WETZLAR ERINNERT e.V.
  • Auszug der Sterbeurkunde Jakob Sauer vom 28.03.1945 original Handschriftlicher Eintrag vom Standesbeamten
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Zu Ehren von Wilhelm Jakob Sauer,
am letzten Tag erhängten sie Ihn

Die Aufschrift: »Schütze mein Haus. Wir sind keine Nazis …«
wird Jakob Sauer am 27. März 1945 zum Verhängnis

Erna Beiersdorfer aus Naunheim berichtet in Karsten Porezaks Buch »Wetzlar 1945« über die letzten Kriegstage: »Ich war damals 24 Jahre alt. Mein Vater, der im Ersten Weltkrieg gedient hatte, kannte sich gut aus. Schon Tage vorher hatte er mir und meiner Schwester geraten, unsere Fahrräder zu zerlegen. Er sagte, bald kämen die deutschen Soldaten hier durch; die würden für ihren Rückzug dringend Fahrräder brauchen«.

Wie recht Frau Beiersdorfers Vater hatte, wird dadurch offensichtlich, dass am 27. März – ein Tag, bevor die US-Armee die Vororte von Wetzlar einnahm – kleine Gruppen von Wehrmachtsangehörigen durch ganz Wetzlar zogen, um Fahrräder für ihre Flucht aufzuspüren und zu beschlagnahmen. So auch in den Straßen zwischen dem Hindenburgring (der heutigen Bergstraße) und der Stoppelberger Hohl.

Einer dieser Trupps zieht von der Merianstraße zur Lauerstraße durch den schmalen Fußweg »Am Geilberg«. Hier fällt ihnen am Haus Nr. 4 das an der Fassade befestigte Pappschild auf:
»Schütze mein Haus. Wir sind keine Nazis. Wir begrüßen die Befreier«. Angebracht worden war das Schild vom Hausbesitzer Jakob Sauer. Dafür wurde der arme Mann erhängt.

Wer war Jakob Sauer und was geschah an diesem Tag genau?

Das können Sie auf dieser Seite nachlesen. Klicken Sie dazu auf die Kapitel in der nachfolgenden Übersicht und dort auf die Aufklappmenüs, die sich dann öffnen:

Übersicht:

Kapitel 1:
Was wissen wir über Jakob Sauer?

Die monatelangen Recherchen von Klaus Kirdorf zu Jakob Sauer haben leider nur kärgliche Ergebnisse hervorgebracht. Weder in den standesamtlichen Unterlagen der Stadtverwaltung noch bei seinem Arbeitgeber, den Buderus’schen Eisenwerken (heute BOSCH-Stiftung), fanden sich Unterlagen.

Im Taufbuch der evangelischen Kirchengemeinde Blankenbach – heute Ortsteil von Sontra im Werra-Meißner-Kreis – befindet sich der Eintrag, dass Wilhelm Ernst Jakob Christian Carl Sauer am 5. März 1880 morgens um drei Uhr geboren wurde. Seine Zwillingsschwester Anna Gertrude Ernestine war bereits am 4. März 1880 abends um 23 Uhr zur Welt gekommen. Der Vater der beiden, Philipp Sauer, war von Beruf Förster. Das Mädchen wurde 1894 in Blankenbach konfirmiert, der Junge aber nicht. Vermutlich hat er zu der Zeit schon nicht mehr in dem Ort gelebt.

Von ihm ist heute nur noch bekannt, dass er mit Berta Sauer geb. Walter verheiratet war, mit ihr in einem eigenen Haus »Am Geilberg 4« in Wetzlar wohnte und als Registrator bei der Fa. Buderus arbeitete. Es existiert noch ein Dokument vom 15. November 1944, das er mit »Ernst Jakob, gerufen Wilhelm Sauer« unterschrieben hat. Sein Grabstein trägt die Aufschrift »Ruhestätte Familie Wilhelm Sauer«. Sie befindet sich noch heute auf dem Alten Friedhof in der Nähe des markanten Gefallenendenkmals.

Mehr ist leider über Jakob Sauer und seine Familie nicht bekannt.

