Gedenktafel
zu Ehren von Ernst Leitz II
als Demokrat und Lebensretter
zu Ehren von Ernst Leitz II
als Demokrat und Lebensretter
Ein Unternehmer und Demokrat,
der die Nationalsozialisten verachtete
und viel riskierte, um anderen zu helfen
Ernst Leitz II (*1871, †1956) wurde Kaufmann im väterlichen Betrieb und nach dem Tod seines Vaters 1920 Alleingesellschafter der Leitz Werke. Er war Mitglied der linksliberalen DDP und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, einer Organisation zur Verteidigung der Weimarer Republik.
Während der NS-Diktatur setzte er sich für verfolgte, insbesondere jüdische Mitbürger*innen ein. Er nutzte seine Spielräume, um ihnen einen Arbeitsplatz zu bieten oder sie mit Aufträgen zu unterstützen. Später verhalf er ihnen unter Einbindung der Tochtergesellschaften zur Flucht ins Ausland, insbesondere in die USA. Er gab ihnen die notwendigen Papiere, oft auch Geld oder eine Leica als Startkapital für ein neues Leben mit auf den Weg. Über 80 Fälle dieser Hilfeleistungen wurden erst nach seinem Tod aufgedeckt.
1941 trat er in die NSDAP ein, um die drohende Enteignung des Unternehmens abzuwenden.
Inhaltsverzeichnis Gehe direkt per Klick zu …
- Der Lebensweg von Ernst Leitz II und die Entwicklung seiner Firma
- Sein Engagement für die Republik und Demokratie
- 1933 bis 1945 – Hilfen für Verfolgte
- Die Hilfeleistungen von Ernst Leitz 1933 bis 1945 – Eine Einordnung
- Danksagungen
- Informationsquellen und Literaturhinweise
- Vorschau auf die Gedenktafel und Links
- Statements der Tafelstifter
Kapitel 1:
Der Lebensweg von Ernst Leitz II und die Entwicklung seiner Firma
Ernst Leitz I kam am 26. April 1843 im badischen Städtchen Sulzburg zur Welt. In der renommierten »Werkstätte für physikalische Instrumente«, gegründet von Ferdinand Oechsle in Pforzheim, wurde Ernst Leitz in den Jahren 1858–1863 zum Mechaniker ausgebildet. Die wichtigste Station auf der anschließenden Wanderschaft sollte ihm die moderne Telegrafen- und Uhrenfabrik von Matthias Hipp in Neuchâtel (Schweiz) werden, wo er die Anfänge der Serienfertigung erlernte. Auf Empfehlung von Karl Junker (Gießen) trat Leitz 1864 in das vormalige optische Institut von Carl Kellner (1826–1855) in Wetzlar ein, welcher bereits 1855 verstorben war.
Nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges (1871) erfuhr die Werkstatt einen erheblichen Aufschwung. In der zutreffenden Erkenntnis, dass das Mikroskop zum wichtigsten Hilfsmittel der Wissenschaft werden würde, konzentrierte Leitz die Fertigung auf dieses Instrument und dessen Optimierung. Dabei es gelang ihm, beste Qualität mit Preiswürdigkeit zu verbinden. Seine in der Schweiz erlernten Methoden der rationellen Serienfertigung waren ihm hierbei nützlich mit der Folge, die Produktion anzukurbeln und die Umsätze steigern zu können. Die Firma gewann – immer in engstem Kontakt mit den Anwendern an den Hochschulen – einen deutlichen Vorsprung vor der Konkurrenz.
Anderen Feldern der Optik wandte sich die Firma ab 1880 zu:
- Leitz ältester Sohn Ludwig Leitz (1867–1898) widmete sich sehr erfolgreich der Mikro- und Makrophotographie, der Mikroprojektion sowie der Mikrotomie.
- 1880 erschien die erste große Horizontalkamera von Leitz auf dem Markt.
- 1881 entstand zur Erleichterung der Präparateherstellung das erste Mikrotom.
- Ab 1889 gab es den Zeichen- und Projektionsapparat nach Edinger.
- Früh hatte Ernst Leitz Bezug zur Normal-Photographie. Schon 1894 bot die Firma den Objektivtyp Duplex für verschiedene Brennweiten an. Die erste Handkamera (Moment) erschien um 1900.
- Projektoren für Großbild-Dias entstanden um 1900, sie wurden zu Vorläufern der später weltweit eingesetzten Epidiaskope.
- 1910 erregte der erste Kinoprojektor für flimmerfreie Filmvorführungen Aufsehen.
- Ab 1907 baute Leitz auch Ferngläser.
- Schließlich erschien 1913 die Ur-Leica, deren späteren Siegeszug der Firmengründer nicht mehr miterleben durfte.
Früh erkannte Leitz, dass der Binnenmarkt für die hochwertigen Erzeugnisse der Optik und Feinmechanik nicht ausreichte. So wurde bereits ab den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mit Hilfe des Sohnes Ludwig Leitz die Zahl der Niederlassungen und Vertretungen im In- und Ausland mehr und mehr ausgebaut.
Am 10. Juli 1920 verstarb er mit 77 Jahren in Solothurn. Mit seinem Lebenswerk hat Ernst Leitz I die Basis geschaffen, auf der sein Sohn aufbauen konnte. Mit seiner Entscheidung, die Kleinbildkamera Leica in Serie zu fertigen, hatte Ernst Leitz II die Welt der Photographie verändert. Damit haben Vater und Sohn Leitz Wirtschaftsgeschichte geschrieben.
Ernst Leitz II
wurde am 1. März 1871 in Wetzlar geboren. Nach einer Lehre zum Feinmechaniker im väterlichen Betrieb und einer Ausbildung zum Kaufmann trat er 1906 als Teilhaber in das optische Unternehmen Leitz ein und wurde nach dem Tod seines Vaters 1920 Alleingesellschafter.
Er führte das Unternehmen – die Ernst Leitz GmbH – bis zum hohen Alter von über 85 Jahren in den 1950er Jahren.
Er war zugleich ein überzeugter Demokrat, ein überzeugter Republikaner der Weimarer Republik und leistete Widerstand gegen die NS-Diktatur. Er nutzte dabei Handlungsspielräume als Industrieller, um für mehr Gerechtigkeit und zum Schutz politisch Verfolgter zu sorgen.
Bild © Ernst Leitz Stiftung
Ernst Leitz II Leitz widmete sich zunächst der Entwicklung neuer Mikroskope, insbesondere des ersten auch für hohe Vergrößerungen einsetzbaren Binokularmikroskops der Welt, das 1913 auf den Markt kam. Auch das große Forschungsmikroskop Ortholux mit eingebauter Beleuchtung (1935) wurde ein großer Erfolg.
Die von seinem Mitarbeiter Oskar Barnack entwickelte Kleinbildkamera mit den Wechselobjektiven von Max Berek fand seit 1925 weltweite Verbreitung. Die kleine, leichte Leica mit einem Filmformat von 24 mm × 36 mm und der Möglichkeit, 36 Aufnahmen in Folge machen zu können, löste die oft schweren und klobigen Plattenkameras für statische Einzelaufnahmen ab. Sie begründete als erste die dynamische Live-Fotografie und veränderte die Welt der Fotografie, insbesondere die der Printmedien. Das Leica-Format wurde zur weltweiten Norm und ermöglichte der fototechnischen und fotochemischen Industrie weltweit einen großen wirtschaftlichen Aufschwung.
—› HESSENIMFILM • Ernst Leitz Optische Werke (Deutsches Filmmuseum © Oskar Barnack (192?), 7:26 Min.)
»Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert«
Die Markteinführung der Leica-Kleinbildkamera ist die bedeutendste Unternehmensentscheidung. Ernst Leitz II erkannte frühzeitig den Trend zu kompakten, handlichen Kameras. Hierfür war die Entwicklung eines neuen Systems für das Kleinbildformat (24 mm × 36 mm) nötig. Der Erste Weltkrieg verzögerte die Markteinführung der neuen Kamera um zehn Jahre. Die Hyperinflation und das Desinteresse des Fotofachhandels bezüglich Umstellung auf die neue Vergrößerungstechnik erschwerten die Markteinführung. Mit den von seinem Vater schon angelegten internationalen Geschäftsbeziehungen und durch seine große unternehmerische Risikobereitschaft konnte Ernst Leitz II einen neuen internationalen Markt erschließen. Dadurch gab er seinen Arbeitern eine sichere Beschäftigung während der Depression. Während alle anderen industriellen Unternehmen während der Weltwirtschaftskrise große Teile ihrer Belegschaften entließen, wuchs die Beschäftigtenzahl der Ernst Leitz GmbH von Jahr zu Jahr.
Der Leica-Boom und der Zuwachs der Beschäftigten bei Leitz im Vergleich zur allgemeinen sozialen Lage in der Stadt Wetzlar:
Quelle: Prof. Dr. Ulrich Mayer: Das Eindringen des Nationalsozialismus in die Stadt Wetzlar, 2. Ausgabe © Wetzlar erinnert e.V., 2020
Neben seinen großen Erfolgen im optischen Instrumentenbau sowie in der Unternehmensführung ist die Menschlichkeit von Ernst Leitz I hervorzuheben, die er mit hohem sozialen Engagement verband. Sie machten ihn zu einer Ausnahmepersönlichkeit unter den Unternehmern seiner Zeit:
- ab 1885: »Vereinbarung zur Unterstützung in Not geratener oder nicht mehr arbeitsfähiger Mitarbeiter«;
- ab 1899: Invaliden-, Witwen- und Waisenkasse, die im Laufe der Jahre zu einer Pensionskasse ausgebaut wurde;
Sie war beispielhaft und sicherte die Existenz der Werksangehörigen weit mehr als dies die gesetzlichen Versicherungen der staatlichen Sozialkasse vermochte; - 1906: Die Einführung des Achtstundentags
Ebenso wie die vergleichsweise hohe Entlohnung seiner Mitarbeiter, »Leitzianer« hatten eine angesehene Sonderstellung weit über Wetzlars Grenzen hinaus.
—› HESSENIMFILM • Betriebsausflug 1953 an den Rhein (Deutsches Filmmuseum © Oskar Barnack (192?), 35:38 Min.)
Er war nicht nur ein Industrieller, sondern zugleich ein politischer Mensch, ein überzeugter Demokrat. In dem nachfolgenden »Kapitel Ernst Leitz – der Demokrat« beschreibt der 2. Vorsitzender des Wetzlarer Geschichtsvereins, Bernd Lindenthal, Ernst Leitz politisches Wirken nach der Novemberrevolution in der Weimarer Republik, insbesondere sein Engagement in der Deutschen Demokratischen Partei [DDP] (ab 1930: Deutsche Staatspartei [DStP]), im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, und für die Demokratie und gegen die Nazis.
Der Lebensretter
In der Nazi-Diktatur half er Wetzlarer Bürger*innen, Beschäftigten seines Unternehmens, Geschäftspartnern und jüdischen Mitbürgern und nicht zuletzt seiner Tochter Elsie Kühn Leitz. Zunächst intervenierte er gegen Verhaftungen und konnte einige Haftentlassungen bewirken. Er half dann jüdischen Unternehmern mit Firmenaufträgen, später vielen Menschen durch Fluchthilfe. In dem weiteren Kapitel »Ernst Leitz leitete Rettungswiderstand« beschreibt Bernd Lindenthal, wie Ernst Leitz Jüdinnen und Juden half zu überleben.
Lindenthal kann dabei zurückgreifen auf die Forschungen des Briten und Rabbiners Frank Dabba Smith. Dieser gilt international als der Kenner des Rettungswiderstandes, den Ernst Leitz II für jüdische und demokratisch gesinnte Mitmenschen während des Nazi-Regimes geleistet hat.
Dabba Smith hat sich sehr früh als Leica-Fotograf für die Geschichte der Ernst Leitz GmbH und der Leica interessiert. Bei einem Besuch in Wetzlar 1999 erhielt er Kontakt mit Dr. Knut Kühn-Leitz und sprach ihn auf das mögliche Wirken dessen Großvaters, Ernst Leitz II, an, das der Familie jedoch kaum bekannt war. Dank der anschließenden gemeinsamen Recherchen konnten über 80 Beispiele dokumentiert werden, wie Ernst Leitz II zwischen 1933 und 1945 Verfolgten half, die Nazizeit zu überleben und sich eine andere Existenz aufzubauen.
Seine Forschungen hat Dabba Smith in seiner Doktorarbeit (»Ernst Leitz of Wetzlar: Helping the Persecuted«, 2017) am University College London (UCL) aufbereitet, wo er heute Honorary Research Fellow ist.
Unter erheblicher Gefahr für sich selbst und unter Einsatz des Prestiges seines Unternehmens leistete Ernst Leitz II von 1933 bis 1945 86 Personen wertvolle Hilfe oder rettete ihr Leben, davon 68 Personen, die aus rassistischen Gründen verfolgt wurden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde bekannt, dass das NS-Regime ständig beabsichtigt hatte, den nach NSDAP-Beschreibung »widerlichen Demokraten« auszuschalten. 1944 erlitt er einen Nervenzusammenbruch, von dem er sich nicht mehr richtig erholte.
1949 feierten die Leitzwerke hundertjähriges Bestehen. Der Festakt mit hochkarätigen Vertretern aus Wirtschaft und Politik von im Hof hinter den Hochhäusern statt.
Am 1. März 1949 erhielt Ernst Leitz II die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wetzlar. Auf der Homepage der Stadt heißt es hierzu:
Dr. Ernst Leitz II
(*1. März 1871, †15. Juni 1956)
Verleihung der Ehrenbürgerschaft am 1. März 1949
Gewürdigt wurden damit das soziale Engagement des Unternehmens Optische Werke Ernst Leitz sowie das kommunalpolitische Engagement von Ernst Leitz.
Quelle: —› Die Seite der Ehrenbürger auf der Homepage der Stadt Wetzlar
Die Trauerfeier für Ernst Leitz glich einem Staatsakt
Ernst Leitz starb am 15. Juni 1956 in Gießen mit 85 Jahren.
Die Trauerfeier am Tag seines Begräbnisses glich einem Staatsakt. Die Versammlung von tausenden Menschen im Wetzlarer Dom und auf dem Domplatz wurde per Film dokumentiert. Mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Filmmuseums (Frankfurt) verlinken wir auf die Filmseite.
—› HESSENIMFILM • Die Trauerfeier 1956 im Wetzlarer Dom und auf dem Domplatz (Film © Paul Görnert, 4:36 Min.)
Von Bernd Lindenthal
Ernst Leitz entstammte einer Familie mit langer liberal-demokratischer Tradition und war selbst ein Leben lang überzeugter Demokrat. 1907 engagierte er sich bei den Reichstagswahlen gegen den Kandidaten einer ausgesprochen antisemitischen Partei, der aber dennoch in der Stichwahl den Wahlkreis Wetzlar-Altenkirchen eroberte. 1) Unter dem Eindruck dieser Schmach gründete Ernst Leitz noch im gleichen Jahr mit Gleichgesinnten einen liberalen Verein, der sich der Freisinnigen Volkspartei anschloss. Zur Reichstagswahl im Januar 1912 bot man bereits einen eigenen Kandidaten auf, den Vorsitzenden der Fortschrittlichen Volkspartei im Rheinland, Prof. Dr. Arthur Schloßmann. Dieser war zum Protestantismus konvertiert, wurde aber prompt von den Antisemiten als »geborener Jude« diffamiert. Ernst Leitz antwortete mit dem Vorwurf, die Antisemiten würden zum »letzten verzweifelten Mittel greifen, indem man durch Aufpeitschung des Religionshasses und des Rassenhasses Stimmung gegen den politischen Gegner macht.« 2) Außerdem warf er dem antisemitischen Kandidaten vor, er habe während der Marokkokrise zum Krieg gehetzt. Obwohl die Linksliberalen in Stadt und Kreis Wetzlar hervorragend abschnitten, behauptete der Antisemit den Wahlkreis Wetzlar-Altenkirchen und zog wiederum in den Reichstag ein. Konsequenterweise gehörte Ernst Leitz 1918 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei, der Nachfolgerin der Fortschrittlichen Volkspartei.
