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WANDERAUSSTELLUNG:
»Französische Kriegsgefangene im STALAG IX A Ziegenhain«
ist noch bis zum Freitag (29.11.2024) im Neuen Rathaus zu sehen

Der Einladung zur Ausstellungseröffnung folgten am 25. November rund 50 Personen. Das Programm wurde als kurzweilig und vielfältig wahrgenommen. Eine Dokumentation im Einzelnen können sie den nachfolgenden Aufklappfeldern entnehmen.

Am Montag, dem 25. November, wurde im Rathaus Wetzlar eine deutsch-französische Wanderausstellung vorgestellt, die sich mit dem Schicksal französischer Kriegsgefangener während des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzt. Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des französischen Vereins (ADAPG), einem Zusammenschluss von Angehörigen ehemaliger französischer Kriegsgefangener, und der Gedenkstätte und Museum Trutzhain.

Der Magistrat der Stadt Wetzlar, die Deutsch-Französische Freundschaftsgesellschaft und Wetzlar erinnert e.V. ermöglichten gemeinsam, dass diese Ausstellung bis zum 29.11.2024 auf der Galerie im Obergeschoss des Neuen Rathauses Wetzlar zu sehen ist. Bürgermeister Dr. Andreas Viertelhausen wies zu Beginn der Eröffnungsveranstaltung darauf hin, dass die Zeit eben nicht alle Wunden verheile und wir gerade heute wieder wachsam sein müssen, um unsere demokratischen Grundwerte zu verteidigen.

Die Ausstellung beleuchtet anhand zahlreicher Dokumente, historischen Fotos und biografischen Zeugnissen in 20 Kapiteln den Weg der Kriegsgefangenen von ihrer Gefangennahme über den flächendeckenden Arbeitseinsatz in der deutschen Kriegsindustrie bis hin zur Befreiung und Rückkehr nach Frankreich. In einer Vitrine werden zudem Originaldokumente und Exponate aus dem Lagerleben gezeigt, die die Mitglieder des ADAPG von ihren Vätern geerbt haben. Der Leiter der Schwalmstädter Gedenkstätte und Museum Trutzhain, Sebastian Sakautzki, wies darauf hin, dass bis heute das Thema Kriegsgefangenschaft im NS-Staat öffentlich wenig präsent ist, obwohl es nach wie vor an vielen Orten Deutschlands Hinweise auf die Internierung und den erzwungenen Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen während des Zweiten Weltkriegs gibt. So auch in Wetzlar. Wetzlar erinnert dokumentiert gerade auch deshalb an fünf Beispielen und auf zwei großen Stadtplänen von Wetzlar aus dem Jahre 1940, wie viel das Ganze mit den damaligen Ereignissen in der Stadt Wetzlar zusammenhängt.

Insgesamt wurden ca. 1,6 Millionen französische Kriegsgefangene in Gefangenenlager ins Deutsche Reich verbracht. Dafür wurden 47 Offizierslager und 80 Stamm-Mannschafts-Lager (Stalags) für Unteroffiziere und Mannschaften errichtet. Eines dieser Lager war das Stalag IX A Ziegenhain. Mit seinen zeitweise über 53.000 registrierten Kriegsgefangenen, davon etwa 30.000 Franzosen, war es das größte Stammlager auf dem Gebiet des heutigen Bundeslands Hessen. Und die, die den Krieg und die Gefangenschaft überlebt haben, kamen nach mehr als fünf Jahren oft als »fremde und gebrochene Männer« nach Hause, die von Ihren Kindern nicht erkannt wurden. Aus Scham schwiegen sie meistens über das, was man ihnen angetan hatte, schilderte der ADAPG-Vorsitzende Paul Raveaud in einer emotionalen und beeindruckenden Rede. Raveaud war eigens aus Lyon angereist, um der Ausstellungseröffnung beiwohnen zu können.

Das NS-Regime wollte die Arbeitskraft der Franzosen -und Kriegsgefangener zahlreicher anderer Nationen- ausbeuten und setzte sie in nahezu allen Wirtschaftsbereichen ein. Auch in und um Wetzlar mussten Kriegsgefangene u.a. in der Industrie, der Stadtverwaltung und der Ortsbauernschaft arbeiten. Es waren alleine 19 sogenannte »Arbeitskommandos« mit französischen Kriegsgefangenen, die in der Wetzlarer Rüstungsindustrie, aber auch bei der Stadtverwaltung oder der Reichsbahn als Zwangsarbeiter eingesetzt worden waren. Die große Mehrheit der französischen Gefangenen blieb fünf Jahre in deutschem Gewahrsam.

Die Ausstellung ist noch bis zum Freitag zu den Öffnungszeiten im Rathaus zu sehen.