Grab Wilhelm Jakob Sauer

Bild © Friedhofsverwaltung Wetzlar, Rainer Hasse

Bild von der Geburtsurkunde

Quelle: Ev. Kirchenamt in Thüringen

Schon am 27.März 1945 kann man vom Wetzlarer Domturm aus beobachten, wie die amerikanische Armee im Kreisgebiet vorrückt. Nachdem von anrückenden amerikanischen Panzern im Westen der Stadt erste Schüsse auf Wetzlar abgegeben werden, setzen sich die meisten der verbliebenen deutschen Truppen ab, auch große Teile des Volkssturms, von denen die meisten SA-Männer sind.

Und das scheint auch dem 65-jährigen Jakob Sauer nicht zu entgehen.

Wir sind überzeugt, dass Sauer einem fatalen Irrtum unterlegen war. Wir nehmen an:

Er konnte vom Obergeschoss seines auf der Anhöhe liegendem Hauses auf die gegenüberliegende Seite des Lahntals schauen. Hinter Dalheim befreiten dort vorgerückte US-Truppen die von den Deutschen abgeschossenen alliierten Soldaten, die als Kriegsgefangene im DULAG (Durchgangslager Luft) von den Nazis verhört und bewacht wurden. Was er sah, ließ ihn wahrscheinlich annehmen, dass es jetzt nur noch ein paar Stunden dauern konnte, bis die Amerikaner vor seiner Haustür standen.

Die Soldaten der 7. US-Panzerdivision nahmen das Lager am 27. März kampflos in Besitz, zogen sich aber mit ihren befreiten Kameraden wieder in Richtung Westerwald zurück und nehmen die Stadt erst am 29. März ein *).

Für den damals gerade 65 Jahre alt gewordenen Jakob Sauer zu spät. Was dazwischen am 28. März 1945 in welcher Abfolge geschah, haben einerseits die ehemalige Stadtarchivarin Dr. Irene Jung in ihrer Schrift »Schwere Zeiten in Wetzlar, 1939 – 1945« und Karsten Porezag gemeinsam mit Diether Spieß in dem Buch »Wetzlar 1945« beschrieben.

Anlässlich der Errichtung dieser Gedenktafel zu Ehren von Jakob Sauer vor dem Alten Wetzlarer Friedhof, greifen wir auf die Schilderungen dieser Autor*innen zurück.


*) Das ist eine nicht belegte Vermutung. Aber vieles spricht dafür, dass dem so war.

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Kapitel 2:
Was geschah am 27. März 1945?

Der Tag war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur für die Stadt Wetzlar ein besonderer Tag. Die amerikanischen Truppen standen von Westen, Norden und Osten kommend bereits in Niedergirmes, Naunheim und Oberbiel. Wie schon erwähnt, ist das der Anlass für Sauer, sein Pappschild mit der Aufschrift: »Wir sind keine Nazis. Wir begrüßen die Befreier«, an der Hausfassade anzubringen.

Als in den Mittagsstunden die Gruppe von jungen Offiziersanwärtern nach Fluchtfahrrädern sucht, bemerken sie das Schild und nehmen Jakob Sauer fest. Beim heutigen Friedrich-Ebert-Platz übergeben sie Sauer einem Unteroffizier, der ihn zum Befehlsstand der Wehrmacht im Bunker unter dem Kalsmunt bringen sollte.

Der dortige Kampfkommandant fühlt sich jedoch für den Zivilisten nicht zuständig, worauf Jakob Sauer zur Polizei bei der Hauptwache gebracht wird. Minutenlang steht er unbewacht vor der Tür, während der Unteroffizier mit dem dortigen Polizeibeamten verhandelt; dieser sieht unter den gegebenen Umständen die Angelegenheit als Bagatelle an und lehnt unter Hinweis auf fehlende Unterbringungsmöglichkeiten eine Inhaftierung ab.

Das Haus, das Berta und Jakob Sauer gehörte, befindet sich zwischen der Lauer- und unterhalb der Merianstraße an dem Weg »Am Gailberg«, Haus Nr. 4.