Als überzeugter Demokrat bejahte er die Weimarer Republik, kandidierte mehrmals zu Reichstagswahlen (1924 und November 1932) und war gegen Ende wie selbstverständlich als ihr Verteidiger im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zu finden. Diese überparteiliche Schutzorganisation im Kampf gegen Feinde aus dem rechts- wie dem linksextremen Lager sah sich in der Tradition der Revolution von1848. Ab März 1933 war das Reichsbanner verboten, seine Mitglieder wurden verfolgt, in Konzentrationslager verschleppt und zum Teil ermordet. Ernst Leitz hatte der Wetzlarer Ortsgruppe für den Besuch auswärtiger Veranstaltungen und Einsätze öfter einen Lastkraftwagen zur Verfügung gestellt, zuletzt für eine Fahrt nach Koblenz zum Reichstreffen1932. Eine Auswertung eines Verzeichnisses des Reichsbanners Wetzlar ergab, dass von fast 500 Mitgliedern ziemlich genau ein Drittel Leitzianer waren, die somit ihrem Chef in dessen politischer Haltung folgten. Den von den Rechten gehetzten sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert verteidigte Ernst Leitz mit den Worten: »Ebert ist mir zehnmal lieber als Wilhelm II.« 3)
Nachfolgend Bilder vom Reichsbanner in Wetzlar:
Von Bernd Lindenthal
Am 30. August 1924 bestätigte der Frankfurter Notar Albert Helff die Unterschrift von Gottlieb Schwarz unter einen denkwürdigen Bericht. 4) Schwarz hatte als Repräsentant der Firma Leitz an einem Treffen des Arbeitgeberverbandes des Bezirks Lahn und Oberhessen teilgenommen, auf der ein Offizier vor ca. 40 Firmenvertretern für die Ausbildung von Freiwilligen zur Bildung einer Reservearmee warb. Diese sogenannte »Schwarze Reichswehr« sollte unter Umgehung der Beschränkungen des Versailler Vertrags die Wehrhaftigkeit Deutschlands im Falle eines Krieges garantieren, aber auch den »inneren Feind« bekämpfen. Sie waren republikfeindlich eingestellt und wurden von der offiziellen Reichswehr verdeckt unterstützt. Vom Bezirk Lahn und Oberhessen wollte der Offizier zur Finanzierung der 6- bis 8-wöchigen Trainingskurse ca. 800.000 Reichsmark einwerben.
Schwarz wurde zusammen mit den Herren Münch, Dr. Bangert (Buderus) und D. Lempp (Hollmann & Co.) in ein Komitee gesandt, das bald darauf in Gießen tagte und die Angelegenheit weiter verhandeln sollte. Schwarz berichtete dort auch von der Haltung seines Chefs, Direktor Dr. Ernst Leitz, der sofort ernste Bedenken gegen die Pläne geäußert habe und mit der Sache nichts zu tun haben wolle. Er werde sie sogar unserem Reichstagsabgeordneten Professor Walther Schücking darlegen, der gerade im Zusammenhang mit der Reichstagswahl in Wetzlar weile. Der Bericht von Gottlieb Schwarz nahm Eingang in das »Weißbuch zur Schwarzen Reichswehr« im Mai 1925 und in das Memorandum, das Prof. Ludwig Quidde am 24. Februar 1926 dem Reichstag vorlegte. Quidde wurde daraufhin wegen Landesverrates angeklagt und kurzzeitig inhaftiert. 1927 erhielt er den Friedensnobelpreis.
Gottlieb Schwarz war für die lokalen Nazis kein Unbekannter. 1940 begründete Kreisleiter Wilhelm Haus in einer vierseitigen Darstellung seiner parteipolitischen Vita, warum ihm die silberne Verdienstauszeichnung für 15-jährige Parteitätigkeit zustehe, was ihm intern bestritten worden war, da er erst1930 eingetreten war. Er führte u. a. aus: »Auch ich bin den roten Sprechern als Nationalsozialist entgegengetreten; damit öffentlich meinen Übertritt zur NSDAP vollzogen. Schon im Jahre 1928 trat ich einem Herrn Schwarz, damals Privatsekretär von Dr. Ernst Leitz, in demselben Lokal (= Wirtschaft Schlierbach in Bieber, der Verf.) als Diskussionsredner entgegen. In seinem Schlusswort bezeichnete mich Herr Schwarz als ›Nazi‹. Zeugen: Pg. H. Schmidt, Pg. Hch. Schlierbach, Pg. W. Süss und andere.« 5)
Ernst Leitz war mit Schücking, Quidde und anderen linksliberalen Politikern in enger Verbindung. Elsie Kühn-Leitz schreibt in ihrem Kondolenzbrief an den Sohn des verstorbenen Bundespräsidenten, Dr. Ernst Ludwig Heuss: »Mehrfach war Ihr Vater mit gleich gesonnenen Verfechtern des von ihm insbesondere in seinen Amtsjahren als Bundespräsident so vorbildlich vorgelebten humanitären Liberalismus, wie dem Theologen aus Marburg, Professor Dr. Rade, dem späteren badischen Staatspräsidenten Prof. Dr. Hellpach, Pfarrer Korell aus Niederingelheim, dem Berliner Professor Dr. Quidde und manchen anderen zu politischen Besprechungen in unserem Hause. Wir sind damals zu jung gewesen, um die ganze Tragweite der Ergebnisse dieser Zusammenkünfte ermessen zu können.« 6)
Alle hier genannten Personen waren Mitglieder der 1918 neu gegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und für sie in herausragenden Positionen tätig. Quidde, der 1933 ins schweizerische Exil ging, ist schon kurz vorgestellt worden. Er war die treibende Kraft der deutschen Friedensbewegung. Walther Schücking war für die DDP-Reichstagsabgeordneter von 1919 bis 1928 und ab 1930 bis zu seinem Tode 1935 einziger deutscher Richter am Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Von 1902 bis 1920 hatte er eine Professur in Marburg. Der evangelische Theologe Martin Rade war ebenfalls Hochschullehrer in Marburg und 1919/20Abgeordneter der DDP in der preußischen Nationalversammlung. Willy Hellpach wurde 1922 Unterrichtsminister in Baden und kandidierte bei den Wahlen 1925 für die DDP für das Amt des Reichspräsidenten. Adolf Korell war von 1920 bis 1928 Reichstagsabgeordneter der DDP. Wie Quidde wandte er sich später von der ins rechtskonservative Lager abgleitenden DDP/Staatspartei ab und unterstützte die Radikaldemokratische Partei (RDP).
Ziffern und Reihenfolge entspricht den Angaben aus dem Buch »Ernst Leitz II Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert.« zum Kapitel »Der lange Kampf mit den Nationalsozialisten«
- Lindenthal, Bernd, Sozialdemokratische Arbeiterbewegung im Wahlkreis Wetzlar von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg, in: 100 Jahre SPD in Wetzlar, S.25-185, hier S. 137 ff.
- ebenda, S.167
- Wiedl, Wolfgang, Der liberale Demokrat, in: Ernst Leitz, Wegbereiter der Leica, 2006, S. 123; Das Reichsbanner »Schwarz-Rot-Gold« in Wetzlar 1924-1933, in: Mitteilungen des Wetzlarer Geschichtsvereins (MWGV) 46. Band, Wetzlar 2013, S. 255-359
- Sauer, Bernhard, Die »Schwarze Reichswehr« und der geplante »Marsch auf Berlin«, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart, Berlin 2008, S.113-150
- Brief W. Haus vom 18.9.1940 an die Gauleitung Hessen-Nassau, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW) 520-GI-3669
- Brief vom 16.12.1963
Von Bernd Lindenthal
Mit dem Ehepaar Heuss verband Ernst Leitz eine besondere und lebenslange Freundschaft. Theodor Heuss hatte 1933 seine Dozentenstelle an der Hochschule für Politik in Berlin und das Reichstagsmandat für die Deutsche Staatspartei verloren. Am 10.Mai 1933 wurde sein Buch »Hitlers Weg«, erschienen Anfang 1932, bei den reichsweiten Bücherverbrennungen öffentlich verbrannt. 7) Mit journalistischer Tätigkeit konnte er die Familie nicht über Wasser halten.
»Nicht nur gaben sich die Eheleute gegenseitig inneren Halt, auch für die Sicherung der bürgerlichen Lebensgrundlage, für Haus, Garten, Dienstmädchen und Bibliothek, musste nun vor allem Elly Heuss-Knapp einspringen, nach dem ihr Mann seine regelmäßigen Einkommensquellen verloren hatte. Ihr modernes Verständnis von der Berufstätigkeit der Ehefrau und Mutter bekam nun eine besondere Bedeutung. Mit ihrer innovativen Rundfunkwerbung für bekannte Marken wie Wybert-Halspastillen, Kaffee Haag, Persil oder Erdal war Elly Heuss-Knapp erfolgreich. Seit 1936, als die Rundfunkwerbung für Einzelprodukte verboten wurde, wich sie auf die Kinowerbung aus, wo sie Reklamefilme für Nivea- oder Milupa-Produkte drehte. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kamen aber auch diese Werbemöglichkeiten zum Erliegen.« 8)
Bild: Theodor Heuss und Elli Heuss Knapp © Ernst Leitz Stiftung
Von Bernd Lindenthal
In diese Phase fällt ein intensiver Briefverkehr zwischen den Familien Leitz und Heuss in der ersten Jahreshälfte 1935. Am 8. Januar 1935 leitet Theodor Heuss eine Bitte eines Freundes für seinen stellenlosen Schwager um eine Stelle bei Leitz an Ernst Leitz direkt weiter. Er schreibt:
»Es kann sein, dass solche Fragen und Bitten heute mehrfach an Sie kommen und ich übersehe meinerseits nicht, wie Sie darauf eingehen können. Ich würde mich natürlich freuen, wenn der junge Mann, den das Schicksal getroffen hat, irgendeine Berufsmöglichkeit erhielt.«
Und er fährt in eigener Sache fort:
»Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns gelegentlich wieder einmal sehen würden. Können Sie es nicht einmal so einrichten, dass bei einer Anwesenheit in Berlin eine Begegnung möglich wird. Ich habe schon ein paar Mal daran gedacht, Ihr Interesse für die Arbeit meiner Frau zu erbitten, die, als ich vor anderthalb Jahren meinen Beruf verlor, mit großer Elastizität das ›Werbefach‹ ergriff und vor allem die Rundfunkwerbung künstlerisch so entwickelte, dass eine Reihe großer Firmen jetzt Durchsprüche als Hörspiele, kleine Lieder u.s.f. bei ihr bestellen.«
Ernst Leitz antwortete rasch und freundlich, so dass Elly Heuss-Knapp ihm in einem Brief vom 14.Januar 1935 ihre Arbeit ausführlich erläutert und anbietet, in der nächsten Woche nach Wetzlar zukommen und einige Beispiele ihrer Tätigkeit vorzustellen.
»Das Neue an meinen Platten ist der Versuch, durch das geformte Wort und durch Musik die Werbung eindringlich zu machen, also akustische Reize anstelle von optischen Reizen einzusetzen.«
Bild: Theodor Heuss und Elli Heuss Knapp © Ernst Leitz Stiftung
Von Bernd Lindenthal
Der Besuch kommt zustande und auch ein Auftrag im Umfang von 1.000 Reichsmark, obwohl Ernst Leitz persönlich nicht viel von der Rundfunkwerbung hielt. Am 8. Februar 1935 schreibt sie:
»Bei unserem schnellen Abschied, in Dampfwolken eingehüllt, konnte ich gar nicht recht danke schön sagen für die liebenswürdige Aufnahme in Ihrem Haus und in der Firma. Ich habe mich noch kaum über einen Auftrag so gefreut wie über die beiden Leica Platten.«
Die erste Schallplatte entsteht am 14.Februar 1935 und einen Tag später berichtet Frau Heuss-Knapp:
» […] gestern haben wir die erste Leica Platte aufgenommen. Alle Beteiligten fanden sie ungewöhnlich gut geglückt. Ich bleibe sogar auf meinem Standpunkt, dass die Musik unvergleichlich über allem steht, was ich bisher aufgenommen habe. Auch der Leiter von Telefunken war ganz erstaunt über die Qualität. […] Leider konnte Ihre Frau nicht anwesend sein. Ich habe mit ihr telefoniert und hoffe, sie in den nächsten Tagen zu sehen. Heute morgen habe ich die Nachricht bekommen, dass die Regierung am 1. März die gesamte Rundfunkreklame aufhören lassen wird. Damit ist das Geschäft, das ich im letzten Jahr aufgebaut habe, mit einem Schlag zerstört. Es ist nur gut, dass ich versucht habe, auch Inserate und Prospekte zu arbeiten, die immer gebraucht werden. Außerdem will ich versuchen, an die Funkwerbung heranzukommen. Ich habe den festen Vorsatz, mich nicht aus dem Sattel werfen zu lassen.«
Mitte April ist die zweite Platte fertig. Die kleine Episode zeigt, wie Ernst Leitz bemüht war, auch seine politischen Weggefährten aus der Weimarer Republik zu unterstützen und die Verbindung zu ihnen aufrecht zu erhalten.
Von Bernd Lindenthal
Die direkte Konfrontation mit der NSDAP nahm der engagierte Unternehmer schon sehr früh auf. Als im August 1924 Jakob Sprenger, der spätere Gauleiter von Hessen-Nassau, gegen den Dawes-Plan agitierte, trat ihm Ernst Leitz entgegen. In dem von Sprenger sehr persönlich geführten Schlagabtausch liegt vermutlich der Grund für die Intimfeindschaft gegen Leitz. 9) Während einer Wahlkampfveranstaltung der Staatspartei vom 27. April 1932 charakterisierte Ernst Leitz die SA in ihren braunen Uniformen als »braune Affen«. 10) Bei den letzten Reichstagswahlen vom 5. März 1933 erreichte die NSDAP in der Stadt Wetzlar aus ihrer Sicht nur magere 37,4 Prozent.
Quelle: Das Eindringen des Nationalsozialismus in die Stadt Wetzlar, Ulrich Mayer 1970 © Grafik: Wetzlar erinnert e.V.
Daher forderte sie für die eine Woche später, am 12. März, stattfindenden Kommunalwahlen eine klare Entscheidung für die Nationalsozialisten und verstärkte die Propaganda. Diesmal handele es sich »nicht um eine Personalwahl, sondern um die Wahl einer Richtung, die den angefangenen Weg der Säuberung […] zu Ende führen wolle«. 11)
Gezielt wurde auch mit böswilligen Gerüchten gearbeitet, zum Beispiel, dass die Firma Leitz die Entlassung von 50 Prozent der Belegschaft plane. In einer Wahlveranstaltung der Staatspartei vom 9. März wies Ernst Leitz diese Behauptung als »ungewöhnliche Lüge« zurück.
Kurz vor der Wahl erschien in der örtlichen Zeitung der Aufruf eines »alten Wetzlarers« mit der Überschrift: »Die Persönlichkeit entscheidet!«. Das Wahlergebnis bedeutete eine Niederlage der NSDAP, und selbst der Wetzlarer Anzeiger musste anerkennen, dass »die Wahl hier den Charakter eines ausgesprochenen Vertrauensvotums hat, das ein Teil der Bevölkerung Dr. Leitz damit ausstellt« 12). Die Deutsche Staatspartei erhielt 1.721 Stimmen (zum Vergleich: 663 am 05.03.), die NSDAP 2.683 (zum Vergleich: 4.092 am 05.03.). Im Stimmbezirk 3 Franziskanerschule, dem größten Stimmbezirk der Stadt und »Leitzianer-Viertel«, wurde die Partei von Ernst Leitz sogar absoluter Sieger, ein Zeichen der Dankbarkeit und des Vertrauens vieler Betriebsangehöriger gegenüber ihrem integren Firmenpatron.
Quelle: Das Eindringen des Nationalsozialismus in die Stadt Wetzlar, Ulrich Mayer 1970 © Grafik: Wetzlar erinnert e.V.