Bilder und Reden zur Ausstellungseröffnung in nachfolgenden Aufklappmenüs:

Ausstellungseröffnung
Mo., 25. November,
Beginn 17.00 Uhr

Im Neuen Rathaus
Foyer 1. Obergeschoss

Es sprachen:

Bürgermeister Dr. Andreas Viertelhausen

  • Dr. Andreas Viertelhausen
    Bürgermeister der Stadt Wetzlar
  • Ingolf Hoefer
    Vorsitzender der Deutsch-französischen Gesellschaft Wetzlar e.V.
  • Sebastian Sakautzki
    Leiter Gedenkstätte und Museum Trutzhain in Schwalmstadt-Trutzhain
    Paul Raveaud
    Sprecher der ADAPG, dem Verein der Nachfahren französischer Kriegsgefangener des Wehrkreises IX
  • Moderation:
    Ernst Richter
    Vorsitzender von Wetzlar erinnert e.V.

Anschließend folgte eine

Führung durch die Ausstellung
mit Sonja Klinke
Mitarbeiterin der Gedenkstätte und Museum Trutzhain
und Paul Raveaud
Sprecher der ADAPG
Ergänzungen über den Arbeitskommandos französischer Kriegsgefangener in Wetzlar
durch Ernst Richter

Abschließend zum Ausklang:

Umtrunk und Gespräche
Veranstaltungsende gegen 18:30 Uhr

es gilt das gesprochene Wort:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Viertelhausen,
sehr geehrte Stadtverordnete,
sehr geehrter Herr Richter,
sehr geehrter Herr Hoefer,
liebe Damen und Herren,

Während des Zweiten Weltkriegs wurden 1,6 Millionen französische Kriegsgefangene in Gefangenenlager ins Deutsche Reich verbracht. Die große Mehrheit von ihnen blieb fünf Jahre in deutschem Gewahrsam. Eines dieser Lager für französische Kriegsgefangene war das STALAG IX A Ziegenhain, gelegen im heutigen Schwalm-Eder-Kreis. Mit seinen zeitweilig über 50.000 registrierten Kriegsgefangenen, davon etwa 30.000 Franzosen war es das größte Stammlager auf dem Gebiet des heutigen Hessen. Mehr als 80% der Gefangenen lebten außerhalb des Lagers und arbeiteten zusammengefasst in Arbeitskommandos für die deutsche Kriegswirtschaft.

Der Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen beschränkte sich dabei nicht nur auf den nordhessischen Raum, vielmehr waren beispielsweise auch hier in Wetzlar Kriegsgefangene zur Arbeit eingesetzt.

Während des Zweiten Weltkriegs basierte die deutsche Wirtschaft zu einem großen Teil auf Zwangsarbeit. 13 Millionen Menschen mussten in Deutschland Zwangsarbeit leisten – darunter u.a. KZ-Häftlinge, zivile Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Die Fortführung des Krieges und auch die Versorgung der deutschen Bevölkerung waren abhängig von Zwangsarbeiter:innen und deren rücksichtloser Ausbeutung. Alle Bereiche der deutschen Wirtschaft waren von Zwangsarbeit geprägt: Bergbau, (Rüstungs-)Industrie, die Baubranche, Land- und Forstwirtschaft, kommunale Betriebe, Verwaltung und Handwerk, Kirchen, Nahrungsmittelindustrie bis hin zu kleinen Bäckereien und Privathaushalten.

Trotz dieser Dimensionen sind die Themen Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft in der breiteren Öffentlichkeit wenig präsent – obgleich es bis heute an vielen Orten Hinweise auf den erzwungenen Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen und damit verbundene »Familienerinnerungen« gibt. Die Anwesenheit von Kriegsgefangenen auf den Straßen und am Arbeitsplatz gehörte zum Kriegsalltag der deutschen Bevölkerung und wurde – und wird oftmals auch heute noch – nicht als Verbrechen des NS-Regimes wahrgenommen.

Die hier gezeigte Ausstellung widmet sich aus diesem Anlass dem Schicksal französischer Kriegsgefangener unter dem NS-Regime. Am Beispiel der Geschichte des STALAG IX A Ziegenhain und der beiden weiteren Lager des Wehrkreises IX in Bad Orb und Bad Sulza soll deren Häftlingsalltag beleuchtet und in den historischen Kontext eingeordnet werden. Im Fokus der Darstellung steht die von Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Lagern und den Arbeitskommandos.

Die Ausstellung wurde gefördert durch die Hessische Landeszentrale für politische Bildung und den Deutsch-Französischen Bürgerfonds.