Links: die Rückseite des Hauses im Südosten, unterhalb der Merianstraße. Rechts: die Vorderseite des Hauses im Nordwesten oberhalb des Weges am Gailberg. An dieser Seite war das Schild angebracht.

Der Unteroffizier, dem Jakob Sauer übergeben worden war, begibt sich schließlich mit seinem Gefangenen in die – von den Wetzlarern als »Braunes Haus« bezeichnete – Buderus-Villa die dem NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Haus als Dienstsitz diente.

Der Unteroffizier will Sauer dem NSDAP-Kreisleiter übergeben und muss nun warten, bis Haus von einem Außentermin in die Buderus-Villa zurückkehrt.

Auch in dieser Zeit ist der Festgenommene zunächst wieder ohne Bewachung, während der Unteroffizier dem Kreisleiter den Fall schildert. Zeugen bekunden später, dass Jakob Sauer von ihnen mehrfach zur Flucht aufgefordert worden war, er aber die Gelegenheit nicht nutzte.

Kreisleiter Haus nimmt in seinem Befehlsbunker im nahe gelegenen Hausertorstollen Telefonkontakt zu seiner vorgesetzten Dienststelle auf. Er bittet darum, »einen Schuft hängen zu dürfen!« und schildert, was Jakob Sauer »verbrochen« hat. Haus erhält von Gauleiter Sprenger die Anweisung: »Mit dem Kerl wird ein Exempel statuiert. Hängen Sie das Schwein auf dem Marktplatz auf und ein Schild dazu, auf dem geschrieben steht, was er gemacht hat und mit der Warnung, dass es jedem so geht, der Gleiches tut!«

Sprenger fragt noch nach der militärischen Lage in Wetzlar und befiehlt seinem Kreisleiter, die Stadt bis zur letzten Patrone zu verteidigen. Mit der Bestätigung »Jawohl, Gauleiter, bis zur letzten Patrone!« endet das Gespräch.

Der Kreisleiter Haus verlässt den Bunker und erteilt sechs Volkssturmmännern den Befehl, das Todesurteil am Eingang des Friedhofs beim Hindenburgring, der heutigen Bergstraße, zu vollstrecken. Mit Jakob Sauer, der laut ein »Vater unser« betet, begeben sich Haus und die Volkssturmmänner zum Friedhof. Haus benennt einen Polizisten als Zeugen und erteilt sechs Volkssturmmännern den Befehlt, das Urteil am Friedhof zu vollstrecken. Den Zivilisten vor dem Bunker liest Haus das Urteil vor.

Der Polizist fragt den Delinquenten, ob er das Schild geschrieben habe, Sauer bejaht dies. Daraufhin lässt Haus die Personalien von Jakob Sauer feststellen, nimmt dessen Brieftasche und Wertsachen entgegen.

Sie fahren zum Friedhof. Dort sucht der NSDAP-Kreisleiter am Friedhofseingang am Hindenburgdamm (heute Bergstraße) einen geeigneten Baum aus, an dem Sauer erhängt werden soll. Dieser verhält sich ruhig und leistet keinen Widerstand.

Haus reicht einem der Volkssturmmänner einen Strick, den dieser – von einem anderen Volkssturmmann hochgehoben – an einem Ast befestigt. Drei andere Volkssturmmänner heben jetzt den Verurteilten hoch und lassen ihn in die Schlinge fallen, die ihm um den Hals gelegt worden war. Am Morgen des nächsten Tages erhält ein beim »Roten Kreuz« beschäftigter Wetzlarer Bürger den Auftrag, den Leichnam von Jakob Sauer zu bergen.

Es gibt nur sehr wenige Spuren und Dokumente von Jakob Sauer. Dazu zählt eine Sterbeurkunde als handschriftlicher Eintrag beim Standesamt vom 11.04.1945 und eine Abschrift der Sterbeurkunde aus dem Jahre 1948. Außerdem eine Unterschrift, auf einem Dokument vom 15. November 1944, dass er mit Ernst Jakob Sauer unterzeichnet.