Von Bernd Lindenthal
Eine ganz erstaunliche und mutige Aktion unternahm Ernst Leitz, nachdem am 27. März 1933 mehrere Juden und Demokraten grundlos verhaftet worden waren, darunter auch sein Parteifreund Nathan Rosenthal. Er rief den damals stellvertretenden Landrat, Assessor Engfer, an und forderte die Freilassung.
»Als er daraufhin jedoch Ausflüchte machte […], wies ich darauf hin, dass ich mich stark machen wolle, zusammen mit anderen Wetzlarer Bürgern, die verhafteten Personen zu befreien. Es ist wohl diesem energischen Protest meinerseits zu verdanken, dass die Leute daraufhin abends freigelassen wurden.« 13)
Der eigentliche Landrat, Konrad Miß, war 1933 von den Nazis beurlaubt worden. Als seine Verhaftung drohte, schickte Ernst Leitz ihm einen Wagen mit Fahrer, damit er fliehen konnte.
Am 8. Juni 1933 besuchte Hermann Göring die Stadt Wetzlar. Zwei Tage zuvor war ihm in der Stadtverordnetenversammlung die Ehrenbürgerschaft verliehen worden. Weder an dieser Sitzung noch am Empfang hatte der Stadtverordnete Ernst Leitz teilgenommen. Gauleiter Sprenger überreichte dem prominenten Gast einen Feldstecher mit der Bemerkung, das Glas stamme von der Firma Hensoldt und nicht vom »roten Leitz«. 14)
Mit der Übertragung der Macht auf die demokratiefeindlichen Nazis wurde die Luft für den mutigen Demokraten Ernst Leitz immer dünner. Bereits 1933 war der Präsident der Frankfurter Industrie-und Handelskammer, Prof. Dr. Lüer, bei der Wetzlarer Kammer mit dem Anliegen vorstellig geworden, den Betrieb zu beschlagnahmen und Ernst Leitz sowie seine drei Söhne aus der Firma zu entfernen. 15)
Nur der tatkräftigen Abwehr des Präsidenten der hiesigen Industrie- und Handelskammer, Kommerzienrat Köhler, war das Scheitern dieses Angriffs zu verdanken. Sehr aufschlussreich sind zwei Schreiben des Bevollmächtigten Hessens beim Reich, Hans-Werner von Zengen (einem Sohn des ehemaligen Wetzlarer Bürgermeisters Otto von Zengen) vom 26. Oktober 1933 an den Chef der Spionageabwehr, Kapitän Patzig (Anlage 3), und Reichsstatthalter Sprenger. In ihnen kommt klar zum Ausdruck, dass die Herren Sprenger, Lüer und von Zengen eng zusammenarbeiteten, um der Firma Leitz die führenden Köpfe zu rauben, 16) wie es mit Otto Junkers (Junkers Flugzeugwerke) 1933 geschehen war, und einen staatlichen Kommissar einzusetzen.
Von Bernd Lindenthal
Ernst Leitz war aber nicht nur der politische Gegner aus der Zeit der Weimarer Demokratie, er war auch die altruistische Persönlichkeit, die nun versuchte, den Opfern des braunen Terrors zu helfen und damit die neuen Machthaber provozierte. Angesichts der Geschwindigkeit und Brutalität, mit der das neue System seine Macht durchsetzte und totalisierte, blieb den Menschen, die keine Nazis waren, wenig Spielraum, ihre Antihaltung zu praktizieren. Die Gruppe, die ab dem 30. Januar 1933 besonders auf Hilfe angewiesen war, waren die Juden. Juden zu helfen, zu unterstützen und zu schützen widersprach den Maximen der NSDAP und des Staates. Solche Personen begaben sich außerhalb der »Volksgemeinschaft« und der NS-Staat sanktionierte ihr Verhalten mit öffentlicher Anprangerung bis hin zu KZ-Haft.
Während sofort ab 1933 Juden und so genannte Halbjuden erhebliche Mühe hatten, ihren Arbeitsplatz bei Ariern zu behalten, beziehungsweise Lehrstellen zu bekommen, stellte Ernst Leitz, der zuvor nur einen jüdischen Mitarbeiter beschäftigt hatte, nun »aus Protest gegen die NS-Doktrin und aus Gründen der Menschlichkeit einige 50 Juden und »Mischlinge« ein.
Man gab ihnen besondere Gelegenheiten der technischen und kaufmännischen Ausbildung.
Allein 47 solcher Personen wurden in der Leica Schule in der Kleinbildphotographie und Vergrößerungstechnik ausgebildet.
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Von Bernd Lindenthal
Sie [betroffene Jüdinnen und Juden] waren so in den Stand gesetzt, eine neue Existenz aufzubauen.« 17) Beschäftigung von Juden ist im Arierreich der Nazis ein Fall für die Kriminalpolizei/Gestapo und weiterer Sicherheitsstellen. So informierte die Kriminalpolizei Wetzlar den Landrat am 31. Dezember 1935, dass sich seit dem 15. November 1935 der französische Jude Gaston Pierre Royez aus Magny-en-Vexin, Provinz Seine und Oise, hier aufhalte:
»Nach den Feststellungen bei der Firma Leitz soll Royez für die genannte Firma die französisch sprechenden Länder bereisen und dem französischen Generalvertreter der Firma Leitz in Frankreich zugeteilt werden […] Es fällt auf, daß seine deutsche Firma von Weltruf ausgerechnet sich eines ausländischen Juden bedient, um durch diesen im Ausland Propaganda für deutsche Wertarbeit machen zu lassen. Um Weiterleitung an die Staatspolizeistelle in Frankfurt am Main wird gebeten.« 18)
Die Gestapo Frankfurt informierte auch die Abwehrstelle Kassel. Royez verließ Wetzlar wiederum am 19. Januar 1936 zusammen mit der Jüdin Gerda Rosenthal, die er bei Leitz kennen gelernt hatte, um die Arbeit bei der französischen Leitz-Vertretung aufzunehmen. Das Ehepaar Royez-Rosenthal konnte 1939 Gerdas Eltern nach Paris nachholen.
Ernst Leitz kümmerte sich aber auch immer, wo er konnte, um andere Naziopfer.
»Vor allem aber auch nahm ich mich durch die NSDAP stellungslos gewordener Personen an und verschaffte ihnen in meinem Betrieb Unterkommen und Brot. Persönlichkeiten, wie die Herren Kreisamtmann Fechner, Dr. Dern, Rodenburger, Meinhart, insbesondere dessen Söhne, gehörten zu diesem Kreis.« 19)
Empfehlungsschreiben von 1938 © Ernst Leitz Stiftung
Von Bernd Lindenthal
1937 lehnte Ernst Leitz das Amt eines Wehrwirtschaftsführers ab, weil er in diesem Zusammenhang ein Dokument unterschreiben sollte, das ihn zum rückhaltlosen Bekenntnis zur NSDAP verpflichtet hätte. Daraufhin kam prompt die persönliche Aufforderung Sprengers zum Eintritt in die Partei (1938), woraufhin Ernst Leitz dem Überbringer gegenüber wörtlich geäußert hat: »Ich lege auf die Partei keinen Wert.« 20)
Über die Konsequenzen dieser Ablehnung berichtete nach dem Kriege Bürgermeister Kindermann in einer eidesstattlichen Erklärung vom 2. September 1946:
»Zur Sache: Etwa im Jahre 1938 erfuhr ich gelegentlich einer Besprechung bei der Gauleitung in Frankfurt a. M. gesprächsweise entweder von dem Gauleiter selbst oder einem führenden Parteigenossen über den Fabrikanten Dr. h.c. Ernst Leitz, Wetzlar: Der Gauleiter habe neben anderen führenden Persönlichkeiten auch den Fabrikanten Dr. h.c. Ernst Leitz sen. zum Eintritt in die NSDAP auffordern lassen. Dr. Leitz habe jedoch einen Beitritt abgelehnt und dabei dem Überbringer der Aufforderung gegenüber wörtlich geäußert, ›er lege auf die Partei keinen Wert‹. Diese Äußerung bedeute eine Ablehnung der Partei. Sie mache zusammen mit dem Umstand, dass Dr. Leitz alter führender Demokrat sei, es unmöglich, ihn länger als Betriebsführer der Ernst Leitz G.m.b.H., Wetzlar, zu belassen, da bei dem Umfang der Belegschaft der Leitzwerke nur ein Parteigenosse Betriebsführer sein könne.
Wenn Dr. Leitz und auch mindestens einer seiner Söhne nicht in Kürze in die Partei einträten, würden alle Mitglieder der Familie von der Betriebsführerschaft ausgeschlossen. Ein entsprechendes Ehrengerichtsverfahren mit dem Ziel der Entziehung der Betriebsführereigenschaft solle gegen Dr. Leitz eingeleitet werden. Ich habe alsbald darauf Herrn Dr. Leitz hiervon in Kenntnis gesetzt und ihm dringend geraten, im Interesse seines Betriebes und der gesamten optischen und mechanischen Industrie Deutschlands dem gegen ihn und seine Familie geplanten Verfahren dadurch zuvorzukommen, dass er und mindestens einer seiner Söhne pro forma in die Partei eintreten. Jede Betätigung und jede Teilnahme an Veranstaltungen könne er wegen seiner betrieblichen Inanspruchnahme und seines hohen Alters ohnehin ablehnen.« 21)
Als Ernst Leitz, von Bürgermeister Kindermann vertraulich informiert, ablehnte, weil er glaubte, alle Angriffe aus eigener Kraft abwehren zu können, und sich in einer IHK-Sitzung wiederum mit Professor Lüer anlegte, indem er dessen Autarkiepolitik zurückwies, 22) wurde – wie um den Druck auf die Firma zu erhöhen – am 27. Januar 1939 der Verkaufsleiter Alfred Türk von der Gestapo verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, dem jüdischen Fotohändler Heinrich Ehrenfeld aus Frankfurt am Main und dem ebenfalls aus Frankfurt stammenden H. Blumenfeld ein Empfehlungsschreiben für die Leitz‘sche Niederlassung in New York ausgestellt zu haben.
Es war wiederum Eugen Kindermann, der Ernst Leitz warnte, zuzugeben, dass er mit den Empfehlungen einverstanden wäre, weil er sonst selbst verhaftet werden würde.
Von Bernd Lindenthal
Landrat Grillo war durch einen Spitzel an die Empfehlungsschreiben gelangt, noch bevor sie auf die Post gingen. Er meldete am 31. Dezember 1938 an die Gestapo Frankfurt:
»Beiliegend übersende ich mir von dem hiesigen Kreisleiter der NSDAP übergebene Abschriften von Fotokopien eines Briefes der Firma Leitz in Wetzlar an ihre Filiale in New York und zwei Durchschläge. Wie aus den Abschriften ersichtlich ist, steht die Firma Leitz bzw. der verantwortliche Prokurist nicht an, jüdischen Emigranten, mit denen sie bisher in irgendwelchen Geschäftsverbindungen standen, Empfehlungsbriefe in die Hand zu drücken und gleichzeitig ihre Geschäftsleitung in New York anzuweisen, sich diesen Juden anzunehmen und sie in jeder Weise zu unterstützen. Unterzeichnet ist der Brief an die New Yorker Geschäftsleitung von dem Prokuristen Alfred Türk, einem bekannten Pazifisten, der dem heutigen Staat und seinen Einrichtungen völlig verständnislos und ablehnend gegenübersteht.
Es ist wohl anzunehmen, dass der Betriebsführer Dr. Ernst Leitz selbst von diesen Dingen nichts weiß. Im Einvernehmen mit dem Kreisleiter der NSDAP stehe ich auf dem Standpunkt, dass Leute, wie Prokurist Türk, die in der schamlosesten Weise ihr eigenes Vaterland verraten und ihm in den Rücken fallen, sofort ihres Postens enthoben und einem Konzentrationslager zugeführt werden müssten.« 23)
Bürgermeister Kindermann unterstützte diesen Vorschlag und berichtet über Türk: »Er war vor der Machtübernahme Mitglied der Deutsch-Demokratischen-Partei und hat sich bis heute in keiner Weise hinsichtlich seiner politischen Einstellung geändert. Er ist ein ausgesprochener Pazifist und Judenfreund und wird als die ›schwarze Seele‹ des Werks bezeichnet, im Verein mit dem kaufmännischen Direktor der Firma Leitz, Henri Dumur, der in der Schweiz geboren ist und auch die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzt. […] Sämtliche Geschäftsvorgänge der ausländischen Filialen und Vertretungen gehen durch seine Hand und werden von ihm geregelt. Mit Vorliebe stellt er für die ausländischen Filialen Juden ein bzw. bevorzugt diese.
Dem heutigen Staat steht er völlig verständnislos und ablehnend gegenüber, was umso schwerer in die Waagschale fällt, weil er wirtschaftliche Belange, soweit diese das Ausland berühren, zu vertreten hat. Wie er diese vertritt und handhabt, zeigt der vorliegende Fall in krasser Weise. Ich empfehle daher, im Einvernehmen mit dem Kreisleiter der NSDAP rücksichtslos durchzugreifen und der Geschäftsleitung der Firma Leitz durch Statuierung eines Exempels nunmehr klarzumachen, dass die Zeit der jüdisch-demokratischen Machenschaften endgültig vorbei ist, zumal heute das gesamte deutsche Volk – hinter dem Führer stehend – das Judentum bekämpft.
Dem Vorschlag des Herrn Landrats, Alfred Türk in ein Konzentrationslager zu überführen, kann ich nur beipflichten.« 24)
Von Bernd Lindenthal
Unverzüglich versuchte Leitz, seinen leitenden Angestellten Alfred Türk frei zu bekommen und kontaktierte im Reichswirtschaftsministerium in Berlin Oberregierungsrat Hans Humbert, den er von früher kannte. Dieser erreichte eine Besprechung in dieser Sache, an der mehrere Ressorts und Dienststellen, zeitweise auch Ernst Leitz und sein Mitarbeiter Glocker, teilnahmen. Wie Hans Humbert später aussagte, zeigte die mehrstündige Besprechung eindeutig die feindselige Haltung der Partei:
»Die Firma Leitz sei ein ganz reaktionärer Betrieb. Herr Dr. Leitz sei ein Demokrat geblieben, als der er vor 1933 bekannt geworden sei und wolle vom Dritten Reich nichts wissen. So werde die Firma auch geführt: nationalsozialistischen Forderungen komme man nur da entgegen, wo es gar nicht anders gehe; sonst mache man den Parteidienststellen in ihrem Bemühen, den Betrieb mit nationalsozialistischem Geiste zu erfüllen, alle möglichen Schwierigkeiten. Unverhüllt zeigten Herr Dr. Leitz und die Geschäftsleitung ihr wahres Gesicht im Auslandsgeschäft, wo sie sich unkontrolliert fühlten: Die ausländischen Filialen und Vertretungen von Leitz seien weithin geradezu Sammelpunkte deutschfeindlicher Elemente und alles andere als Propagandastätten für das neue Deutschland. Offenbare Gegner des nationalsozialistischen Deutschlands, die sich hier nicht mehr halten könnten – insbesondere Juden – würden in Wetzlar für das Auslandsgeschäft ausgebildet. Dann wanderten sie aus und tauchten bald irgendwo in einer Auslandsvertretung als Angestellte auf. In der Gefolgschaft sei wegen dieser Vorgänge große Unruhe ausgebrochen.« 25)
Der letzte Satz sollte natürlich ein Vorgehen der Partei gegen Leitz in ein Anliegen der »Volksgemeinschaft« umdichten. In Wahrheit wurden gerade die Angelegenheiten, die jüdische Angestellte betrafen, äußerst diskret behandelt und waren der Belegschaft überhaupt nicht bekannt. Den Rest darf man getrost als ein unfreiwilliges Loblied auf einen mutigen Demokraten und Lebensretter betrachten. Türk blieb 10 Tage in Haft, wurde von der Firma Leitz mit vollem Gehalt pensioniert und zog Anfang Juli 1939 nach München. Die KZ-Haft mit unsicherem Ausgang konnte Ernst Leitz abwenden.
