei den Wahlen erhalten? Welche Reaktionen, Maßnahmen gab es in den Parteien bisher, reichte dies aus?
  • Welche konkreten Maßnahmen haben Sie und Ihre Partei vor, um dies zu erreichen? Wie müssen sich Parteien verändern?
  • Was wollen Sie tun, dass nicht noch mehr Menschen Opfer von Hass und Gewalt werden? Wie sollen Rassismus und Antisemitismus bekämpft werden, reichen die bisherigen Schritte aus?
  • Wie wollen Sie und Ihre Partei das Engagement derer fördern, die sich für Demokratie, Menschenrechte und gegen Gewalt in Hessen engagieren? In welchen Bereichen muss diesbezüglich besonders viel passieren?
  • Spielen dabei die Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen eine Rolle? Und wenn ja: Welche Förderung sollen diese für ihre künftig Arbeit durch das Land Hessen erhalten?
  • Was halten Sie für wichtig?

Der Moderator behält sich vor, je nach Antworten und Erwiderungen diese Fragenpalette zu modifizieren.