Quellen: Handschriftliche Sterbeurkunde als Eintrag beim Standesamt Wetzlar am 11.04.1945, aus Irene Jung: »Schwere Zeiten in Wetzlar | 1939 – 1949, Hrsg. Magistrat der Stadt Wetzlar 1995. Die Sterbeurkunde vom 16.09.1948 aus Karsten Porezag, Diether Spieß: »Wetzlar 1945«, Hrsg.: Wetzlar Druck, 1995. In beiden Dokumenten wird mit keinem Wort erwähnt, dass Sauer ermordet/hingerichtet wurde. Porezag und Spieß merken zu der Ablichtung der Sterbeurkunde vom 16.09.1948 an: »Das Todesurteil auf der Sterbeurkunde des Wetzlarer Bürgers Ernst Jakob Sauer ist falsch. Das Todesurteil wurde am 27. März 1945, etwa um 19:00 Uhr vollstreckt«.

Die dritte Ablichtung ist ein Dokument vom 15.11.1944, das über eine handschriftliche Unterzeichnung von »Ernst Jakob Sauer« verfügt. Quelle: Karsten Porezag, Diether Spieß: »Wetzlar 1945« S. 172. Aus der Ablichtung und der dazugehörigen Bildlegende geht nicht hervor, um was für ein Dokument es sich hierbei handelt.

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Kapitel 3:
Das Schicksal Jakob Sauers ist kein Einzelfall

Vom Winter 1944/45 bis zum 8. Mai 1945 kam es zu den letzten größeren, verzweifelten Versuchen der Wehrmacht, den Vormarsch der Alliierten zu stoppen Aber die Ardennenoffensive im Westen verzögert den Angriff der Westalliierten auf Deutschland nur um wenige Wochen.

Im Osten wird die letzte große Schlacht gegen die Rote Armee kurz vor Berlin am Oderbruch geführt. Zehntausende sterben dabei auf beiden Seiten. Hierunter viele Fahnenjunker (16-Jährige, rekrutiert als Fahnenjunker zur Offiziersausbildung) aus der Wetzlarer Spilburgkaserne, die am Oderbruch in den Schützengräben landen.

Das NS-Regime mobilisierte mit allen Mitteln die letzten Kräfte für den Krieg. Seine Propaganda verbreitete Angst und Schrecken vor dem Gegner und peitschte der Bevölkerung den »Glauben an den Endsieg« ein. Joseph Goebbels presste als »Generalbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz« ab Juli 1944 Massen neuer Wehrpflichtiger aus der deutschen Bevölkerung heraus.

Ein Beispiel hierfür ist nachfolgende Meldung aus den Wetzlarer Nachrichten vom 26. März 1945:

Feiglinge verfallen dem Tode

Ein Urteil des Standgerichts Hessen-Nassau
Unser Gau in der Frontbewährung

RSG Frankfurt, 25. März. Durch das Standgericht Hessen-Nassau wurde der Führer des Volkssturmbataillons Alois Berndes aus Ingelheim am Rhein wegen Feigheit zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde unmittelbar nach der Verkündung an Ort und Stelle durch Erhängen vollstreckt.

Ein Schild, dass unter dem Verurteilten aufgestellt wurde, verkündete mit seiner Inschrift: »So sterben alle, die ihr Vaterland verraten« den festen Willen unserer Gemeinschaft, ihre Reihen von jedem verräterischen Feigling sauber zu halten.

