1942:
Die rote Armee startete den Gegenangriff!
Die rote Armee startete den Gegenangriff!
Ab 1942 sah es an der russischen Front schon ganz anders aus. Zwar wurden im Süden noch territoriale Gewinne getätigt und Stalingrad eingenommen, doch an anderen Frontabschnitten hatte der blutige Abwehrkampf begonnen.
Unser Zeitzeuge Fritz Donsbach schrieb dazu im Januar 1942: »Ihr werdet wohl schon allerhand gehört haben, was hier an der mittleren Ostfront vorgekommen ist. Die volle Wahrheit wisst ihr ja doch nicht. Ich selber kann euch jetzt auch nicht viel davon schreiben. Wir sind wieder soweit in Sicherheit. Wir waren über Weihnachten eingekesselt. Was wir in den letzten drei Wochen erlebt haben, übertrifft alles Vorherige. Auf diesem Rückzug haben wir ein Elend gesehen, wie es viel schlimmer Napoleon nicht ergangen sein kann. In den nächsten Tagen gehen wir wohl wieder zurück. Wie weit noch?« Resignation und Hoffnung wechselten sich an der Front ab. So schrieb er wenig später: »Die Lage ist ziemlich günstig. Die Verpflegung kommt ganz gut nach.« Und der starke Frühjahrsregen und Schlamm führten zu einer relativen Ruhe an der Front, da sämtliche motorisierten Kräfte stillstanden. Die schwierige Versorgung und die allgegenwärtigen Partisanen machten den deutschen Soldaten aber selbst 120 Kilometer hinter der Front schwer zu schaffen. Fritz schrieb: »Es scheint so, als wenn wir für längere Zeit liegen bleiben sollten […]. Wir sind über 5 Wochen fast nur mit Flugzeugen verpflegt worden. Hafer, Heu, Brot und alles was man so braucht wurde von Flugzeugen abgeworfen. Nach 3 Marschtagen von 120 km sind wir weiter rückwärts gegen die Partisanen eingesetzt. In Russland ist ja überall Front.«
Kriegsgefangene (Foto: Friedrich Donsbach, Juli 1942 © Birgit Kunz, Merkenbach)
Terror prägt die Kriegsführung der Deutschen
In den besetzten Gebieten gingen derweil die Kriegsverbrechen weiter. Um die Annexion vorzubereiten sah die menschenverachtende NS-Politik vor, die Gebiete wirtschaftlich zu ruinieren und die Bevölkerung auszuhungern, zu vertreiben oder zur Zwangsarbeit zu zwingen.
Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) kam inzwischen zu der Einsicht, dass der völlig unterschätzte Gegner noch lange nicht besiegt war – im Gegenteil. Gegen die Überlegungen des OKW entschied Adolf Hitler, dass allein eine weitere deutsche Offensive die sowjetischen Kräfte entscheidend schwächen könne. Allerdings war selbst von ihm aufgrund des langen Frontverlaufes und wegen der bisherigen hohen personellen und materiellen Verluste der Wehrmacht an eine sich über die gesamte Front erstreckende Großoffensive nicht mehr zu denken. Also wurde die Sommeroffensive Richtung Kaukasus und der dortigen reichen Ölquellen geführt, während in Mitte und Nord eine relative Konsolidierung vorgenommen wurde.
Erhängte »Partisanen« (Foto: Donsbach, Juli 1942 © Birgit Kunz, Merkenbach)
Systematische Ermordung der Juden
In den besetzten Gebieten ging derweil das größte Kriegsverbrechen dieses Feldzuges, die systematische Ermordung der Juden, weiter.