Von Bernd Lindenthal
Auch andere führende Mitarbeiter von Leitz unterlagen der besonderen Aufsicht und Kontrolle der Kreisleitung der NSDAP. Über den Ingenieur und mathematischen Rechner Dr. Erwin Lihotzky, der vom Gaupersonalamt verdächtigt wurde, Halbjude zu sein, gab Kreisleiter Haus nach Angaben von Betriebsobmann Pg. Träger folgende Beurteilung ab: er sei 1920 von Wien zugezogen und seitdem beider Firma Leitz beschäftigt, den deutschen Gruß habe er bis heute nicht angewandt.
»Es war nicht möglich, betr. der arischen Abstammung etwas Bestimmtes in Erfahrung zu bringen; seinem Aussehen nach und auch seinen Manieren und Umgangsformen möchte man behaupten, dass er Volljude ist. Näheres konnte hier nicht ermittelt werden.« 26)
Der von Lihotzky angestrebte Hauskauf aus jüdischem Besitz ist wegen dieser Beurteilung wahrscheinlich nicht zustande gekommen.
Von Bernd Lindenthal
Dass Ernst Leitz noch auf andere Weise Leben gerettet hat und den Hass von Kreisleiter Haus auf die Firma zeigt der monatliche Stimmungsbericht an Gauleiter Sprenger vom 23. Februar 1940:
»Bei der Fa. Leitz habe ich den bestimmten Verdacht, dass eine ähnliche Vetternwirtschaft wie im Weltkriege vor sich geht. Junge wehrhafte Menschen, selbstverständlich innerlich verseucht vom Pazifismus, werden reklamiert. Um einen Grund zu finden, werden diese in wehrwichtige Abteilungen des Betriebes versetzt und nur zu dem Zweck, diese Burschen vom Wehrdienst zu schützen.
Ich habe mich beim Arbeitsamt schon mehrfach bemüht hinter diese Schliche zu kommen, es ist aber nicht möglich, weil die sogen. R-Betriebe ihre Uk-Anträge über das Rüstungskommando in Gießen stellen und dem Arbeitsamt in Wetzlar lediglich über die Uk-Stellung Mitteilung gemacht wird. Andere Anträge laufen über das Arbeitsamt. Wäre es nicht möglich, dass sämtliche Reklamationen in einem Kreisgebiet das Einverständnis des zuständigen Kreisleiters haben müsste?
Denn nur dann weiß die Bevölkerung, dass es gerecht dabei zugeht. – Es ist tatsächlich so, dass heute die Menschen, die wir bei der Machtübernahme vergessen haben zu beerdigen, über Menschenschicksale entscheiden.« 27)
Ernst Leitz (3.v.l.) mit seinen Söhnen Ludwig, Günther und Ernst (v.l.) im Garten von Haus Friedwart © Ernst Leitz Stiftung
Von Bernd Lindenthal
Dass Ernst Leitz noch auf andere Weise Leben gerettet hat und den Hass von Kreisleiter Haus auf die Firma zeigt der monatliche Stimmungsbericht an Gauleiter Sprenger vom 23. Februar 1940:
»Bei der Fa. Leitz habe ich den bestimmten Verdacht, dass eine ähnliche Vetternwirtschaft wie im Weltkriege vor sich geht. Junge wehrhafte Menschen, selbstverständlich innerlich verseucht vom Pazifismus, werden reklamiert. Um einen Grund zu finden, werden diese in wehrwichtige Abteilungen des Betriebes versetzt und nur zu dem Zweck, diese Burschen vom Wehrdienst zu schützen.
Ich habe mich beim Arbeitsamt schon mehrfach bemüht hinter diese Schliche zu kommen, es ist aber nicht möglich, weil die sogen. R-Betriebe ihre Uk-Anträge über das Rüstungskommando in Gießen stellen und dem Arbeitsamt in Wetzlar lediglich über die Uk-Stellung Mitteilung gemacht wird. Andere Anträge laufen über das Arbeitsamt. Wäre es nicht möglich, dass sämtliche Reklamationen in einem Kreisgebiet das Einverständnis des zuständigen Kreisleiters haben müsste?
Denn nur dann weiß die Bevölkerung, dass es gerecht dabei zugeht. – Es ist tatsächlich so, dass heute die Menschen, die wir bei der Machtübernahme vergessen haben zu beerdigen, über Menschenschicksale entscheiden.« 27)
Ernst Leitz (3.v.l.) mit seinen Söhnen Ludwig, Günther und Ernst (v.l.) im Garten von Haus Friedwart © Ernst Leitz Stiftung
Nazi-Bürgermeister Kindermann warnt Ernst Leitz
Von Bernd Lindenthal
Als wiederum Bürgermeister Kindermann Ernst Leitz im Jahre 1941 dringend ans Herz legte, in die NSDAP einzutreten und dies als letzte Chance bezeichnete, wodurch auch deutlich wurde, dass der Parteieintritt seines Sohnes Ludwig vom 30. November 1939 nicht ausgereicht hatte, entschloss sich der Senior schweren Herzens zu diesem Schritt und stellte am 10. März 1941 den Aufnahmeantrag. 28)
Er wollte sein Unternehmen und seine Mitarbeiter nicht einer unberechenbaren Leitung überlassen. Das Gaupersonalamt gab Ende November 1942 auf Anfrage des Gauwirtschaftsberaters folgende Einschätzung der Persönlichkeit von Dr. Ernst Leitz:
»Er war vor der Machtübernahme im politischen Leben in Wetzlar eine besondere Persönlichkeit. Er war im Jahre 1922 – 1928 führender Demokrat, demokratischer Stadtverordneter und marschierte sogar aktiv im Reichsbanner mit und kleidete dieses im Jahre 1930/31 auf seine Kosten mit Uniform ein. Später ging er zur Staatspartei über und kandidierte auch für diese bei den Landtagswahlen.
Seine, nach links gerichtete Aktivität ging soweit, dass er während der Kampfzeit in öffentlichen Versammlungen gegen die NSDAP auftrat. Noch im Jahre1932 bezeichnete er Nationalsozialisten als ›Braune Affen‹.
Sein politisches Verhalten nach der Machtübernahme ließ jahrelang eine positive Einstellung zum Nationalsozialismus nicht erkennen. In dieser Hinsicht ist seine Haltung bezüglich der Judenfrage besonders hervorzuheben. Die Umgestaltung des Lebens, die die Machtübernahme mit sich brachte, fruchtete bei Ernst Leitz sen. zunächst gar nicht und späterhin nur teilweise und sehr langsam. Vielmehr hatte die demokratische Auffassung stets eine aktive Betonung zu verzeichnen, insbesondere war und ist wohl auch bis zu einem gewissen Grade heute noch seine internationale Betrachtung auf dieser Grundlage fundamentiert.
Seine Geschäftsbeziehungen mit Juden im Ausland und auch mit Emigranten, die es vorgezogen haben, nach der Machtübernahme das Deutsche Reich zu verlassen, waren noch lange Jahre nach der Machtübernahme sehr eng. Seine Einstellung zur Judenfrage war niemals angepasst an die von der NSDAP veranlassten Maßnahmen und Anschauungen im deutschen Volk. Nur so konnte es geschehen, dass noch im Jahre 1938 ein Abteilungsleiter der Leitz-Werke für nach Amerika ausgewanderte Juden Empfehlungsschreiben zur Aufnahme von Geschäftsbeziehungen erteilen konnte. Die Angelegenheit wurde damals aufgegriffen und dieser Abteilungsleiter wurde entlassen. Allerdings wird er nach wie vor seitens der Firma Leitz durch eine reichliche Pension auskömmlich unterhalten.
Wenn somit der Angefragte in politischer Hinsicht nicht günstig geschildert wird, so ergibt dafür sein soziales Verhalten ein erfreulicheres Bild. […] Bei der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle, ist der Angefragte aktenmäßig bekannt. Eine schriftliche Berichterstattung kann nicht erfolgen. Ich empfehle Akteneinsicht daselbst.« 29)
Von Bernd Lindenthal
Konnte die Mitgliedschaft in der ungeliebten Partei ihn und seine Familie vor weiteren Verfolgungen durch das Regime schützen? Die Frage ist eindeutig zu verneinen, wie der weitere Verlauf zeigte:
»Anfang 1942 fuhr ich zusammen mit Herrn Glocker zur Gauwirtschaftskammer, um gegen eine große Anzahl von Anklagen, die der Gauleiter gegen mich erhoben hatte, Stellung zu nehmen. Es handelt sich um Anklagen gegen meine Firma, meine Söhne, Herrn Dumur, Herrn Dr. Becker, Herrn Professor Abramow, bei denen wir immer wieder die große Gefahr, in der wir alle schwebten, feststellen mussten, und die für mich persönlich und meine Familie mit unerträglichen Nervenanstrengungen verbunden war.« 30)
Ernst Leitz nahm nicht nur am Parteileben keinen Anteil, sondern machte auch ausseiner Abneigung ihr gegenüber keinen Hehl. Belegt ist eine Aussage bezüglich des Parteiabzeichens:
»Da guck hin, ich muss den Pfannekuche anziehen, damit unser Kram hier weiterläuft, aber die damit zusammenhänge, würde ich am liebsten vergiften […] Wenn ich den Pfannekuche net anhätt’, wär das net mehr.« 31)
Werkmeister Palm erklärte, dass er Ernst Leitz gegenüber, die zunehmenden Schwierigkeiten der Materialbeschaffung beklagt habe und dieser entgegnet habe:
»Palm, es wird nicht früher wieder besser, als bis die braune Pest verschwunden ist.« 32) Eine häufig von ihm gemachte Äußerung lautete: »Machen die Verbrecher denn nicht bald Schluss?«.
Von Bernd Lindenthal
Das Damoklesschwert der Entfernung aus seinem eigenen Betrieb blieb über dem Seniorchef. In der Spruchkammerakte wird ausgeführt:
»Über die drohende Einsetzung eines Nazi-Kommissars für die Leitz-Werke und über die vorstehende Verhaftung von Mitgliedern der Leitz-Familie wurden immer wieder Andeutungen gemacht. Diese kamen von verschiedenen Seiten, wurden aber nicht ernst genommen, bis die Berliner Niederlassung der Leitz-Werke eine ähnliche Warnung gab, und zwar auf Grund von Winken, die diese vom Reichswirtschaftsministerium erhalten hatte; bis ferner der Kreisleiter in dieser Hinsicht Anspielungen machte und ebenso eine Frau Gerke, die eine merkwürdige Rolle für die Gestapo spielte, Leitz bedroht hatte.
Herr Dr. Giesbert, Direktorder Buderus’schen Eisenwerke, Wetzlar, wie auch der Herr Oberstaatsanwalt Wilhelm von Frankfurt, gegenwärtig wohnhaft zu Kronberg im Taunus, Bahnhofstr. 17, bestätigten später die Echtheit der Gefahr. Dr. Giesbert berichtete, dass drei verschiedene Herren ihn nacheinander aufsuchten und seinen Rat erbaten hinsichtlich des Postens eines Kommissars für die Leitz-Werke, der ihnen angeboten worden war. Auf seine Empfehlung hin lehnten die dies aber ab.
Die Aussage von Herrn Wilhelm bestätigt, dass die Gestapo die Absicht hatte, die Leitz-Familie zu ›liquidieren‹. Er erhielt diese Information, als er den Fall des Stadtkämmerers Horn bearbeitete. Herr Horn war verhaftet worden, weil er abfällige Bemerkungen über das Regime in einer Gesellschaft im Hause Leitz gemacht hatte und war von irgend jemand denunziert worden. Zur gleichen Zeit erhielt Leitz die Nachricht von Inspektor Brachwitz von der »Nachrichtenabteilung 9« in Wetzlar, der ein Gespräch des Kreisleiters Haus mit angehört hatte, der sich so ausdrückte:
›Heute kommen zwei Wetzlarer Größen zu Fall.‹Da Herr Horn verhaftet wurde, konnte unter der zweiten Person nur Herr Dr. Leitz verstanden werden.« 33)
Von Bernd Lindenthal
Nach dem 30. Januar 1933 hatten die Nazis nicht nur den Rechtsstaat zerstört, sie schufen mit der Gestapo auch ein allmächtiges Terrorinstrument, das keiner Kontrolle unterlag. Mit dem Gestapogesetz vom 10. Februar 1936, das staatspolizeiliche Aktionen grundsätzlich richterlicher Nachprüfung entzog (§ 7) und damit die bisherige Praxis legalisierte, war der Rechtsschutz des Individuums endgültig verloren. Verhaftung und Verschleppung in ein Konzentrationslager unterlagen daher keiner Rechtskontrolle. Die Gestapo allein hatte die Aufgabe »alle staatsgefährlichen Bestrebungen […] zu erforschen und zu bekämpfen« (§1).
Mit diesen schwammig und weit gefassten Begriffen war die politische Polizei ermächtigt, auch vorbeugend zu handeln und sie konnte selbst definieren, was eine politische Straftat war.
Potentiell war im totalitären Staat des Nationalsozialismus jede Straftat eine politische Tat, weil sie gegen die Staatsideologie verstieß. »Da diese Staatsideologie auf dem Begriff der, ›Volksgemeinschaft‹ beruhte, welche sich wiederum durch die ›arische Abstammung‹ konstituierte, war eine Straftat somit zugleich eine Art Treuebruch und Verrat an der ›Volksgemeinschaft‹, also ein ›politisches‹ Vergehen. Jede Straftat hatte damit im Grunde, zumindest tendenziell, politische Bedeutung. […]
Dass der Begriff ›politisch‹ beliebig uferlos definiert werden konnte, war auch herrschende Meinung bei den Juristen […]. Der Begriff, ›politisch‹ wird somit zum Schlagwort, mit dem das Regime alles »Unerwünschte« bekämpfte. ›Unerwünscht‹ ist alles, was der Staatsideologie zuwiderläuft. Damit ist es zugleich auch potentiell kriminell. Jede Kritik wird dadurch politisiert und zugleich kriminalisiert.« 34)
Angesichts dieser Machtfülle und Willkür ließen sich Risiken bei unerwünschtem und unangepasstem Handeln überhaupt nicht einschätzen und sie bestanden auch für Ernst Leitz. Im Übrigen wäre die Justiz im Dritten Reich als Korrektiv oder Gegenspieler zur politischen Polizei völlig ungeeignet gewesen, denn sie war auch nur ein Werkzeug des NS-Staates:
- »Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen ist die nationalsozialistische Weltanschauung, wie sieinsbesondere in dem Parteiprogramm und den Äußerungen unseres Führers ihren Ausdruck findet.
- Gegenüber Führerentscheidungen, die in der Form eines Gesetzes oder einer Verordnung gekleidet sind, steht dem Richter kein Prüfungsrecht zu. […]
- Gesetzliche Bestimmungen, die vor der nationalsozialistischen Revolution erlassen worden sind, dürfen nicht angewendet werden, wenn ihre Anwendung dem heutigen gesunden Volksempfinden ins Gesicht schlagen würde.« 35)
Ernst Leitz kannte sicher auch den Fall Hugo Junkers, der Eigentümer der Hugo Junkers Flugzeugwerke in Dessau war. Auch er galt den Nazis ebenso wie Ernst Leitz als politisch unzuverlässig und wurde bereits 1933 gezwungen, 51 Prozent seiner Anteile an das Reichsluftfahrtministerium entschädigungslos abzugeben. Gleichzeitig bekam er Hausverbot in seinen Werken und wurde unter Hausarrest gestellt. Er starb bereits zwei Jahre später krank und zurückgezogen im Alter von 76 Jahren.
Von Bernd Lindenthal
Nach dem 30. Januar 1933 hatten die Nazis nicht nur den Rechtsstaat zerstört, sie schufen mit der Gestapo auch ein allmächtiges Terrorinstrument, das keiner Kontrolle unterlag. Mit dem Gestapogesetz vom 10. Februar 1936, das staatspolizeiliche Aktionen grundsätzlich richterlicher Nachprüfung entzog (§ 7) und damit die bisherige Praxis legalisierte, war der Rechtsschutz des Individuums endgültig verloren. Verhaftung und Verschleppung in ein Konzentrationslager unterlagen daher keiner Rechtskontrolle. Die Gestapo allein hatte die Aufgabe »alle staatsgefährlichen Bestrebungen […] zu erforschen und zu bekämpfen« (§1).