Hierzu bemerkt die Rheinisch-Mainische Zeitung: »Wie andere deutsche Gaue, so ist nun auch unser Heimatgau Hessen-Nassau in seinen äußersten Grenzbezirken Kampfgebiet geworden. Ganz Deutschland blickt nun auf uns. Ebenso der Feind, dem es darum geht, zu erfahren, ob die Moral der deutschen Volksgemeinschaft durch schwere Belastungen schwächer wird. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Gau Hessen-Nassau dem Führer Gefolgschaftstreue durch den vorgetragenen kämpferischen Geist beweisen wird. So wie wir dem Bombenterror der Luftgangster getrotzt haben, so werden wir auch dem Vordringen des Feindes Trotz bieten und bis zum Letzten unsere Pflicht tun. Auf Haltung und Tat jedes einzelnen Volksgenossen kommt es an, um der Nation die Wende des Kriegsgeschehens zu ermöglichen. Es ist dabei der feste Entschluss der Gemeinschaft, ehrlose Feiglinge und Verräter umgehend auszumerzen, um den Volkskörper reinzuhalten. Die vor kurzem gebildeter Sorgen dafür, dass solche Kreaturen schnell und gründlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Meldung, wonach das Standgericht Hessen-Nassau ein Todesurteil wegen Feigheit verkündet hat, beweist, dass unser Gau zum frontnahen Gebiet geworden ist, in dem nur soldatische Tugend ihren Platz hat. Der feste Wille unserer Gemeinschaft, ihre Reihen von jedem Ehrlosen sauber zu halten, kennzeichnet das Schild, das nach der Vollstreckung des Urteils unter dem Feigling Berndes aufgestellt wurde. Wer in der Entscheidungsstunde dem Vaterland da das Herz verweigert, der muss ausgestoßen werden!«

Quelle: Archiv Ralf Schnitzler; Wetzlarer Anzeiger vom 26.03.1945

Der Artikel im Wetzlarer Anzeiger vom 26.03.1945

Die Brutalität, mit der die Nazis gegen den armen Jakob Sauer vorgingen, ist kein Einzelfall, sondern symptomatisch. Es gab reichsweit viele dieser Ereignisse. Hier ein weiteres Beispiel aus dem Verantwortungsbereich des NSDAP-Gauleiters Jakob Sprenger in den letzten Kriegstagen am 21. März 1945 beim Weinort Nierstein am Rhein:

Die deutschen Truppen hatten sich mit der dortigen Rheinfähre auf die rechte Rheinseite zurückgezogen und dann die Fähre gesprengt. Bereits am 18. März 1945 waren dort fünf ehem. KPD- und SPD-Mitglieder vom NSDAP-Ortsgruppenleiter verhaftet und per Fuß zur Gestapozentrale von Gauleiter Sprenger nach Darmstadt gebracht worden. Da sich dort kurz vorm Einmarsch der Amerikaner niemand mehr um die Sechs kümmern wollte, schickte man sie ohne Entlassungspapiere nach Hause.

Auf dem Weg zurück nach Nierstein wurden sie jedoch am 21. März in Kornsand, einem Ort auf der rechten Rheinseite gegenüber von Nierstein, von einem NSDAP-Funktionär erneut verhaftet und wegen angeblicher Fahnenflucht zum Tode verurteilt und erschossen.

Wenn man heute mit der Rhein-Fähre von Nierstein nach Kornsand hinüberfährt, kann man den Gedenkstein für die ermordeten sechs Menschen am Rand des Ortes betrachten.

Mahnmal in Trebur am Rhein für Ermordete in den letzten Kriegstagen

Gedenkstein in Kornsand © Gemeinde Trebur

Am 15. Februar hatte NSDAP-Gauleiter Sprenger eine menschenverachtende Geheimanweisung an alle Kreisleiter erlassen:

»1. Jeder Volksgenosse muss einer strengen Kontrolle betr. seiner politischen Festigkeit und Willenskraft unterzogen werden.

2. Werden bei dieser Kontrolle Schwächlinge entdeckt, d.h. Vg. [Vg. = Volksgenossen, Anm. der Verfasser], die innerlich evtl. den Gedanken haben oder haben könnten, ›der Krieg geht verloren für uns‹, oder ›wir hören doch am besten auf zu kämpfen‹ usw., so sind diese Vg. wieder mit neuer Kraft zu stärken und ihnen wieder der Glaube an Adolf Hitler zu wecken.