Bereits zwei Tage nach dem Überfall auf die Sowjetunion waren alle erwachsenen männlichen Juden einer Ortschaft von SS-Einsatzgruppen erschossen worden und in den ersten sechs Wochen waren Massenmorde an hunderten bis tausenden Personen bei jedem Einsatz gefolgt. Am 15. Juli 1941 waren erstmals alle Juden einer Ortschaft und beim Massaker von Kamenz-Podolsk am 29./30. August 1941 in Absprache mit der Wehrmacht alle Juden einer größeren Stadt ermordet worden. Während bis Frühjahr 1942 bereits die meisten Juden im Generalgouvernement in Vernichtungslagern ermordet worden waren, wurden die Massen-Erschießungen nun in den besetzten Gebieten der Sowjetunion fortgesetzt.
Operation Barbarossa 1942: In Kereh in der Ukraine wurden an einem Tag 7.000 Juden ermordet, darunter alte Männer, Frauen und Kinder (Kereh, Ukraine, 1942, Bodies of the murdered, © Yad Vashem, 4331/16)
Knochenfunde aus Massengrab, welches 1946 in der Ukraine entdeckt wurde (Utena, Lithuania, 1946, Interment of murder victims’ bones in a mass grave; © Yad Vashem 4085/7)
Dabei mögen sich auch Männer aus unserer Region mitschuldig gemacht haben wie der SS-Untersturmführer Hans Forstbauer aus Braunfels, der der SS-Division »Das Reich« angehörte, die im Sommer 1941 im Raum Minsk die Einsatzgruppe B bei systematischen Massenmorden unterstützte. Auch bei SS-Sturmmann Heinz Gelbing, ebenfalls aus Braunfels, ist die Verstrickung in Gräueltaten seiner Einheit unbekannt. Sein Panzergrenadier-Regiment erlangte allerdings schreckliche Berühmtheit durch die Beteiligung am Massaker von Oradour in Frankreich 1944. Interessant ist hier die Darstellung seines Neffen, zeigt sie doch, wie zerrissen die Familien in dieser Zeit waren:
»Als ich 60 Jahre alt wurde, entdeckte ich durch Zufall zwei Aktenordner mit Briefen meines toten Vaters. Da las ich dann auch von meinem Onkel Heinz, dass und wie er ums Leben kam, dass er im Panzer verbrannte, in Russland. Ich finde es tragisch, so einen jungen Mann zu sehen, der das ganze Leben noch vor sich hat, und dann einfach ausradiert, weg, als hätte nie ein Leben stattgefunden. Da stand dann [aber] auch drin, dass [mein Vater] in Wiesbaden in einem Haus von der SS ist, dass er nichts damit zu tun hat, dass er abgelehnt hatte befördert zu werden, dass er Eingaben überall hingeschickt hatte mit der Bitte, aufhören zu können. Er schrieb in jedem Brief verzweifelt, dass er total anders denke als seine Kameraden. Er schrieb, lieber Gott, schick einen Engel, der dieses sinnlose Blutvergießen beendet.«
Unsere Zeitzeugen schienen von diesen Gräueln nichts zu bemerken, oder wollten es nicht, oder wagten nicht darüber zu berichten. Der Bauernsohn Fritz Donsbach gerät bei den Böden im besetzten Gebiet ins Schwärmen: »Das Korn ist mannshoch. So einen Boden müsste man zu Hause haben. 200 Morgen und man wäre ein reicher Mann. Wenn das Getreide alle geerntet wird, dann gibt es zu Hause bestimmt im nächsten Jahr mehr Brot […]. Wegen der Ernte braucht ihr euch nicht so viel Sorge zu machen. Wenn das Getreide zum großen Teil wenigstens abgeerntet wird was hier steht, dann kann jeder satt Brot essen.«
Ein Zeichen dafür, dass auch er wohl das Konzept zur Gewinnung von »Lebensraum im Osten« zumindest nachvollziehen konnte und davon ausging, dass die Ernte den Deutschen gehört.
Ein Zeichen dafür, dass auch er wohl das Konzept zur Gewinnung von »Lebensraum im Osten« zumindest nachvollziehen konnte und davon ausging, dass die Ernte den Deutschen gehört.