Siehe Tafel 8 »Gestapo-Verhörstelle« im Aldefeldschen Haus Button
Mit diesen schwammig und weit gefassten Begriffen war die politische Polizei ermächtigt, auch vorbeugend zu handeln und sie konnte selbst definieren, was eine politische Straftat war.
Potentiell war im totalitären Staat des Nationalsozialismus jede Straftat eine politische Tat, weil sie gegen die Staatsideologie verstieß. »Da diese Staatsideologie auf dem Begriff der, ›Volksgemeinschaft‹ beruhte, welche sich wiederum durch die ›arische Abstammung‹ konstituierte, war eine Straftat somit zugleich eine Art Treuebruch und Verrat an der ›Volksgemeinschaft‹, also ein ›politisches‹ Vergehen. Jede Straftat hatte damit im Grunde, zumindest tendenziell, politische Bedeutung. […]
Dass der Begriff ›politisch‹ beliebig uferlos definiert werden konnte, war auch herrschende Meinung bei den Juristen […]. Der Begriff, ›politisch‹ wird somit zum Schlagwort, mit dem das Regime alles »Unerwünschte« bekämpfte. ›Unerwünscht‹ ist alles, was der Staatsideologie zuwiderläuft. Damit ist es zugleich auch potentiell kriminell. Jede Kritik wird dadurch politisiert und zugleich kriminalisiert.« 34)
Angesichts dieser Machtfülle und Willkür ließen sich Risiken bei unerwünschtem und unangepasstem Handeln überhaupt nicht einschätzen und sie bestanden auch für Ernst Leitz. Im Übrigen wäre die Justiz im Dritten Reich als Korrektiv oder Gegenspieler zur politischen Polizei völlig ungeeignet gewesen, denn sie war auch nur ein Werkzeug des NS-Staates:
- »Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen ist die nationalsozialistische Weltanschauung, wie sieinsbesondere in dem Parteiprogramm und den Äußerungen unseres Führers ihren Ausdruck findet.
- Gegenüber Führerentscheidungen, die in der Form eines Gesetzes oder einer Verordnung gekleidet sind, steht dem Richter kein Prüfungsrecht zu. […]
- Gesetzliche Bestimmungen, die vor der nationalsozialistischen Revolution erlassen worden sind, dürfen nicht angewendet werden, wenn ihre Anwendung dem heutigen gesunden Volksempfinden ins Gesicht schlagen würde.« 35)
Siehe auch Tafel 4 »NSDAP-Kreisleitung # Gleichschaltung aller Bereiche Button
Ernst Leitz kannte sicher auch den Fall Hugo Junkers, der Eigentümer der Hugo Junkers Flugzeugwerke in Dessau war. Auch er galt den Nazis ebenso wie Ernst Leitz als politisch unzuverlässig und wurde bereits 1933 gezwungen, 51 Prozent seiner Anteile an das Reichsluftfahrtministerium entschädigungslos abzugeben. Gleichzeitig bekam er Hausverbot in seinen Werken und wurde unter Hausarrest gestellt. Er starb bereits zwei Jahre später krank und zurückgezogen im Alter von 76 Jahren.
Andererseits brauchten die Nazis die Leitz-Werke
Von Bernd Lindenthal
Die Leitz-Werke waren als Lieferant von Militäroptik im Rahmen der Wiederaufrüstung wichtig. Leitz hatte bereits im Ersten Weltkrieg Zielfernrohre, Marinegläser, U-Boot-Periskope, Scherenfernrohre, Auswertegeräte für Luftaufnahmen etc. gefertigt. Obwohl sich Leitz in den 1930er Jahren vornehmlich der Leica Fertigung widmete, besaß das Unternehmen für den Kriegsfall großes Know-how zur Herstellung u.a. von Geschützkollimatoren für die Artillerie.
Auch auf dem Gebiet der Rundblickfernrohre und der Waffenmess- und -Prüfeinrichtungen lag Leitz im Vergleich zur Konkurrenz vorne. Die Leitung gerade dieses Werkes in den Händen eines Mannes mit »politisch nicht einwandfreier Gesinnung« zu wissen, war für das Regime nur schwer erträglich.
Eine Zusammenführung der beiden großen Hersteller hochwertiger Militäroptik (Zeiss und Leitz) hätte für das NS-Regime nicht nur den Vorteil gebracht, an beiden Standorten linientreue Geschäftsführer zu haben, sondern auch Synergieeffekte in Forschung und Entwicklung zu nutzen und damit die Entwicklungszeiten zu verkürzen.
Es wäre leicht gewesen, Ernst Leitz angesichts seines Pensionsalters, seiner politischen Vergangenheit vor 1933, seiner ablehnenden Haltung gegenüber den neuen Machthabern, seiner ständigen Provokation des Regimes durch seine Hilfen für Juden und seiner politischen Unzuverlässigkeit als Hersteller von Militäroptik in Pension zu schicken und ihm Hausverbot zu erteilen.
Dieses Damoklesschwert hing bis Kriegsende über ihm. Dennoch scheute er sich nicht, 1943 zusammen mit seiner Tochter und seiner Schwester der Jüdin Hedwig Palm zur Flucht zu verhelfen und politisch Verfolgte aus den Händen der Gestapo zu befreien.
Auch der Weggefährte und Kaufmännische Geschäftsführer Henri Dumur, der es als Schweizer ablehnte, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, war ständig von dem gleichen Schicksal bedroht.
Von Bernd Lindenthal
Am 10. September 1943 wurden Ernst Leitz und seine Tochter Dr. Elsie Kühn-Leitz auf die Gestapostelle Wetzlar bestellt, die Tochter anschließend verhaftet. […]
Elsie Kühn-Leitz wurde vorgeworfen »einer Jüdin zur Flucht verholfen zu haben«, und damit ein schlimmes Verbrechen begangen zu haben. Sie wird in Gestapo-Haft genommen und in das Polizeigefängnis Klapperfeldstraße (Frankfurt am Main) verbracht. Leitz gelang es, sie für eine Hohe Summe »freizukaufen«. Damit wurde sie vor der Verschleppung in ein KZ gerettet.
Ihre traumatischen Erlebnisse schreibt sie Anfang 1947 in einer umfangreichen Niederschrift nieder.
Von Bernd Lindenthal
Der Gestapo galt das Haus Leitz als staatsfeindlich, weil seine demokratische Einstellung bekannt war. Die Gestapo berichtete daher an das sogenannte Hauptsicherungsamt in Berlin und versuchte auf diesem Wege unter Einschaltung des früheren Reichsjustizministeriums die Abgabe der Sache an den Volksgerichtshof zu erreichen. Wäre dies geschehen, so hätte man bei Horn mit der Möglichkeit einer Todesstrafe zu rechnen gehabt.« 54) Gemeinsam gelang Humbert und Wilhelm die Entlassung von Horn aus der Haft am 24. Juni 1944.
Am 29. November 1944 schließlich wurde der Leiter der Kalkulationsabteilung bei Leitz, Paul Flohr, verhaftet. Ihm wurde Wehrkraftzersetzung vorgeworfen und auch hier drohte ein Volksgerichtshofverfahren. Es gibt einen entsprechenden Brief der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main als Anklagebehörde beim dortigen Sondergericht vom 6. Januar1945 an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin. 55) Wenigstens diese Bedrohung konnte wiederum Hans Humbert auf Bitten von Ernst Leitz abwenden. Flohr wurde aber erst durch die Amerikaner befreit.
Bei dem erstaunlich langen und mutigen Kampf des Unternehmers Ernst Leitz gegen die NSDAP waren es drei Aspekte, die ihm zugutekamen:
- Das hohe Devisenaufkommen der Firma und
- die Neigung im Wirtschaftsministerium besonders in der Vorkriegszeit politische Eingriffe in die Wirtschaft zu missbilligen 56) sowie schließlich
- wegen der engen Verbundenheit zwischen Ernst Leitz und seinen Arbeitern und Angestellten die Furcht der politischen Instanzen vor massiven Protestaktionen der Belegschaft, wenn ihrem Chef etwas passieren sollte. 57)
Öffentliche Verweigerung der Loyalität und dazu in einem Umfang von rund 3.600 Menschen wollte die Partei nicht riskieren. Eine garantierte Sicherheit gab es allerdings in diesem Willkür- und Terrorsystem gerade unter den Bedingungen des »totalen Krieges« nicht, auch nicht für Ernst Leitz. Dies zeigen die mit der Dauer des Krieges rasant zunehmenden Einweisungen in ein Konzentrationslager, zum Beispiel wegen Fluchthilfe für Juden, so genannter Rundfunkverbrechen und »Wehrkraftzersetzung«. Beispielsweise war der illegale Transfer von Geld von Leitz-Wetzlar nach Leitz-New York ein Devisenvergehen und »Judenbegünstigung« (siehe Kapitel Dr. med. Aron und Betty Strauss). Bei Aufdeckung hätte Ernst Leitz als Alleingesellschafter mit harten Konsequenzen rechnen müssen.
Im Jahre 1944 erlitt Ernst Leitz einen Nervenzusammenbruch. Aus einem rüstigen 70-jährigen Anfang der 1940er Jahre war in kurzer Zeit ein körperlich und seelisch stark angegriffener alter Mann geworden. Aber die Versuche, dem Betrieb alle führenden Köpfe zu nehmen und über diesen Hebel das ganze Unternehmen in die Hand zu bekommen, hörten bis zum Kriegsende nicht auf.
Noch am 10. März 1945 (am Vormittag des 27. März tauchten die ersten amerikanischen Panzer westlich der Stadt auf) wurde der Betriebsdirektor, Ingenieur Franz Bauer, geb. 1903 in Gießen, verhaftet und gleichzeitig aus der NSDAP ausgeschlossen. Er war der Sohn des technischen Direktors August Bauer, der am 30. Januar 1943 verstorben war und dessen Position er eingenommen hatte.
Die Verhaftung geschah auf Veranlassung des Kreisleiters Wilhelm Haus durch die Gestapo, die ihm vorwarf, dass im unterirdischen Betrieb der Firma Leitz nur wenige Maschinen liefen, anstatt die gesamte Kapazität auszunutzen. Außerdem würde er sich gegen jede Einberufung eines Betriebsangehörigen zur Wehrmacht oder zum Volkssturm wehren. Franz Bauer machte später folgende Angaben:
»Schon vor einem halben Jahr wurde ich aufgrund einer längeren Anklageschrift unbekannter Herkunft, die mir das Rüstungskommando Gießen vertraulich zeigte, vernommen. Als Endforderung in dieser Anklageschrift wurde bereits hier die Einsetzung eines Kommissars deutlich zum Ausdruck gebracht, da die Firma Leitz, insbesondere der Betriebsführer und Betriebsleiter, während des ganzen Krieges den politischen und abwehrmäßigen Forderungen in keiner Weise Rechnung getragen hätten und im Stillen ständig Vorbereitungen für die Friedensfertigung träfen, insbesondere der Herstellung von Leicas.« 58)
Franz Bauer war auch Abwehrbeauftragter von Leitz. Als solcher hatte er die Aufgabe, Sabotageakte zu verhindern und zu melden, was er aber unterließ oder dilatorisch (zögerlich) behandelte. 59)
Es erfolgte Bauers Einlieferung in das Polizeigefängnis Frankfurt, wo ihm eröffnet wurde, dass Kreisleiter Haus im Einverständnis mit Gauleiter Sprenger und dem Wehrkreisbeauftragten Gamer den Antrag gestellt habe, ihn, Bauer, innerhalb von 24 Stunden vor ein Standgericht zu bringen.
Dass dies keine leeren Drohungen waren, beweist die Ermordung des Wetzlarer Bürgers Ernst Sauer, der mit einem Schild an seinem Haus die Amerikaner als Befreier begrüßen wollte. Haus ließ ihn noch am gleichen Tage, am 27. März 1945, nach einem standgerichtlichen »Urteil« von Volkssturmmännern aufhängen. 60)
Im Falle Bauer ging die Sache glimpflicher aus. Ernst Leitz und seiner Tochter gelang es, den Todeskandidaten sechs Tage nach seiner Verhaftung wieder freizubekommen.
Bild vom 1. März 1956: 85. Geburtstag von Ernst Leitz II Ernst Leitz II mit Tochter Elsie Kühn-Leitz bei der Geburtstagsfeier im Haus Friedwart.
© Ernst Leitz Stiftung
Von Bernd Lindenthal
Wie eine Vollendung dieses konsequenten und beharrlichen Kampfes mutet es an, dass die mutige Tochter von Ernst Leitz den Kommandeur der amerikanischen Panzertruppen davon abbringen konnte, Wetzlar im letzten Moment zu beschießen und dass Ernst Leitz von der Spruchkammer 1947 – wie nicht anders zu erwarten – als Entlasteter eingestuft wurde.
Die Kenntnis aller dieser Fakten und Zusammenhänge erscheint wichtig, um den couragierten Einsatz von Ernst Leitz für die vielen rassisch und politisch Verfolgten richtig bewerten zu können.
Den Rettungswiderstand, den Ernst Leitz II leistete, wird in dem nächsten Kapitel von Bernd Lindenthal beschreiben.
Bild: Rund 5.000 Angehörige der Leitz-Werke standen am Samstag, den 13. Juni 1954 in Koblenz am »Deutschen Eck«. Auf dem Stuhl Ernst Leitz II. Anlass war ein Betriebsausflug an den Rhein. In mehreren Sonderzügen fuhren die Belegschaften von Wetzlar das Lahntal entlang © Ernst Leitz Stiftung
Ziffern und Reihenfolge entspricht den Angaben aus dem Buch »Ernst Leitz II Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert.« zum Kapitel »Der lange Kampf mit den Nationalsozialisten«
- Diesem Buch, von Kritikern als zu milde beurteilt, stand Heuss nach 1945 sehr selbstkritisch gegenüber und verweigerte eine Neuauflage. 2008 erschien ein Reprint der 8. Auflage 1932 im Georg Olms Verlag.
- Becker, Ernst Wolfgang, Theodor Heuss, Stuttgart 2011, S. 89 f.
- Wiedl, Wolfgang, a.a.O., S. 125
- HHStAW, Abt. 483, Nr. 11114
- Mayer, Ulrich, Das Eindringen des Nationalsozialismus in die Stadt Wetzlar, in: MWGV, 24. Heft, Wetzlar 1970, S. 92
- ebenda, S. 97
- HHStAW, Abt. 520/F in K. 1991
- ebenda
- Der seit 1927 in der NSDAP aktive Karl Lüer war im Mai 1933 zum Präsidenten der Frankfurter IHK und im Juni 1933 zum Führer der hessischen »Reichsgruppe Industrie« berufen worden, ab 1938/39 saß er im Aufsichtsrat der Buderus‘schen Eisenwerke Wetzlar, 1942/43 war er Vorstandsmitglied der Dresdner Bank und Vorstandsvorsitzender der Adam Opel AG. Siehe: Rossmann, Witich, »Panzerrohre zu Pflugscharen«, Wetzlar 1987, S. 35 und 112 f.
- Anlage 3
- Spruchkammerakte Dr. Ernst Leitz sen. Die einzelnen Fälle sind bei Frank Dabba Smith/Heidi Trabert in diesem Band dargestellt. Zur Leica-Schule siehe auch Günter Osterloh, Leica-Schule Wetzlar leistet Pionierarbeit, »Wetzlarer Neue Zeitung“, Beilage Heimat an Lahn und Dill, 10.7.2011
- HHStAW, Abt. 483, Nr.4390b. Siehe auch: Meinl, (Anm. 23), S.119 f. und Ebertz, Jüdische Familien, S. 263
- Spruchkammerakte Ernst Leitz sen.