3. Werden Vg. festgestellt, die verbreiten, dass der Krieg für uns verloren sei, und wenn wir kurz davorstehen, so ist mit allen Mitteln diesem Gerücht entgegenzuarbeiten. Die Herren Kreisleiter wollen sich diese Vg. melden lassen und wollen je nach der Lage des Gerüchtes bei der Gauleitung die Verhaftung durch die Gestapo beantragen. Ich halte hier und da eine Verhaftung oder die Zuführung einiger Vg. ins KZ als die geeignetste Maßnahme zur Beseitigung der Gerüchteverbreiter

[…]

7. Ich gebe hiermit den Befehl, Vg., die sich bei Annäherung des Feindes nicht verteidigen oder die Flucht ergreifen wollen, rücksichtslos mit der Waffe niederzuschießen oder wenn es angebracht ist, zur Abschreckung der Bevölkerung – mit dem Strang – hinzurichten.«

Drei Stunden, nachdem NSDAP-Kreisleiter Haus veranlasst hatte, Jakob Sauer an den von ihm ausgesuchten Baum vor dem Friedhofseingang hinzurichten, verließ der NSDAP-Kreisleiter seinen Posten als »Volkssturmführer« und »Stadtverteidigungskommandant von Wetzlar« im Dienstwagen der Buderus-Villa. Er setzte sich mit seiner Frau aus Wetzlar ab. In Göttingen wurde gegen ihn noch ein Standgerichtsverfahren eröffnet, weil er seinem Verteidigungsauftrag nicht nachgekommen sei. Ein ihm bekannter hoher Parteigenosse sorgte jedoch für einen Freispruch.

Am 4. März 1945 wurde Haus in Peine von den Engländern festgenommen und interniert. Aber erst am 29.3.1947 wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen. Im gleichen Jahr wurde er vom Schwurgericht Limburg wegen Totschlags zu lebenslanger Haft verurteilt. In einer Revisionsverhandlung 1948 wurde das Strafmaß auf sechs Jahre Zuchthaus und drei Jahre Ehrverlust reduziert. Unter Anrechnung der bisherigen Haft war er schnell wieder frei, starb aber bald.

NSDAP-Gauleiter Sprenger floh mit seiner Frau vor den anrückenden Alliierten nach Kössen in Tirol. Die Leichen der beiden wurden am 19. Mai 1945 in einem nahegelegenen Auwald von einer Einheimischen entdeckt. Eine von der US- Militärbehörde veranlasste Exhumierung ergab, dass der ehemalige Gauleiter Sprenger an den Folgen einer Vergiftung (vermutlich Zyankali) gestorben war. So entzogen sich sehr viele der NSDAP-Spitzenfunktionäre ihrer Verantwortung.

  • Bild links: NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Haus, bei einer politischen Ansprache in einer Wetzlarer Druckerei. Angesichts der Besetzung des Kreises und der Stadt Wetzlar erwirkte er ein Todesurteil gegen den Wetzlarer  Jakob Sauer und ließ es von Volkssturmmännern vollstrecken. Quelle: Karsten Porezag, Diether Spieß »Wetzlar 1945 – Neubeginn im Altkreis Wetzlar Dokumentation«, S 169.
  • Bild rechts: NSDAP-Gauleiter Jakob Sprenger bei einer Rede im besetzten Amsterdam © Wikipedia

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Kapitel 4:
Tafelansichten und Links

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Kapitel 5:
Statements der Tafelstifter:

Der heutige Eigner des Hauses der Familie Sauer

Warum unsere Familie die Gedenktafel für Jakob Sauer unterstützt: Statement von Jens Kraft heutiger Hausbesitzer Mein Vater wurde im Jahre 1977 Besitzer des Hauses Am Geilberg 4 und bereits seit meiner Kindheit ist mir die Geschichte zu diesem Haus und des Herrn Sauer bekannt. Eben diese Geschichte begleitet mich nun bereits mein ganzes Leben. Immer wieder durfte ich Menschen kennen lernen, die Herrn Sauer aus vergangenen Tagen noch kannten oder eben dieses Haus noch [...]