Sie ist eine ist ein Kooperationsprojekt der Gedenkstätte und Museum Trutzhain und der »Association des Descendants des Anciens Prisonniers de Guerre des STALAGS IX A, IX B, IX C«, kurz ADAPG, einem Zusammenschluss von Angehörigen ehemaliger französischer Kriegsgefangener. Für diese Zusammenarbeit bin ich unendlich dankbar – sie belebt und bereichert die Arbeit der Gedenkstätte auch über diese Ausstellung hinaus maßgeblich mit neuen Impulsen und neuen Erkenntnissen. Bedanken möchte ich mich bei allen Mitgliedern des ADAPG, die mit Dokumenten, Fotos und Erinnerungen zu dieser Ausstellung beigetragen haben. V.a. aber bei Paul Raveaud und Vincent Peton, die im letzten Jahr unermüdlich an dieser Ausstellung gearbeitet haben. Bedanken möchte ich mich auch bei Sonja Klinke und Werner Schwalm, die von Seiten der Gedenkstätte Recherchen, Koordination und Layout übernommen haben.

Ein herzlicher Dank auch an die Stadt Wetzlar, den Deutsch-französischen Partnerschaftsverein Wetzlar und an „Wetzlar erinnert“, das wir die Ausstellung in dieser Woche hier im Rathaus zeigen dürfen. Besonders freut mich, dass durch zahlreiche zusätzliche Poster zur Situation der Kriegsgefangenen in Wetzlar, eines der wesentlichen Ziele unserer Ausstellung bereits jetzt sichtbar wird: Die Ausstellung soll dazu einladen lokale Recherchen und Gespräche anzustoßen, damit das Thema Kriegsgefangenschaft aus dem Erinnerungsschatten geholt wird.

Vielen Dank!

 

Es gilt das gesprochene Wort

Herr Bürgermeister,
Herr Hoefer,
Herr Richter,
sehr geehrte Damen und Herren!

Vor sechs Jahren, am 9. April 2018, war ich hier in der schönen Stadt Wetzlar. Zusammen mit Werner Schwalm, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte und des Museums Trutzhain, suchten wir nach den Spuren eines alten Flugplatzes, der während des Zweiten Weltkriegs existierte.

Ich hatte nämlich in den Nationalarchiven in Paris den Beweis gefunden, dass mein Vater im April 1945 mit einem Flugzeug der amerikanischen Luftwaffe nach Frankreich zurückgebracht worden war. Dieses Flugzeug, eine Dakota, startete von dem kleinen Flugplatz in Wetzlar. Wie Werner Schwalm nachweisen konnte, befand sich dieser Flugplatz neben der Spilburg-Kaserne.

Während meiner Recherchen über die Gefangenschaft meines Vaters wurde mir klar, dass viele Episoden der Gefangenschaft, wie die Rückführung von Gefangenen mit Flugzeugen, unbekannt waren und vor allem, dass die Gefangenschaft von 1,6 Mio. französischen Soldaten in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich und auch in Deutschland bis heute unbekannt ist.

Aus diesem Grund hat unser Verein der Nachkommen ehemaliger Kriegsgefangener der Gedenkstätte und dem Museum Trutzhain vorgeschlagen, eine Ausstellung zusammen zu realisieren, um die Realität des Alltagslebens der französischen Kriegsgefangenen in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs zu vermitteln.

Diese Ausstellung ist eine deutsch-französische Ausstellung. Die Texte und Illustrationen stammen aus den Archiven der Gedenkstätte und des Museums Trutzhain und aus den Archiven unserer Familien. Vor allem aber ist sie deutsch-französisch, weil sie dazu beiträgt, eine gemeinsame Erinnerung an die Gefangenschaft, diese wichtige Tatsache des Zweiten Weltkriegs, zu schreiben.

Heute ziehen, wie in den 1930er Jahren, dunkle Wolken über den Himmel unserer Länder. Antisemitismus, Rassismus und Leugnung der Shoah werden von populistischen und nationalistischen politischen Kräften getragen. Wir wissen, wohin das führen kann.

Gemeinsam müssen wir gegen dieses gefährliche Gedankengut ankämpfen und dafür immer wieder an die Geschichte erinnern, unsere gemeinsame, so schmerzhafte Geschichte.

Die Realisierung dieser Ausstellung hat eine sehr starke Verbindung zwischen unserem Verein und der Gedenkstätte und dem Museum Trutzhain geschaffen. Heute kann diese Ausstellung als Wanderausstellung dazu beitragen, neue Bande zwischen uns, den deutschen und französischen Bürgern, zu knüpfen.

Diese Verbindungen sind unerlässlich, um unsere Demokratien zu stärken und ein Europa des Friedens, der Brüderlichkeit und der Freiheit aufzubauen.

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie unsere Ausstellung hier in Wetzlar, wo mein Vater an einem Tag im April 1945 seine Freiheit wiedererlangt hat, willkommen heißen.

Bilder © Stefan Lerach und Ernst Richter