Um die Annexion vorzubereiten sah die menschenverachtende NS-Politik vor, die Gebiete wirtschaftlich zu ruinieren und die Bevölkerung auszuhungern, zu vertreiben oder zur Zwangsarbeit zu zwingen. Dementsprechend waren die Lebensmittelrationen für die Einheimischen in den Ostgebieten unter das Existenzminimum reduziert worden. Hunderttausende verhungerten in ihren fruchtbaren Heimatländern.
Hunger und Zwangsarbeit folgen
In den besetzten Gebieten gingen derweil die Kriegsverbrechen weiter. Um die Annexion vorzubereiten sah die menschenverachtende NS-Politik vor, die Gebiete wirtschaftlich zu ruinieren und die Bevölkerung auszuhungern, zu vertreiben oder zur Zwangsarbeit zu zwingen.
In ihrer Not glaubten zunächst Viele der deutschen Propaganda, die ausländischen Arbeitskräften ein Leben ohne Mangel in Deutschland vorgaukelte, und meldeten sich freiwillig für einen Reichseinsatz. Aber die Euphorie verflog schnell und die Besatzungsmacht griff auf längst vorgesehene Zwangsmaßnahmen zurück. Alfred Rosenberg, Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, hatte bereits im Dezember 1941 alle Männer bis zum Alter von 65 Jahren und Frauen zwischen 15 und 45 Jahren verpflichtet, Arbeiten für die Besatzer zu verrichten. Nun wurden einheimische Amtsträger mit den Rekrutierungen der verfügten Kontingente an „Ostarbeiter*innen“ beauftragt. Deutsche Besatzer griffen Passanten auf offener Straße, Teilnehmer von Festen und Gottesdienstbesucher auf und brachten sie zu den Sammelstellen. Wenn ein Dorf die geforderten Kontingente nicht erbrachte, mussten die Einwohner mit heftigsten Strafen rechnen, bis zum Niederbrennen des gesamten Dorfes.
An ihren Zielorten angekommen, wurden die Ostarbeiter abgesondert von den anderen Fremdarbeitern in eigenen mit Stacheldraht umzäunten Lagern untergebracht. So auch Tomasz Kiryllow, der als 17jähriger nach Wetzlar in das Lager der Firma Pfeiffer Apparatebau verschleppt worden war. Er schrieb über diesen dramatischen Lebenseinschnitt: »Mit zitternden Händen packte Mama meine Sachen in ein Holzköfferchen und weinte still […]. Aus den nahegelegenen Dörfern kamen die Eltern, um ihre Kinder zu verabschieden. Eine lange Kolonne zog die Straße entlang, die zum Bahnhof führte. Auf dem Eisenbahngleis warteten Güterwagen auf uns. Wir stiegen, Jungen und Mädchen getrennt, in die Waggons. […] Der Transport ging ununterbrochen westwärts. Die Waggons waren mit Menschen vollgestopft.«
Mit Beginn des Russlandfeldzuges waren alle Männer zwischen 16 und 45 Jahren, soweit k.v. (kriegsverwendungsfähig) und in der Heimat entbehrlich, zum Militärdienst eingezogen worden. Auch der Einsatz junger Frauen, die die Arbeit der Männer übernommen hatten, hatten den Arbeitskräfte-Mangel nicht beheben können, auch nicht in der zum Teil kriegswichtigen Wetzlarer Industrie. Dementsprechend wurden im Altkreis Wetzlar in den letzten Kriegsjahren 8.000 bis 10.000 Zwangsarbeiter*innen eingesetzt, davon rund 5.000 »Ostarbeiter*innen«! Tomasz aus Weißrussland war nur einer von ihnen.
Die Produktion von »Kanonenfutter« ging in Wetzlar auch während des Krieges weiter – und ein ganzes Bataillon des Fahnenjunker-Grenadier-Regiments wurde im letzten Aufbäumen gegen den sowjetischen Vormarsch verheizt.