Von |12.12.2023|Kategorien: Gedenktafelstifter, Jakob Sauer, Jens Kraft, Sponsoren, Tafelstifter|Schlagwörter: , , , |Kommentare deaktiviert für Der heutige Eigner des Hauses der Familie Sauer

Die heutigen Nachbarn am Haus von Jakob Sauer

Warum unsere Familie die Gedenktafel für Jakob Sauer unterstützt: Statement von Klaus Kirdorf für die Familie Kirdorf Meine Familie unterstützt die Aufstellung einer Gedenktafel für Jakob Sauer am Eingang zum Alten Friedhof. Nach unserer Meinung ist es auch heute noch wichtig, dass Nazi-Verbrechen sichtbar bleiben. Meine Frau hat die Folgen des Zweiten Weltkriegs als Flüchtlingskind erlebt und ich hautnah in meiner Geburtsstadt Wiesbaden den Bombenterror. Schon als Kind fielen mir im Fotoalbum meines Vaters [...]

Von |17.10.2023|Kategorien: Familie Kirdorf, Gedenktafelstifter, Jakob Sauer, Sponsoren, Tafelstifter|Schlagwörter: , , , |Kommentare deaktiviert für Die heutigen Nachbarn am Haus von Jakob Sauer

Magistrat der Stadt Wetzlar

Warum wir die Gedenktafel zu Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar unterstützen Ein Statement von Oberbürgermeister Manfred Wagner »Zukunft braucht Erinnerung« Dieses Wort will ich meinem Statement voranstellen und gerne beschreiben, warum es der Stadt Wetzlar wichtig ist, das vom dem Verein WETZLAR ERINNERT e.V. angestoßene Projekt »Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit« zu unterstützen. In unseren Tagen erleben wir leider immer wieder, dass der Geist derer, die uns die dunkelsten Stunden in der Geschichte unseres [...]

Von |02.05.2018|Kategorien: Gedenktafelstifter, Sponsoren, Stadt Wetzlar|Schlagwörter: , , , |Kommentare deaktiviert für Magistrat der Stadt Wetzlar

WETZLAR ERINNERT e.V.

Gruppenbild oben v.l.n.r.: Natalija Köppl (stellv. Vorsitzende), Stefan Lerach (Beisitzer), Andrea Grimmer (Schatzmeisterin), Arne Beppler (Beisitzer), Irmtrude Richter (Schriftführerin) und Ernst Richter (Vorsitzender) Warum haben wir das Projekt Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit initiiert? Ein gemeinsames Statement unseres Vorstandes In der Satzung von WETZLAR ERINNERT e.V. steht: »Damit sich deutscher Faschismus nicht wiederholt, ist es erforderlich, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und Wege zu eröffnen, die auch denen Zugang ermöglichen, die diese Zeit nicht [...]

Von |02.05.2018|Kategorien: Gedenktafelstifter, Wetzlar erinnert|Schlagwörter: , , , |Kommentare deaktiviert für WETZLAR ERINNERT e.V.

Demokratie leben

Förderung unserer HomepagesFörderung von Projekten unseres Vereins Der Verein WETZLAR ERINNERT e.V. hat schon mehrere seiner Erinnerungs- und Gedenkprojekte zur NS-Zeit mit Hilfe der Programme »Demokratie leben!« und dem Vorläufer-Programm »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert bekommen. Die Entscheidung über die Förderung fällt innerhalb der lokalen Partnerschaft für Demokratie Wetzlar | Lahn-Dill-Kreis ein Begleitausschuss. Hierzu zählen unter anderem die Projekte: der Weg der Erinnerungunsere antifaschistische Stadtführung [...]

Von |01.09.2012|Kategorien: Demokratie leben, Gedenktafelstifter, Sponsoren|Schlagwörter: , , , |Kommentare deaktiviert für Demokratie leben

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Gedenktafelenthüllung am 16.12.2023 für Jakob Sauer am alten Friedhof
Vorschau Tafel 17 Jakob Sauer Alter Friedhof
Initiative Stolperstein für Jakob Sauer
GTE 2022-10-07 Tafel 11 Ernst Leitz II
21.05.2022 Gedenktafelenthüllung
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Tomasz (2.v.l.) und seine Freunde, die mit ihm nach Wetzlar kamen
DMV-Haus Fahradgruppe Reichsbanner vorm DMV Haus WZ (Überführung 3)
Gedenktafelenthüllung am 19.12.2019 Sparkassenpassage
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