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im Kulturzentrum FRANZIS

Unser Verein wurde in diesem Jahr 10 Jahre alt. Das haben wir gefeiert am 16.09.2023 im Veranstaltungsraum des Kulturzentrums Franzis. Selbstverständlich mit den Vereinsmitgliedern, aber auch gerne mit Begleiter*innen, Partner*innen, Unterstützer*innen und Berater*innen von Wetzlar erinnert e.V. Der Saal war voll und hätte nicht gereicht, wenn alle gekommen wären, die wir eingeladen hatten. Dennoch hatten wir uns für diesen Ort entschieden, weil sich vor 10 Jahren am 08.08.2013 der Verein gründete und seitdem mehr als 3.000 Teilnehmer*innen den Weg der Erinnerung mit einer Einführung begannen.

Höhepunkt der Veranstaltung war die Lesung aus dem Buch des NS-Zwangsarbeiters Tomasz Kiryllow » … und Ihr werdet doch verlieren!« von Chris Sima und Irmgard Mende, musikalisch begleitet von Ina Steger mit der Gitarre und dem Schifferklavier.

Hier finden Sie die Fotostrecken, Filme und auszugsweise die Texte der Reden, die gehalten wurden. Außerdem einen geschichtlichen Abriss darüber, warum es uns gibt.

Klicken Sie auf in der nachfolgenden Übersicht auf die gewünschte Passage und sie öffnet sich:

Warum gibt es Wetzlar erinnert e.V.

Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass vor etwa 15 Jahren eine sehr militant agierende Gruppe junger Neonanzis in Wetzlar ihr Unwesen trieb. Diese waren von der völkischen Ideologie so beseelt, dass sie keine Skrupel davor hatten, das Leben derer zu bedrohen, die sie nicht für Deutsch oder als politische Gegner einstuften. Höhepunkt dieser Gewalttaten war in der Nacht auf den 19. März 2010 der Brandanschlag auf ein Familienhaus, das den ermittelnden Staatsanwalt veranlasste, Anklagen wegen versuchten Mordes zu erheben.

Bei der Diskussion, wie man neben den ordnungspolitisch und juristisch gebotenen Maßnahmen gegen diese Gruppe auch zivilgesellschaftlich Flagge zeigen kann zugunsten einer sich weltoffenen und tolerant gebenden Stadtgesellschaft, kam unter anderem die Idee auf, eine spezielle historische Stadtführung anzubieten, die an hierzu geeigneten Stationen die Ereignisse der Nazizeit in Wetzlar aufzeigt und klar macht, dass Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist. Aus dieser Idee entstand der »Weg der Erinnerung« – die Zeitreise durch das Wetzlar von 1933 bis 1945. An der Premiereführung am 1. Sept. 2012 nahmen 94 Menschen teil, die in Fünfzehnergruppen von Station zu Station geschickt wurden, wo eine*r der zuvor qualifizierten Guides den Teilnehmer*innen erzählte, was dort passiert war. Zwischenzeitlich haben über 3.000 Menschen an diesen Führungen teilgenommen, die mit einem Einführungsvortrag im Kulturzentrum Franzis beginnen.

Das Projekt erhielt die Zusage, aus Mitteln des Bundeshaushaltes gefördert zu werden, aber eine Voraussetzung hierfür war die Gründung eines gemeinnützig anerkannten Vereins. Und so entstand WETZLAR ERINNERT e.V. am 6. August 2013. Die 14 Gründungsmitglieder trafen sich im Kulturzentrum Franzis und formulierten in der Präambel unserer Satzung:

»Wer nicht erinnert, vergisst – wer vergisst, kann wieder schuldig werden. Damit sich deutscher Faschismus nicht wiederholt, ist es erforderlich, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen … «

Umso wichtiger, wenn man weiß, dass die letzten Zeitzeugen bald nicht mehr unter uns sein werden.

Seitdem werden neben dem »Weg der Erinnerung« Fahrten zu Gedenkstätten und Lesungen zu Ereignissen der NS-Zeit angeboten, mit dem Projekt »Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar« sollen seit 2018 an 25 Standorten vorbeigehende Passant*innen durch die 90×79 cm großen Schilder auf das aufmerksam gemacht werden, was dort geschah. Die 16. Tafel wurde anlässlich des Ochsenfestes unterm Hakenkreuz vor 90 Jahren am 15. Juli 2023 auf der Bachweide und vor dem Festgelände Finsterloh enthüllt. Der auf den Tafeln befindliche QR-Code ermöglicht Interessierten mit ihrem Smartphone eine Internetseite mit detaillierten Informationen zu diesem Ereignis zu öffnen. Zu jeder dieser Tafeln können wir Tafelstifter gewinnen, die das Projekt unterstützen, das aus dem Bundesprogramm »Demokratie leben« bezuschusst wird.