- HHStAW, Abt. 520/F in K. 1991, Eidesstattliche Erklärung Eugen Kindermann
- ebenda
- ebenda, Anlage 12
- HHStAW, Abt. 483, Nr. 4407, und Meinl, Susanne, »Eine Fahrkarte nach Palästina können Sie haben …«, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wetzlar 1918 bis zu ihrem Ende, Wetzlar 2010, S. 238
- Meinl, Susanne, a.a.O., S. 238 f.
- HHStAW, Abt. 520/F in K. 1991, Anlage 13
- Kreisleiter Haus an Kreisleitung Groß-Frankfurt vom 22.4.1939, HHStAW, Abt. 483, Nr. 4374a; s. auch: Meinl, Fahrkarte, S. 147 f.
- HHStAW, Abt. 483, Nr. 4475d (Hervorhebung vom Verf.)
- HHStAW, Abt. 483, Nr. 11114. Er wurde unter der Nummer 8.822.317 geführt. Die Mitgliedskarte traf erst im Mai 1942 ein, daher datiert E. Leitz seine Aufnahme in das Jahr 1942. Für Ernst Leitz war es »der schwerste Gang meines Lebens.« Er wurde ebenso wie Franz Bauer zum 1.4.1941 aufgenommen. Sein Sohn Ludwig hatte am 30.11.1939 die Aufnahme in die NSDAP beantragt, Dr. Hugo Freund am 14.10.1939 und Hans Glocker am 6.10.1941, Bundesarchiv Berlin NSDAP-Mitgliederkarteikarten.
- HHStAW, Abt. 483, Nr. 11114, Brief vom 26. 11. 1942
- HHStAW, Abt. 520/F in K. 1991, S. 9 f.
- Aussage Karl Benk, Jg. 1908, in: Peter, Marianne, Links wo das Herz ist, Gießen 1996, S. 61 f.
- HHStAW, Abt. 520/F in K. 1991, Anlage 11
- Spruchkammerakte Dr. Ernst Leitz sen., s. dort die Eidesstattliche Versicherung von Oberstaatsanwalt Wilhelm
- nach: Dreier, Ralf/ Sellert, Wolfgang, Recht und Justiz im »Dritten Reich«, Frankfurt 1989, S. 141 f.
- Hans Frank, Reichsminister 1936, zit. nach Hofer, Walther (Hrsg.), Der Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1957, S.101 f.
- Kingreen, Monica, »Die gewaltsame Verschleppung der Juden aus den Dörfern des Kreises Wetzlar und aus der Stadt Wetzlar im Jahre 1942«, in: MWGV, 41. Bd. 2003, S. 167-199, hier S. 190 ff.
- Nach dem Urteil des Parteigerichts Wetzlar vom 13. 12. 1943, HHStAW, Abt. 483, Nr. 4356b. Siehe ausführlich: Lindenthal, Bernd, »Volksschädlinge«, »Staatsfeinde“ und »Rosinen-Nazis«. Über den Umgang der NSDAP mit vermeintlichen oder tatsächlichen Gegnern in Wetzlar, in: MWGV, 37. Heft, 1994, S.125-189, hier S. 167 ff.
- HHStAW, Abt. 483, Nr. 4356b
- Mitteilung des ITS (Anm. 48) Arolsen vom 1.9.2011, Karte Julie Gerke
- Unterlagen des Department of the Army, Brief vom 22.8.1994
- Nass, Klaus Otto (Hrsg.), Elsie Kühn-Leitz – Mut zur Menschlichkeit. Vom Wirken einer Frau in ihrer Zeit, Bonn 1994, S. 41-76, hier S. 75
- ebenda, S. 47 ff.
- ebenda, S. 45
- ebenda, S. 68 f.
- ebenda, S. 66
- HHStAW, Abt.520/F in K.1991
- Nass, Klaus Otto, a.a.O., S.75
- Auskunft des International Tracing Service (ITS), Bad Arolsen, am 1.9.2011 und HHStAW, Abt. 518, Nr. 25413 und 25414
- Aus der Eidesstattlichen Erklärung Helene Irle vom 9.4.1957, HHStAW, Abt. 518, Nr. 2288/05
- HHStAW, Abt. 483, Nr. 4477a
- HHStAW, Abt. 518, Nr. 2288/05
- siehe Spruchkammerakte Ernst Leitz sen.
- ebenda, aus dem Spruchkammerurteil vom 3.7.1947, S. 3
- HHStAW, Abt.520/F in K.1991, Anlage 17
- HHStAW, Abt. 461, Nr. 9468
- Humbert, Anlage 13, Spruchkammerakte E. Leitz sen.
- Henri Dumur nach Erb, Willi, a.a.O., S.128
- Spruchkammerakte Franz Bauer, HHStAW, Abt. 520/We Nr. 768
- ebenda und in Auszügen gedruckt bei W. Rossmann, (Anm. 15), S. 273-276
- siehe Wiedemann, A., Wetzlar von 1945-1949, MWGV, 33. Heft, Wetzlar 1988, S. 93 ff
Von Bernd Lindenthal
Die Aufarbeitung der Geschichte des Widerstandes gegen das barbarische NS-System ist auch ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft und ihrer Befindlichkeit. Zunächst war für die maßgeblichen westdeutschen Politiker und meinungsbildenden Eliten Widerstand gegen den NS-Staat schlichtweg Verrat. In diesem Klima wurde Leuten, die zum Beispiel Juden und andere Verfolgte über die Grenze gebracht und dafür jahrelang in Haft gesessen hatten, die Wiedergutmachungsansprüche abgelehnt, weil sie sich wegen Passierscheinvergehens bzw. Zersetzung der Wehrmacht schuldig gemacht hätten. 1) Oder Personen, die wegen ihrer Verfolgung in der NS-Zeit Renten bezogen, verloren diese wieder, wenn sie in die Nähe der KPD gerückt werden konnten. 2)
Schnell aber wurde im Westen vor allem die Erinnerung an die Attentäter des 20. Juli 1944 als identitätsstiftend instrumentalisiert, während zugleich Herbert Wehner als früherem Kommunisten die Berechtigung abgestritten wurde, am Jahrestag des Attentats eine Gedenkrede zu halten. In der DDR wurde umgekehrt von Anfang an der kommunistische Widerstand heroisiert und ebenfalls zur Abgrenzung zur BRD instrumentalisiert und anderer Widerstand ignoriert.
Erst 1985 hatte sich der Bundestag durchgerungen, den Volksgerichtshof, der unter anderen auch die Mitglieder der »Weißen Rose« verurteilt hatte, als »Terrorinstrument zum Machterhalt des NS-Regimes« zu charakterisieren. Und erst 1998 erklärte er alle Urteile dieses Gerichts für von Anfang an ungültig und für aufgehoben. Bis heute hat sich hier ein gewaltiger Wandlungsprozess vollzogen.
Zugleich hat die Widerstandsforschung bei der Definition von Widerstand und der Anerkennung seiner verschiedenen Erscheinungsformen enorme Fortschritte gemacht. Früher ging man bei Widerstand immer von Gruppen aus, die um aktive Bekämpfung des NS-Systems bis zum Staatsstreich bemüht waren. Für die breite Palette von Dissens, Verweigerung, Zivilcourage und Ungehorsam im Alltag bestand lange Zeit weder ein öffentliches noch ein wissenschaftliches Interesse.
Dabei waren solche Formen durchaus schon früh bekannt und publiziert. 1957 erschien von Philip Friedman »Their Brother‘s Keepers« 3), ein Buch über Rettungsversuche von Juden in Europa. Leider enthält es kein Kapitel zum Deutschen Reich und ist bis heute nicht ins Deutsche übersetzt. Im gleichen Jahr erschien in Deutschland »Die unbesungenen Helden« 4) von Kurt Grossmann. Er wollte über jene Menschenfreunde informieren, die trotz der damit verbundenen Gefahren ihren jüdischen Mitbürgern geholfen hatten. In diesem Buch befindet sich bereits ein Abschnitt über den Feldwebel Anton Schmidt, der etwa 300 Juden rettete und dafür von einem Kriegsgericht der Wehrmacht verurteilt und hingerichtet worden war.
Seine Aktionen waren im Jerusalemer Eichmann-Prozess von 1961 bekannt geworden. Erst im Jahre 2000 hatte ein Verteidigungsminister (Rudolf Scharping, SPD) den Mut, eine Kaserne nach Anton Schmidt zu benennen. Grossmann veröffentlichte in seinem Buch auch den umfangreichen Bericht von Oskar Schindlers Rettungsaktivitäten. Aber erst 1993 wurden sie durch den Spielfilm »Schindlers Liste« in Deutschland und der Welt zur Kenntnis genommen und gewürdigt.1957 blieben sie unbeachtet.
Eine singuläre Aktion in Anlehnung an Grossmann ging von dem Westberliner Innensenator Joachim Lipschitz aus, auf dessen Initiative der Westberliner Senat bis 1963 insgesamt 738 »unbesungene Helden« ehrte, die selbstlos Juden geholfen hatten. 1864 Anträge waren eingegangen, doch Lipschitz strich über die Hälfte, unter anderem solche aus dem Kleinkriminellen- und Prostituiertenmilieu aus moralischen Gründen. Auch dies aus heutiger Sicht ein nicht nachvollziehbarer Dünkel und eine vertane Chance, die Rolle der »Halbwelt«, erfahren und geübt in illegaler Praxis, genauer zu untersuchen und zu würdigen. Dennoch hatte Lipschitz, selbst »Halbjude« und 1944 untergetaucht, hoch gesteckte Ziele. Er wollte nichts weniger, als den Deutschen die übliche Verehrung der Kriegshelden austreiben und die Verehrung der Helfer und Retter als Helden der Humanität an ihre Stelle setzen. Er starb 1961 bitter enttäuscht, dass kein anderes Bundesland und keine andere Stadt seine Initiative aufgreifen wollte.
Von 1964 bis 1967 führte Manfred Wolfson Interviews zum Rettungswiderstand in Deutschland. Er fragte die Helfer nach ihrer sozialen Herkunft und Erziehung, nach ihrer politischen Bildung, ihren Einstellungen zu Juden und zur deutschen Nation. Auf der Suche nach der altruistischen Persönlichkeit wollte er einen Beitrag zur Stärkung der »subculture of freedom« leisten. Seine Studie blieb unvollendet und danach wurde es lange Zeit sehr still um die »stillen Helden«, die »Goldkörnchen unter jenem großen Schutthaufen der Geschichte, den uns die NS-Herrschaft hinterlassen hat«, wie Wolfram Wette es ausdrückte. 5)
Erst in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, beflügelt durch die außergewöhnliche Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, erwuchs aus Hunderten lokaler Studien und Initiativen meist jüngerer Forscher eine neue Kultur der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit mit dem Impetus (Anstoß) der überfälligen Bringschuld. In diesem Zusammenhang wurden auch viele »stille Helden« entdeckt und wieder entdeckt und der Helfer- und Rettungswiderstand gesellschaftlich anerkannt. Die Akteure dieses Widerstands haben zunächst eines gemeinsam: nicht immer ihre späte Entdeckung wie gezeigt, sondern ihre späte Würdigung und Anerkennung. Auf die Gründe hierfür wird am Schluss noch einzugehen sein. Zunächst ein unvollständiger Überblick.
Von Bernd Lindenthal
1988 wurde Aristides de Sonsa Mendes vom portugiesischen Parlament rehabilitiert. Er hatte als portugiesischer Generalkonsul in Bordeaux 30.000 Flüchtlinge, darunter 10.000 Juden, durch Ausstellung von Visa gegen die Vorschriften vor den Nazis in Sicherheit gebracht. In Portugal wurde er nach einem Disziplinarverfahren aus dem Diplomatischen Dienst entlassen und starb völlig verarmt 1954. 6) Yad Vashem ehrte ihn bereits 1966 als »Gerechter unter den Völkern«.
Erst 1996 wurde in Solingen an dem ehemaligen Wohnhaus von Hermann Gräbe eine Gedenktafel angebracht. Der in der Ukraine eingesetzte Bauingenieur rettete Tausende Juden vor der Vernichtung und war der einzige deutsche Zeuge, der deutsche Angeklagte bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen belastete. Im Nachkriegsdeutschland wurde er nur angefeindet, in Israel 1967 geehrt. 7)
Zwischen 1997 und 2002 betrieb die TU Berlin das Forschungsprojekt »Rettung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1945«. Es wurde auf Basis von Wolfsons Retterstudie und der Lipschitz-Initiative sowie weiterer Quellen ein Datensatz von ca. 7.000 »getauchten«, also versteckt lebenden Juden in Berlin erstellt. Im ganzen Reich geht man von etwa 12.000 untergetauchten Juden aus. Parallel dazu konnten die Namen von bis zu 3.000 Personen gefunden werden, die in irgendeiner Weise Juden entscheidend geholfen haben. Etwa 1.500 untergetauchte Juden haben so den NS-Terror in Berlin überlebt. Beate Kosmala, Direktorin der 2008 eröffneten Gedenkstätte »Stille Helden«, in Nachbarschaft zum Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt, weist daraufhin, dass man für einen Verfolgten im Durchschnitt mit sieben helfenden Personen rechnen müsse, nicht zu vergessen die vielen oft unbekannten, die nicht halfen, aber von den Rettungsaktivitäten wussten und bewusst schwiegen. 8) Fast zeitgleich begann Wolfram Wette in Freiburg über die »Retter in Uniform« zu forschen. Er fand etwa 100 Personen unter ca. 18 Millionen Wehrmachtsangehörigen. 9)
Im Jahre 2000 hat Marianne Viefhaus den Darmstädter Wehrmachtsoffizier Karl Plagge dem Vergessen entrissen. Er hatte Juden in Vilnius vor der Vernichtung gerettet. Der Polizeikommandant von St.Gallen, Paul Grüninger, hatte bis zu seiner fristlosen Entlassung 1939 Hunderten jüdischer Flüchtlinge die Einreise in die Schweiz ermöglicht. Obwohl 1971 von Yad Vashem geehrt, blieb er bis zu seinem Tode 1972 in St. Gallen verfemt und wurde erst 1995 rehabilitiert. 10)
Manche Schicksale und Retter wurden erst durch das Medium Spielfilm einer größeren Öffentlichkeit bekannt. So Wilm Hosenfeld 2002 in dem Film »Der Pianist« von Roman Polanski und ebenfalls 2002 Kurt Gerstein in »Der Stellvertreter«. 2009 wurde das Schicksal von Marga Spiegel und ihrer kleinen Familie verfilmt (»Unter Bauern«). Sie waren bei westfälischen Bauern versteckt und hatten überlebt. Marga Spiegel hatte ihre Erlebnisse bereits1969 veröffentlicht (»Retter in der Nacht«)
Erst 2007 verbeugte sich Japans Kaiser Akihitovor seinem ungehorsamen Untertanen Chiune Sugihara, der Tausenden Juden in Litauen Visaausgestellt hatte. Das gleiche hatte der Schwede Raoul Wallenberg in Ungarn getan. Auch er wurde erst 2012 zu seinem 100. Geburtstag weltweit geehrt. Erinnert sei auch an Gilberto Bosques 11), den Amerikaner Varian Fry 12), den französischen Meisterfälscher Adolfo Kaminsky 13) oder an Berthold Beitz 14), der zwischen 1941 und 1944 als junger Manager einer Ölfirma Hunderte Juden in Polen vor dem Tode bewahrt hat. Neben Robert Bosch, Hans Walz und Ernst Leitz ist er einer der wenigen aus dem Bereich der Unternehmer und Wirtschaftsführungskräfte in der kleinen Gruppe des Helferwiderstandes.
»Manchmal war die einzige Art,
in der Deutsche ihre Opposition ausdrücken konnten,
einem Juden zu helfen.«
(Leo Baeck)
Inzwischen hat sich für die Solidarität mit verfolgten Juden der Begriff »Rettungswiderstand« von Arno Lustiger durchgesetzt. 15) Manche Autoren sprechen von »stillen Helden« (B. Kosmala), »unbesungenen Helden« (K. Grossmann) oder »stillen Widerständlern (W. Wette). Auch der Begriff »Helferwiderstand« wird häufig verwendet. Der NS-Jargon sprach von »Judenhelfern« und »Judenbegünstigung« als Delikt.
