Gedenktafelenthüllung im Kreishaus

Lahn-Dill-Kreis erinnert an Zwangsarbeiter
4.500 Menschen in 26 Lagern sollen nicht in Vergessenheit geraten

Film von hessencam von der Tafelenthüllung

Bericht von der Enthüllungsveranstaltung

Im Foyer des neuen Kreishauses erinnert seit dem 31. März 2016 eine Gedenktafel an die Menschen, die zwischen 1939 und 1945 aus ganz Europa verschleppt wurden und im Kreis Wetzlar und dem Dillkreis Zwangsarbeit leisten mussten.

Landrat Wolfgang Schuster (SPD) und Ernst Richter, Vorsitzender des Vereins »Wetzlar erinnert«, enthüllten gemeinsam die gut sichtbar angebrachte Gussplakette, die auf einstimmigen Beschluss des Kreistages im vergangenen Sommer entstand. »Zum Abschluss der Wahlperiode des alten Kreistages wollen wir heute diese Erinnerungstafel präsentieren, die der Menschen gedenkt, die hier als Zwangsarbeiter tätig waren«, so Schuster. »Wir wollen die 4.500 Menschen nicht vergessen, die in den Baracken von 26 Lagern im Stadtgebiet, auch hier, wo unser neues Gebäude steht, untergebracht waren.«

Bewusst habe man auf eine Skulptur vor der Tür verzichtet. »Wer weiß, was damit geschehen wäre«, so der Landrat, der Ernst Richter und der Kreistagsvorsitzenden Elisabeth Müller (CDU) dafür dankte, dass sie die Realisierung des von Beatrix Egler (SPD) formulierten Antrags gemeinsam auf den Weg brachten. »Hier im Foyer hat die Tafel einen guten Platz gefunden – jeder muss an ihr vorbei.«

»Gedenktafel soll Wirkung eines Stolpersteins haben«
Elisabeth Müller erzählte von einem Gespräch mit einer Frau, die sich an die Zwangsarbeiter mit den Worten »Die waren alle egal« erinnerte. »Das bedeutet, sie waren alle gleich gekleidet, hatten den Kopf rasiert, hatten keine Persönlichkeit und wurden von den Einheimischen verachtet«, so Müller. »Diese Menschen galten nichts. Viele erlebten schlimme Zeiten, was sich durch das ganze 20. Jahrhundert zog und auch Kriegsgefangene betraf: Hier wurden Menschen bestraft, die mit mussten ohne sich wehren zu können.«

Ein Bild aus Hans-Georg Waldschmidts »Erkennen Sie Wetzlar« hatte für sie den Ausschlag gegeben: spielen-de Kinder vor einer Baracke am heutigen Kreishausstandort. »An diese Zeit muss erinnert werden und diese Gedenktafel soll die Wirkung eines Stolpersteins haben, der gut sichtbar angebracht, jedem in den Blick fällt«, schloss Müller.

Ein Leser hatte sich an die Holzbaracke an der heutigen Moritz-Hensoldt-Straße erinnert, die von der AWO als Kindergarten genutzt wurde und im Zweiten Weltkrieg als Unterkunft für die Zwangsarbeiter der Firma Hensoldt diente. Im Stadtgebiet waren damals in 26 Lagern und mehreren hundert solcher Baracken bis zu 4.750 Fremdarbeiter untergebracht. »Das heutige Stadion und die gesamte Lahninsel bestand aus Lagern, mindestens die Hälfte der Menschen lebten in Baracken«, so Richter.

Der damalige Landrat hatte an die geheime Staatspolizei in Frankfurt 9.575 „im Dienstbereich wohnhafte Ausländer“ aus 25 Nationen gemeldet. „Auf drei Deutsche kam ein Fremdarbeiter –indem Maße, wie die deutschen Männer an die Front geschickt wurden, war die Rekrutierung von Ersatzkräften nötig«, erläuterte Richter.

Die meisten der hiesigen Zwangsarbeiter*innen hießen in der Amtssprache »zivile Fremdarbeiter« und wurden zur Arbeit in den Rüstungsbetrieben gezwungen. »Wetzlarer, die nach dem Krieg erklärten, sie hätten von nichts gewusst, können nicht hier gelebt haben, denn die Straßen waren morgens und abends voll von Kolonnen bewachter Zwangsarbeiter“, so Richter, der die Anfänge der Zwangsarbeit mit dem Modell der Gastarbeiter verglich. Denn ab 1939 warb nach einem Abkommen von Mussolini und Hitler das deutsche Reichsarbeitsamt im faschistischen Italien »Fremdarbeiter« an, die beim Aufbau des VW-Werks in Wolfsburg, aber auch bei Leitz zum Einsatz kamen. Bei Röschling-Buderus wurden auch sowjetische Kriegsgefangene als Arbeitskräfte eingesetzt.

Mit dem Überfall auf andere europäische Länder kamen diese Menschen, die anstelle der als Soldaten gezogenen deutschen  Arbeiter in rüstungs- und kriegsrelevanten Betrieben die Produktion aufrechterhalten sollten nach Deutschland. Rund 12 Mio. Menschen reichsweit, rekrutiert durch die SS und von dieser gegen Gebühr an die deutschen Unternehmen vermietet. Sie wurden vor allem aus Osteuropa verschleppt und in Güterwagons ins Reich gekarrt. Die nach der NS-Rassenideologie als »Untermenschen« betrachtete slawischen Bevölkerungsgruppen wurden wie der letzte Dreck behandelt. Gegen Ende des Krieges wurden die Rekrutierungsmethoden der SS immer brutaler: »Die Leute wurden auf offener Straße mit Waffengewalt auf Lastwagen gezwungen und mit der Bahn nach Deutschland verschleppt, ohne dass sie ihrne Angehörigen Bescheid geben konnten, wo sie nun waren,« skandierte Richter die Situation.

Unmenschlich waren die beschriebenen Verhältnisse und viele Menschen fanden den Tod. Anfangs wurden Arbeitsuntaugliche ohne ärztliche Versorgung nach Hause abgeschoben, später nach Hadamar gebracht und getötet. »Diese Vorkommnisse haben dazu geführt, dass im Artikel eins unseres Grundgesetzes, die Würde der Menschen und nicht der Deutschen unantastbar ist«, so Richter. Selbst vorm Einsatz von Kindern als Arbeitssklaven schreckte man nicht zurück. Auf dem Niedergrimeres Friedhof dokumentieren ein Vielzahl von Grabplatten im Areal des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge den Tod von Zwangsarbeiter*innen, darunter auch gemäß der Geburts- und Todesjahre auch Kinder.

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