Ein besonderes Anliegen war es dem Verein, die noch lebenden Zeitzeug*innen, die ihre Kindheit während der Nazi- und Kriegszeit erleben mussten, zu Wort kommen zu lassen und deren Aussagen per Filmaufnahmen festzuhalten. Dank der Bereitschaft von hessencam – einem medienpädagogischen Angebot der katholischen Domgemeinde an Jugendliche – interviewten fünf Jugendliche unter Anleitung von Pastoralreferent Joachim Schaefer acht Senior*innen. Leider behinderte die Pandemie die Aufnahmemöglichkeiten sehr stark. Immer wieder mussten Drehtermine abgesagt, die Fertigstellung der Filme verschoben werden. Aber die Filme wurden im Internet auf der Vereinshomepage zwischenzeitlich veröffentlicht und hoffentlich kann bald in einem gemeinsamen Treffen der Zeitzeug*innen mit ihren jungen Interviewer*innen der Öffentlichkeit die Filme präsentiert werden.

Ebenfalls möchten wir dafür Sorge leisten, dass das Ausmaß der NS-Zwangsarbeit von 1942-1945 in Wetzlar als zeitgemäße Dauerausstellung in die städtische Museumslandschaft integriert wird. wir haben ein Industriemuseum und dort muss das Thema aufgenommen werden.

Falls Sie uns unterstützen oder im Verein mitmachen möchten: Wir würden uns sehr darüber freuen! Auch an Dokumente und Bilder aus der Zeit sind wir sehr interessiert!

16.00 Uhr
Ankommen
Begrüßung mit Sekt und O-Saft

16.30 Uhr
Eröffnung und Begrüßung
Julie Sir und Ernst Richter

16.35 Uhr
»Besser. einmal gesehen, als tausendmal davon gehört zu haben …«
Bilder aus den Highlights unserer Erinnerungs- und Gedenkinitiativen der letzen 10 Jahre

16.45 Uhr
Laudatio
MdB Dagmar Schmidt

17.05 Uhr
Zeitzeugen*innenfilme der NS-Zeit
(Auszüge)

17.20 Uhr
Grußworte
Prof. Dr. Roman Poseck (Hessischer Minister der Justiz)
• Weitere Grußworte von Stadtrat Jörg Kratkey (Kulturdezernent der Stadt Wetzlar)
• Pfarrer Dr. Hartmut Sitzler (Superintendent des Ev. Kirchenkreises)
• Pfarrer Wolfgang Grieb (Gesellschaft für Chrstlich-Jüdische Zusammenarbeit)
• Dr. Oliver Nass (Ernst-Leitz-Stiftung)
• Markus Huth (unser Partnerverein Weilburg erinnert e.V.)
• Caroline Jung (Trägerverein Kulturzentrum FRANZIS)
• Danksagung an das Kulturzentrum FRANZIS für die Zusammenarbeit der letzen 10 Jahre

17.45 Uhr
»Und ihr werdet doch verlieren«
Lesung aus dem Buch des Zwangsarbeiters Tomasz Kiryllow
Rezitation: Christ Sima und Irmgard Mende
Musikalischische Begleitung: Ina Steger

18.30 Uhr
Gespräche bei Getränken und Leckerem vom Buffet
Getränkeservice vom Franzis, Fingerfood Café Freiraum (WALI)

10 Jahre WETZLAR ERINNERT e.V.  – Moderation – Eröffnung

Es gilt das gesprochene Wort

Julie Sir (kursiv und blau)
Ernst Richter (schwarz)

Wir möchten nun beginnen

Und uns kurz vorstellen:

Neben mir steht Julie Sir
sie vertritt Natalija Köppl, unsere stellvertretende Vorsitzende.

Natalija ist seit einer Woche die Mutter von Anton! Und dem geht es seit zwei Tagen nicht so gut und ich springe ein.

Julie vertritt heute die feminine Seite und die jungen Leute in unserem Verein. Sie ist seit drei Jahren Guide auf dem »Weg der Erinnerung«.

Und neben mir steht Ernst Richter, unser Vorsitzender. Er repräsentiert genau das Gegenteil in unserem Verein.