Wer waren diese außergewöhnlichen Menschen, die von sich selbst behaupteten, nichts Besonderes getan zu haben, sondern nur das, »was jeweils notwendig erschien« (Miep Gies)? Eine gemeinsame Persönlichkeitsstruktur aller Retter, das Profil der altruistischen Persönlichkeit, konnte nicht gefunden werden, sie kamen aus allen Schichten der Bevölkerung. »Viele von ihnen waren einfache Menschen, andere gehörten den höheren Schichten an, es gab auch Adlige unter ihnen. Es waren Arbeiter, Professoren, Bauern, Nonnen, Diplomaten, Polizisten, Zirkusbesitzer bis hin zu Prostituierten, denen leider jegliche Anerkennung verweigert wurde. Es waren Gläubige aller christlichen Kirchen. Auch etwa 70 Moslems waren geehrte Judenretter. Die Gerechten von Yad Vashem gehören 44 Staaten und Nationalitäten an.« 16)
Auf der 3. Internationalen Konferenz für Holocaustforschung, 2011 in Berlin, wurde der Stand der Forschung wie folgt beschrieben: »Helfer und Retter im Nationalsozialismus treten in ganz unterschiedlicher Gestalt und mit unterschiedlichsten Motiven auf; sie kommen aus allen Schichten, haben die verschiedensten politischen und religiösen Einstellungen, sind Frauen und Männer, handeln allein, zu zweit oder im Rahmen größerer Netzwerke. Gemeinsam haben sie, dass sie Handlungsspielräume wahrnehmen, wo andere keine sehen.« 17)
Die Überlebende Annie Kraus berichtet: »Aber neben diesen intellektuellen Personen gab es noch die vielen ›kleinen‹, von denen ich zum Teil nicht einmal mehr die Namen weiß. Portierfrauen, katholische Kindergärtnerinnen, Fürsorgerinnen. Von solchen Leuten bekam man (keineswegs selten!) anonyme Couverts mit 50 Markscheinen. Rührend waren eine Frau am Wedding, Anna Winkler, und eine Kindergärtnerin am Wedding, Grete Kühnel. Erstere beherbergte mich monatelang, später nahm sie einen Buben und ein jüdisches Ehepaar auf. Das gleiche tat Grete Kühnel. Diese Menschen, die selbst fast nichts besaßen, steckten uns, die wir dieses Milieu früher nicht gekannt hatten (…), in unüberbietbar vornehmer Art Lebensmittelkarten und Geld zu. Man war erschüttert von dieser hohen, nie geahnten Menschlichkeit.« 18)
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts »Rettung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1945« zeigen, dass die Helfer häufig aus dem Milieu der Sozialdemokratie und der DDP kamen, also aus einem politischen Bereich, der schon vor 1933 in Gegnerschaft zur NSDAP stand. Die aus der Zeit der Weimarer Republik bestehenden Freundschaften bewährten sich häufig in der Zeit der Verfolgung. Andere wurden zu Helfern, weil das NS-Regime sie ausgrenzte oder ihnen Leid zufügte. Sie waren Betroffene, die die Opferperspektive kannten, weil sie zum Beispiel Angehörige im Krankenmord (»Euthanasie«) verloren hatten oder »Halbjuden« waren oder in »Mischehe« lebten. Viele halfen aus christlicher oder humanitärer Überzeugung, oft auch aus dem Wissen um das Schicksal, das den deportierten Juden bevorstand. Häufig ergriffen die Helfer die Initiative, manchmal wurden Menschen auch spontan zu Helfern, wenn sie um Hilfe gebeten wurden.
Harald Poelchau, ein Berliner Gefängnispfarrer, hatte die Beobachtung gemacht, »dass diejenigen Kreise, die gewohnt waren, für ihre Überzeugung Kampf und Gefahr auf sich zu nehmen, meist keine Bedenken trugen, illegal Menschen bei sich zu verbergen und zu beherbergen. Sie machten nicht viele Worte dabei, waren nicht sehr liebevoll und stellten oft geradezu harte Ansprüche an die Disziplin und Arbeitswilligkeit der Verborgenen. Die mehr bürgerlichen und christlichen Kreise dieser Generation dagegen, nicht mehr gewohnt, persönliche Gefahr zu ertragen, waren zwar sehr hilfsbereit, gaben Geld, sparten sich Lebensmittel ab, so viel sie konnten, aber eine persönliche Gefährdung ertrugen sie einfach nicht.« 19)
Von Bernd Lindenthal
Mutige Bürgerinnen und Bürger, die Juden halfen, missachteten die Normen des NS-Staates und stellten sich außerhalb der »Volksgemeinschaft«. Da die NS-Ideologie die Juden als den größten Feind Deutschlands brandmarkte, war Hilfe für Juden Feindbegünstigung. Wer solchen Leuten half oder Leute, die halfen, nicht verriet, war faktisch im Widerstand. Die Helfer planten nicht den Umsturz oder Attentate, lebten eher unauffällig, aber sie taten das Konkrete, das Naheliegende, das Mögliche. Der NS-Staat betrachtete die Helfer und Retter als Feinde und Gestapo und Sondergerichte bestraften sie hart. Somit und wegen der allgemeinen Willkür des Nationalsozialismus nahmen die Helfer ein nicht zu kalkulierendes persönliches Risiko auf sich.
Formale Rechtsgrundlage waren das so genannte Heimtückegesetz (»Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Partei und Staat« vom 20. Dezember 1934) und andere Verordnungen, später der Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 24. Oktober1941, der freundschaftliche Kontakte zu Juden verbot und den »Deutschblütigen« wegen »Judenbegünstigung« mindestens drei Monate KZ-Haft androhte. Todesurteile wurden für die Hilfe für Juden in Deutschland nicht verhängt, wohl aber zum Beispiel in Polen. Für bisher nachgewiesene 20 Personen endete die KZ-Haft tödlich. 20)
Ernst Leitz stammte aus einem vor 1933 NS-resistenten politischen Lager und bewahrte sich diese Haltung bis zum Ende der NS-Herrschaft. Er half vor allem Juden, indem er sie beschäftigte, ihnen Aufträge gab, ihre Emigration und Beschäftigung im Ausland organisierte. Ein Empfehlungsschreiben für jüdische Fotohändler führte zur Verhaftung seines Verkaufsleiters und zu dessen Zwangspensionierung. Die Fluchthilfe für die jüdische Ehefrau eines Wetzlarer Optikers und Fotohändlers brachte seiner Tochter eine 2 ½-monatige Gestapohaft ein.
Ernst Leitz half aber auch anderen durch den NS-Staat in Not geratenen Menschen, nicht nur alten Parteifreunden aus der DDP. Unterstützt wurde er durch eine Vielzahl von eingeweihten leitenden Angestellten, die sein Vorgehen deckten: allen voran Henri Dumur, ferner August und Franz Bauer, Hugo Freund, Alfred Türk, Paul Flohr, Werkmeister Palm, Hans Glocker. Außer seinen Kindern waren auch seine Schwester Ella Bocks in München und die verwandte Familie Masson-Dumur in der Schweiz involviert. Schließlich war Oberregierungsrat Hans Humbert in Berlin eine wertvolle Hilfe. Unterrichtet waren auch die Leitungen der Vertretungen in London und New York. Aus der Kommunalverwaltung waren ihm Bürgermeister Kindermann und Kämmerer Horn gewogen.
Auf der Grundlage der aktuellen Forschungsergebnisse 21) können die folgenden 78 Personen, denen Ernst Leitz wertvolle Hilfe geleistet oder ihr Leben gerettet hat, davon 59, die aus rassischen Gründen verfolgt worden sind, aufgeführt werden:
Namen rassisch Verfolgter | Zahl |
Familie Nathan Rosenthal II | 4 |
Kurt Rosenberg | 1 |
Hans Martin und Gertrud Hammerschlag | 2 |
Ernst Hammerschlag | 1 |
Familien Heinrich und Gustav Ehrenfeld | 7 |
Familien Brenner | 5 |
Familie Carl Brinkmann | 5 |
Stefan und Leonie Rosenbauer | 2 |
Familie Sternberg | 4 |
Dagobert und Anna Horn | 2 |
Fabian Riesel | 1 |
Lotte Goldschmidt | 1 |
Marie Luise Deutsch | 1 |
Rosa Gertrude Salomon | 1 |
Dr. Aron und Betty Strauss | 2 |
Familie Steiner | 6 |
davon zwei politisch Verfolgte | |
Familie Jakob Rosenthal II | 4 |
Joseph und Margarethe Rosenthal | 2 |
Gerda und Gaston Royez | 7 |
davon ein politisch Verfolgter | |
Christine und Lore Jessel | 2 |
davon ein politisch Verfolgte | |
Familie Schindler | 4 |
davon ein politisch Verfolgte | |
Namen politisch Verfolgter | Zahl |
Konrad Miß | 1 |
Wolfgang Kellner | 1 |
Heinrich Siekmeier | 1 |
Willi Baum | 1 |
Adolf Korell | 1 |
Familie Dr. Arthur Becker | 4 |
Max Berek | 1 |
Paul Flohr | 1 |
Alfred Türk | 1 |
Karl Horn | 1 |
Summe: | 78 |
davon 59 Juden oder »Halbjuden«
Es sollen auch die jüdischen Auslandsvertreter genannt werden, die Ernst Leitz gegen den Willen der Nazis bis zum Kriege weiter belieferte:
- Herr Fröhlich, Vertretung in Zagreb, Jugoslawien, bis 1940
- Herr Metsch, Inhaber der Firma Strelisker in Bukarest, Vertretung für Rumänien bis 1940
- Herr Garfinkiel, Warschau, Fotovertreter für Polen bis 1939
- Herr Gondos, Budapest, Fotovertreter für Ungarn
- Herr Hassan, Mitinhaber der Firma Lutz Ferrando, Buenos Aires, Argentinien.
Auch der »halbjüdische« Leitz-Vertreter für Baden-Württemberg, Kurt Emil Wünsche, blieb bis zum Kriegsende Vertriebspartner von Leitz.
Weiterhin beschäftigte Ernst Leitz noch die rassisch diskriminierten Bürger Gertrud Woeller, geborene Ebertz, und Herrn Hertz. Ferner nahm er den wegen seiner SPD-Mitgliedschaft frühpensionierten Kurt Fechner und den aus dem Schuldienst entlassenen Dr. Karl Dern in sein Unternehmen auf.
Von Bernd Lindenthal
Der Vergleich mit Schindler oder die Etikettierung anderer Judenretter mit seinem Namen geschieht häufiger. Dabei handelt es sich um eine journalistische Metapher mit begrenzter Gültigkeit. Sie wurde auch Ernst Leitz zuteil (der »andere Schindler«, der »Leica-Schindler«), sogar von »Leitz‘ Liste« war die Rede. Solange der Name Schindler als Synonym steht für Judenretter, für »Gerechte unter den Völkern«, ist eine Gemeinsamkeit gegeben. Sie besteht auch darin, dass Ernst Leitz, wie Emilie und Oskar Schindler, wie Jan und Miep Gies (die Anne Frank und ihre Familie beschützt haben) und wie Chiune Sugihara mit dem Courage to Care Award der renommierten Anti-Defamation League (ADL) ausgezeichnet wurde. Für Ernst Leitz nahm seine Enkelin Cornelia Kühn-Leitz am 9. Februar 2007 in Palm Beach, Florida, die Ehrung entgegen.
Damit enden aber auch die Gemeinsamkeiten. Oskar Schindler war zunächst überzeugter Nazi, profitierte von »seinen« Juden und rettete in der Spätphase des Holocaust 1.200 Menschen vor dem sicheren Tod. Ernst Leitz ist immer überzeugter Demokrat geblieben, ein Mann von Charakter, Grundsätzen und Zivilcourage und führte aus dieser ungebrochenen Haltung heraus seinen langen Kampf gegen die braunen Machthaber während der ganzen Zeit der Schreckensherrschaft von 1933 bis 1945.
Von Bernd Lindenthal
Damit steht dieser vorbildliche Mensch einzigartig in der Riege der stillen und unbekannten Helfer. Nun könnte man einwenden, er habe als Besitzer eines Betriebes von dreieinhalbtausend Beschäftigten, der mit der Leica Weltruf erlangt hatte, eine privilegierte und herausgehobene Stellung gehabt. Sicherlich, aber er hat sie auch von Anfang bis Ende genutzt, um Hilfe zu leisten, Leben zu retten, Existenzen zu sichern. Er hat den neuen Potentaten nicht in den Sattel geholfen und/oder sie anschließend unterstützt, was ja bequemer gewesen wäre. Nach dem augenblicklichen Stand der Forschung haben unter den Industriellen einen ähnlichen Beistand nur noch Robert Bosch in Stuttgart und sein Kreis geleistet, und zwar in erster Linie mit erheblichen Geldmitteln. Arno Lustiger urteilt:
»Robert Bosch war ein geschworener Feind der Nationalsozialisten, beschäftigte verbotenerweise jahrelang jüdische Mitarbeiter und verhalf Hunderten von Juden durch großzügige Geldzuwendungen zur Rettung durch Emigration. Nur noch Ernst Leitz in Wetzlar hat sich unter den deutschen Industriellen ähnlich verhalten.« 22)
In gleicher Weise urteilt Avi Primor, der frühere Botschafter Israels in der Bundesrepublik:
»Es reichte, aus der Reihe zu tanzen, um genau so viel zu riskieren, wie ein Widerstandskämpfer in den besetzten Gebieten. Darüber hinaus aber wurde man auch vom eigenen Umfeld geächtet und verfolgt und brachte seine gesamte Familie in Gefahr. Wer dennoch in Deutschland bereit war, all dies zu riskieren, hat unvergleichliche Courage gezeigt. Ein solcher Mensch war Ernst Leitz. Die zahlreichen von ihm geretteten Familien und deren Nachkommen bezeugen, wie sehr sie sein Verhalten noch heute als unerwartetes Geschenk, als Wunder betrachten. Die Geschichte von Ernst Leitz soll über Deutschlands Grenzen hinaus der Menschheit dienen, als Musterbeispiel dafür, dass der Mensch sich nicht dem Bösen beugen muss. Und wenn viele sich nicht beugen, wird das Böse keine Chance haben.« 23)
Von Bernd Lindenthal
Beleuchtet werden soll nunmehr die Frage, warum dieser erstaunliche Einsatz so lange unbekannt geblieben ist. Selbst in der eigenen Familie Leitz waren nur wenige Fälle bekannt. Das hat vermutlich mehrere Gründe: Einmal hat Ernst Leitz selbst über seine Hilfsaktionen nicht gesprochen, er hielt sie für normal und handelte nach dem Grundsatz »Tue Gutes und sprich nicht darüber«. Andererseits ist die Quellenlage nicht gerade üppig, da die Beschäftigung der vielen jüdischen Mitarbeiter ab1933 vertraulich behandelt wurde. Dies gilt auch für ihre Auswanderung, weil das insbesondere in der zweiten Hälfte der 30er Jahre von den Nazis zunehmend kritisch gesehen wurde und nach der Verhaftung von Türk (1938) für die Firmenleitung sehr gefährlich wurde. Die Leitz-Mitarbeiter wussten nicht, dass neben ihnen ein Jude arbeitete. Der letzte Grund scheint dennoch der entscheidende zu sein: die meisten Deutschen hatten nach dem Kriege verschiedene Mythen kreiert und liebgewonnen, die ihre Verstrickung und ihr Mitläufertum erklären und entschuldigen sollten. So hört man ja auch heute immer noch die Rechtfertigungen: »Man konnte nichts machen, es war eine Diktatur, man hatte keine Wahl, wer sich widersetzte, kam ins KZ.«
Das offiziell gepflegte Andenken an Widerständler, wie die »Weiße Rose« und die Attentäter des 20. Juli 1944, von denen die meisten getötet wurden, schien diesen Rechtfertigungsmythos noch zu bestärken. Indem man aus ihnen unerreichbare Helden und Heilige machte, entschuldigte man das eigene Versagen. Denn die wenigsten Menschen sind zum Helden geboren.
Der Helfer Ernst Leitz (und die vielen anderen Helfer) zeigt, dass es auch in dieser Nazi-Diktatur eine Wahl gegeben hat. Er bewies, dass Hilfe – natürlich unter Risiken – möglich war und dass die vielen Täter und Mitläufer auch eine Wahl getroffen hatten, nämlich mitzumachen. »Hier wird auch deutlich, warum die Geschichte der Helfer nie populär geworden ist. Ihr Beispiel stellte für die Mehrheit der Wegseher und Mitmacher eine tiefe Kränkung dar. Es widerlegte den Rechtfertigungsmythos, es habe nur die Alternative zwischen Gehorsam und Tod gegeben.« 24) Anders ausgedrückt: Helfergeschichten sind der Frontalangriff auf eine Lebenslüge, auf die kollektive Entschuldung, an der die Gesellschaft nicht mäkeln sollte und wollte.
Ziffern und Reihenfolge entspricht den Angaben aus dem Buch »Ernst Leitz II Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert.« zum Kapitel »Die Hilfeleistungen von Ernst Leitz 1933 bis 1945 – Eine Einordnung«
- Grossmann, Kurt R., Die unbesungenen Helden. Menschen in Deutschlands dunklen Tagen, Frankfurt am Main, 1984, S.134
- Gössner, Rolf, Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges, Berlin 1998, S.79 f.
- Friedman, Philip, Their Brother‘s Keepers – The Christian Heroes and Heroines who Helped the Oppressed Escape the Nazi Terror, New York 1957
- Anm. 1
- Wette, Wolfram, Zivilcourage in Uniform, »Die Zeit«, 9.11.2006
- Der Schindler von Portugal, »Jüdische Allgemeine«, 24.4.2008
- Wette, Wolfram, Verleugnete Helden, »Die Zeit«, 8.11.2007
- Kosmala, Beate, Stille Helden, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2.4.2007 und dies. mit Revital Ludewig-Kedmi, Verbotene Hilfe. Deutsche Retterinnen und Retter während des Holocaust, Donauwörth 2003. Bei Major Karl Plagge ist bekannt, dass er sieben untergebene Mitwisser hatte, die schwiegen.
- Wette, Wolfram (Hrsg.), Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht, Frankfurt am Main 2002
- Keller, Stefan, Festung Schweiz, »Die Zeit«, 14.8.2008
- Mexikos Schindler, »Jüdische Allgemeine«, 26.7.2007
- Der Engel von Marseille, »Frankfurter Rundschau«, 19.11.2007
- »Frankfurter Rundschau«, 7.2.2012
- »Ich musste es einfach tun«, Interview mit Berthold Beitz, »Süddeutsche Zeitung«, 2.2.2008
- Lustiger, Arno, Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, Göttingen 2011
- ebenda, S.20 f.
- ebenda, S.15
- »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 20.7.2007, S.35
- Schneider, Peter, Besser tot als feige in: »Der Spiegel« 37/2001, S. 216
- ebenda, S. 216
- Smith, Frank Dabba, Der stille Helfer Ernst Leitz, in: Ernst Leitz. Ein Unternehmer mit Zivilcourage, a.a.O.; Meinl, Susanne, »Eine Fahrkarte nach Palästina können Sie haben …«, a.a.O.; Ebertz, Doris und Walter, a.a.O.
- »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 5.11.2007; Scholtyseck, Joachim, Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler 1933-1945, München 1999
- Knut Kühn-Leitz (Hrsg.), Ernst Leitz, Ein Unternehmer mit Zivilcourage, a.a.O., Vorwort A. Primor
- Schneider, Peter, a.a.O., S. 21.
Die zuvor stehenden Textpassagen sind zumeist nicht vom Verein WETZLAR ERINNERT e.V. geschrieben bzw. veröffentlicht worden. Wir sind denen zu großem Dank verpflichtet, die uns gestattet heben, aus ihren Texten und Publikationen unser Wissen zusammentragen zu können. Hierzu zählen insbesondere:
- Frank Dabba Smith
1955 in Kalifornien geboren, wo er ein Studium der Linguistischen Anthropologie an der University of California in Berkeley abschloss. Anschließend studierte er Fotografie am Academy of Art College in San Francisco, bevor er sich als Sekundarschullehrer an der San Diego State University qualifizierte. Er arbeitete viele Jahre als freiberuflicher Fotograf für Firmen- und institutionelle Kunden sowie das Magazin Economist (UK). Dabei »verliebte« er sich in die Leica, die ihn dann später zu seinen Recherchen über das Wirken von Ernst Leitz II brachte. Er studierte später am Leo Baeck College in London, um nach seinem MA-Abschluss zum liberalen Rabbiner ordiniert zu werden. Er diente 22 Jahre lang als Rabbiner an der Harrow and Wembley Progressive Synagogue (später bekannt als Mosaic Liberal Synagogue). Er hat außerdem einen MA in Photographic Studies von der University of Westminster erworben und seine Doktorarbeit am University College London (UCL) beschäftigt sich mit dem Verhalten von Ernst Leitz II aus Wetzlar. Er gilt als DER Kenner des von Ernst Leitz II geleisteten Rettungswiderstandes.
Frank Dabba Smith hat am 07.10.2022 anlässlich der Gedenktafelenthüllung über die Rettungsleistungen von Ernst Leitz II für Jüdinnen und Juden referiert. Auf dem Fundus von Dabba Smiths Forschungen sind maßgeblich die Schriften eines weiteren Mannes entstanden, dem wir ebenfalls zu großen Dank verpflichtet sind: - Bernd Lindenthal,
Gymnasiallehrer für Geschichte, Politik und evangelische Religion ist 2. Vorsitzender des Wetzlarer Geschichtsverein e.V. Er hat in dem Autorenteam des von Knuth Kühn-Leitz herausgegebenen Buchs über Ernst Leitz II »Ich entscheide hiermit: Es wir riskiert.« sich auf das demokratische Engagement von Ernst Leitz II und auf seinen langen Kampf mit den Nationalsozialisten konzentriert, aber auch dessen Leistungen bezüglich des Rettungswiderstandes beschrieben. Diese Texte füllen das zweite und dritte Kapitel dieser Website.
Lindenthal hat außerdem eine Reihe weiterer Aufsätze über Ernst Leitz II und seine Tochter Elsie Kühn-Leitz veröffentlicht, u.a. in den Schriften des Wetzlarer Geschichtsvereins e.V. und in der heimatgeschichtlichen Rubrik der Wetzlarer Neuen Zeitung. - Dem HEEL-Verlag GmbH (Königswinter) als Verleger des Buchs Ernst Leitz II »Ich entscheide hiermit: Es wir riskiert.«, der die Ablichtung dieser Texte und der dazugehörigen Bilder uns gestattet.
Die ersten Überlegungen für diese Tafel reichen auf Oktober 2021 am Rande der Tafelenthüllung vor dem Aldefeldschen Haus zurück, das während der Kriegszeit die Gestapo Frankfurt als »Verhörstelle« nutzte.
- Dr. Oliver Nass
Vorsitzender der Ernst Leitz Stiftung, der als Initiator für diese Gedenktafel zu benennen ist und die Kontakte zu den beiden Nachfolgeunternehmen der Ernst Leitz GmbH (Leica Camera und Leica Mikrosystems), sowie zu Frank Dabba Smith und den Heel-Verlag herstellte. - Sonja Osterloh
von der Ernst Leitz Stiftung, die uns die Texte und Bilder digital aufbereitete und zur Verfügung stellte. - Dem Vorbereitungsteam der Tafelstifter
bestehend aus Silke Primke (Leica Microsystems), Tim Pullmann und Silke Nennhaus (Leica Camera), Dr. Oliver Nass (Ernst-Leitz-Stiftungen), Thomas Welling und Ernst Richter (Wetzlar erinnert e.V.) für die inhaltliche Abstimmung der Tafel- und Website-Inhalte. - Karin Koob (Büro des Oberbürgermeisters) und Holger Hartert (Magistratsbüro) für die vielfältige logistische Unterstützung bei der Errichtung der Tafel und der erforderlichen Abstimmung unter den zuständigen Ämtern sowie der technischen Voraussetzungen für das Gelingen der Tafelenthüllung.
- Thomas Welling
für die Übersetzung des Vortrags von Frank Dabba Smith ins Deutsche. - Markus Biniarz
vom Betriebsamt der Stadt Wetzlar, der im Vorfeld der Tafelerrichtungen die umfangreichen Prüfungen des baulichen Umfeldes für jetzt schon sieben unserer Gedenktafeln vornahm. - Die Fa. Stempelspirale (Linden)
die seit 2018 alle Tafeln hergestellt und installiert hat. - Die lokale Partnerschaft für Demokratie Wetzlar | Lahn-Dill-Kreis
deren Begleitausschuss die Mittelbewilligung aus dem Bundesprogramm »Demokratie Leben!« bewilligt hat.
Angaben zu den Quellen dieses Textes
Der auf dieser Seite erstellte Text ist eine Zusammenstellung, die Hintergrundinformationen zum Engagement von Ernst Leitz II als Demokraten und als wichtiger Akteur des Rettungswiderstandes widerspiegelt.
- Informationen zu Ernst Leitz I, Ernst Leitz II und den Leitz-Werken auf Wikipedia
- Informationen aus dem »Buch Ernst Leitz II – ›Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert.‹ «
Herausgeber Dr. Knuth Kühn-Leitz, erschienen im Heel-Verlag GmbH, Königswinter
Literaturhinweise:
- Ernst Leitz II: »Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert.« 2014 | 2. Auflage
Herausgeber: Dr. Knut Kühn-Leitz, Deutschsprachige Ausgabe, erschienen im Heel-Verlag GmbH, Königswinter - Klaus Otto Nass [Hrsg.]: »Elsie Kühn-Leitz: Mut zur Menschlichkeit – Vom Wirken einer Frau in ihrer Zeit«, mit einem Geleitwort von Bernhard Vogel, Bonn, 1994.
- Bernd Lindenthal: »Sich dem Bösen nicht beugen – 1943 Familie Leitz half einer Jüdin« in Wetzlarer Neue Zeitung, 26.05.2018
Siehe auch Download-Angebot auf dieser Seite - Frank Dabba Smith: »Elsie’s War: A Story of Courage in Nazi Germany«, London, 2005.
- Dem Begleitband zum »Weg der Erinnerung« • der antifaschistischen Stadtreise von 1933 bis 1945.
- Der Schrift »Das Eindringen des Nationalsozialismus in die Stadt Wetzlar« von Prof. Dr. Ulrich Mayer
Ersterscheinung in der Schriftenreihe des Wetzlarer Geschichtsvereins 1970, Neuauflage 2021. - Erinnerungen von Elsie Kühn-Leitz: »Mut zur Menschlichkeit. Vom Wirken einer Frau in ihrer Zeit. Dokumente, Briefe und Berichte«, herausgegeben von Klaus Otto Nass, Bonn 1994.
- Knut Kühn-Leitz [Hrsg.]: »In memoriam Dr. Elsie Kühn-Leitz«, Wetzlar, 2015.
- Ulrich Herbert: »Von der Gegnerbekämpfung zur ›rassischen Generalprävention‹ – Schutzhaft und Konzentrationslager in der Konzeption der Gestapo-Führung 1933-1939,
in: ders./Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hg.) »Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, Entwicklung und Struktur«, Bd. I, Göttingen 1998. - Carsten Dams, Michael Stolle: »Die Gestapo«, München, 16. Aufl. 2017.
- Egon Kogon: »Der SS-Staat – Das System der deutschen Konzentrationslager«, Verlag Karl Alber, München, 1946.
Leica Microsystems
Warum wir die Gedenktafel zu den Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar unterstützen. Statement von Dr. Annette Rinck, Präsidentin von Leica Microsystems Gerne unterstützen wir seitens Leica Microsystems die Initiative des Vereins »Wetzlar Erinnert«. Die Gedenktafeln erinnern uns an Orten des Geschehens, wo wir heute unterwegs sind, leben und arbeiten. Die Firmen Leitz und in Nachfolge Leica Microsystems sind seit über 170 Jahren als Arbeitgeber am Standort Wetzlar ansässig und mit der Geschichte von Wetzlar [...]
Leica Camera AG
Warum wir die Gedenktafel zu den Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar unterstützen. Statement von Dr. Andreas Kaufmann, Mehrheitsanteilseigner und Aufsichtsratsvorsitzender Leica Camera AG Die Unterstützung des Projekts »Wetzlar erinnert« und deren Gedenktafeln ist für die Leica Camera AG ein besonderes Anliegen. Eine Verbeugung vor dem couragierten und vorbildhaften Handeln der Familie Leitz, ihrem selbstlosen Einsatz für Verfolgte des Nazi-Regimes. Ein Vorbild, das unsere Unternehmensgeschichte und Kultur bis heute prägt und uns antreibt, es Augenzeugen [...]
Ernst Leitz Stiftung
Warum wir die Gedenktafel zu den Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar unterstützen Statement von Dr. Oliver Nass Die 2011 von Elsie Kühn-Leitz’ Kindern, Knut Kühn-Leitz und Cornelia Kühn-Leitz (verh. Nass), gegründete gemeinnützige Ernst Leitz Stiftung hat den Erhalt des von Ernst Leitz II gebauten und von Bruno Paul gestalteten Haus Friedwart in Wetzlar sowie die Förderung von Kultur und Völkerverständigung im Andenken an die Wetzlarer Ehrenbürger Ernst Leitz I, Ernst Leitz II und Elsie [...]
Magistrat der Stadt Wetzlar
Warum wir die Gedenktafel zu Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar unterstützen Ein Statement von Oberbürgermeister Manfred Wagner »Zukunft braucht Erinnerung« Dieses Wort will ich meinem Statement voranstellen und gerne beschreiben, warum es der Stadt Wetzlar wichtig ist, das vom dem Verein WETZLAR ERINNERT e.V. angestoßene Projekt »Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit« zu unterstützen. In unseren Tagen erleben wir leider immer wieder, dass der Geist derer, die uns die dunkelsten Stunden in der Geschichte unseres [...]
WETZLAR ERINNERT e.V.
Gruppenbild oben v.l.n.r.: Natalija Köppl (stellv. Vorsitzende), Stefan Lerach (Beisitzer), Andrea Grimmer (Schatzmeisterin), Arne Beppler (Beisitzer), Irmtrude Richter (Schriftführerin) und Ernst Richter (Vorsitzender) Warum haben wir das Projekt Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit initiiert? Ein gemeinsames Statement unseres Vorstandes In der Satzung von WETZLAR ERINNERT e.V. steht: »Damit sich deutscher Faschismus nicht wiederholt, ist es erforderlich, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und Wege zu eröffnen, die auch denen Zugang ermöglichen, die diese Zeit nicht [...]
Demokratie leben
Förderung unserer HomepagesFörderung von Projekten unseres Vereins Der Verein WETZLAR ERINNERT e.V. hat schon mehrere seiner Erinnerungs- und Gedenkprojekte zur NS-Zeit mit Hilfe der Programme »Demokratie leben!« und dem Vorläufer-Programm »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert bekommen. Die Entscheidung über die Förderung fällt innerhalb der lokalen Partnerschaft für Demokratie Wetzlar | Lahn-Dill-Kreis ein Begleitausschuss. Hierzu zählen unter anderem die Projekte: der Weg der Erinnerungunsere antifaschistische Stadtführung [...]
Zum Thema
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Literaturhinweis:
Literaturhinweis:Literaturhinweis:
Das Buch über Ernst Leitz II
Ernst Leitz II:
»Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert.«
2014| 2. Auflage
Herausgeber: Dr. Knut Kühn-Leitz
Deutschsprachige Ausgabe
erschienen im:
HEEL-Verlag GmbH
Pottscheidt 1
D-53639 Königswinter
Gebundene Ausgabe: 280 Seiten
ISBN-10 : 3868529411
ISBN-13 : 978-3868529418
Maße: 22,3 x 2,8 x 28,8 cm
49,95 € bei Amazon
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