Wir werden gemeinsam diese Veranstaltung moderieren.

Liebe Gisela,
sehr geehrter Herr Minister Prof. Dr. Posek;
sehr geehrter Herr Stadtrat Kratkey;
meine Damen und Herrn Abgeordnete

  • des Deutschen Bundestages,
  • des hessischen Landtages,
  • des Kreistages,
  • sowie der Stadtverordnetenversammlung.

Werte Magistratsmitglieder.

Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Stifter unserer Tafeln zu den Ereignissen der NS-Zeit,
liebe Gäste und Vereinsmitglieder!

Manche werden sich fragen:
… und wer ist Gisela?

Sie wurde 1934 in Wetzlar geboren
als die Tochter von Rosa und Werner Best.
Sie musste als Kind erfahren, was es heißt, ein »Judenbalg« zu sein!
Obwohl sie evangelisch getauft war,
galt sie nach den Rassengesetzen der Nazis als »Halbjüdin«.

Seitdem schnitten sie ihre Schulkameradinnen,
 aber auch die Lehrkräfte;
Nachbarn beschimpften sie!

1938 musste sie als Vierjährige erleben,
wie ihr Großvater Josef Lyon
in »Schutzhaft« genommen wurde.

Er kam wieder frei, aber das war nur ein Aufschub.
Der Altmetallhändler und seine Frau Berta wurden 1940 in die Vernichtungslager abtransportiert.

Zwei Jahre später wurde auch Ihre Mutter –  Rosa Best – nach Auschwitz gebracht und dort 1944 ermordet.

Auch ihre Tanten wurden von den Nazis umgebracht.

Am 29. März 1945 besetzt die US-amerikanischen Soldaten Wetzlar.
Zwei von ihnen suchten drei Tage später Giselas Vater auf.
Sie fragten ihn, ob er zwei Töchter habe?
Und nach seiner Bestätigung zeigten sie ihm den Befehl zum Abtransport
der damals 11-jährigen und ihrer vier Jahre jüngeren Schwester.

Sie hatten den Nazibefehl gefunden
in der Buderus-Villa, die 1933 – 1945 als NSDAP-Kreisleitung diente.

Gisela war also in der letzten Sekunde dem Tod von der Schippe gesprungen.
Sie hat lange gebraucht, bis sie über all das reden öffentlich konnte.

Filme wie »Schindlers Liste« in den 1990er Jahre haben sie dazu ermutigt.
Seitdem geht sie in Schulklassen
zu Konfirmandengruppen
und stand zwischenzeitlich schon einigen Fernsehteams als Zeitzeugin zur Verfügung.

Seit 2014 ist sie unser Ehrenmitglied.
Meine Damen und Herrn, begrüßen Sie mit uns Gisela Jäckel!

Wir freuen uns, dass Sie so zahlreich erschienen sind.
Und Sie fragen sich sicherlich:
Hätte man nicht einen größeren Saal wählen können? Nein! Hätte nicht!

  • Denn genau hier trafen sich vor 10 Jahren am 6. August 14 Leute,
    um WETZLAR ERINNERT e.V. zu gründen.
  • Seitdem haben etwas mehr als 3.000 Menschen in diesem Saal den Weg der Erinnerung begonnen.
  • Und könnte es in Wetzlar einen Ort geben, der authentischer ist, was unser Thema – dem Erinnern und Gedenken an die NS-Zeit – betrifft.
  • Authentischer als diese Baracke, die 1941 als Wohnort für rund 120 Fremd-arbeiter aus dem faschistischen Italien errichtet,
  • die bei der Fa. Leitz die Arbeiter ersetzen sollten, die man zur Wehrmacht einge-zogen hatte.

Deshalb sind wir heute genau hier – auch wenn‘s etwas eng wird.

Wir bedanken uns bei unseren Sponsoren der heutigen Veranstaltung

  • Der Initiative Respekt –
    Kein Platz für Rassismus!
  • Und beim Kulturförderverein FRANZIS

Und wir möchten keine großen Reden über uns selbst machen
Stattdessen mit einem Bilderpotpourri über die letzten zehn Jahre beginnen, nach dem Motto:

»Lieber einmal gesehen –
statt tausendmal nur davon gehört zu haben«

Und dann andere zu Wort kommen lassen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

Sorry, Redebeitrag fehlt noch

Fotos: Stefan Lerach @ Wetzlar erinnert e.V.