Gedenktafel für Ernst Leitz II
und sein Engagement für Demokratie und jüdische Mitmenschen

Etwa 85 Menschen folgten am Fr., 7. Oktober 2022, der Einladung zur Gedenktafelenthüllung vor dem Neuen Rathaus und fanden sich gegen 16:00 Uhr im Sitzungssaal der Stadtverordneten ein, wo sie Ernst Richter (Vorsitzender von Wetzlar erinnert e.V.) im Namen der Tafelstifter begrüßte. Diese sind neben seinem Verein der Magistrat der Stadt Wetzlar, die Ernst Leitz Stiftung sowie Leica Camera und Leica Microsystems.

Vor der Eröffnung führte zum Auftakt der Film »One Camera – One Life« inhaltlich in das Thema ein, dass im Fokus des zweistündigen Programms stand:
Ernst Leitz II, sein Engagement für Demokratie, seine Verachtung für die Nazis, seine Leistungen zur Lebensrettung von Jüdinnen und Juden. Hierzu sprach Frank Dabba Smith, ein in London lebender Rabbiner, der über seine Liebe zur Leica auf Ernst Leitz stieß und viele Vorgänge aus dem Rettungswiderstand von Ernst Leitz zwischen 1933 und 1945 recherchierte. In seiner Doktorarbeit fasste er die Ergebnisse dieser umfangreichen Recherche zusammen und veröffentlichte mehrere Bücher zu Ernst Leitz II und Elsie Kühn-Leitz.

Zuvor sprachen die Vertreter*innen der Tafelstifter und erläuterten, warum sie der Initiative für diese Gedenktafel beigetreten sind: Oberbürgermeister Manfred Wagner, Vorsitzender der Ernst Leitz Stiftung Dr. Oliver Nass, Dr. Annette Rinck, die Präsidentin von Leica Microsystems und Stefan Daniel (Executive Vice President Technology & Operations) in Vertretung des Vorstands von Leica Camera. Vor den Ausführungen von Frank Dabba Smith wurde die Tafel vor dem Neuen Rathaus enthüllt.

In den nachfolgenden Aufklappmenüs und über die Links finden Sie eine Fotostrecke von der Veranstaltung, die Reden der Tafelstifter und auch den Vortrag von Frank Dabba Smith.

Gedenktafel für Ernst Leitz II
und sein Engagement für Demokratie und jüdische Mitmenschen
Fr., 7.10.2022, 16:00 Uhr
Stadtverordnetensitzungssaal im Neuen Rathaus Wetzlar

Programm für die Feierstunde:

Auftakt
»One Camera – One Life« (Zeitzeugenfilm über den Rettungswiderstand von Ernst Leitz II)

Eröffnung und Begrüßung:
Ernst Richter (Vorsitzender von Wetzlar erinnert e.V.)

Für die Tafelstifter sprachen:
Oberbürgermeister Manfred Wagner (Magistrat der Stadt Wetzlar)
Dr. Oliver Nass (Vorsitzender der Ernst Leitz Stiftung)
Dr. Annette Rinck (Leica Microsystems)
Stefan Daniel (Executive Vice President Technology & Operations in Vertretung des Vorstands Leica Camera)

Tafelenthüllung gegen 16:50 Uhr
Am Fußweg an der Ernst-Leitz-Straße

Würdigung des Engagements von Ernst Leitz II
Durch Dr. Frank Dabba Smith (Rabbiner, Großbritannien)

Ausklang
bei Gesprächen, Imbiss und Getränken

Frank Dabba Smith   

Frank Dabba Smith lebt in London, wo er bis 2019 Rabbiner an der Mosaic Liberal Synagogue war und am Leo Baeck College für angehende Rabbiner lehrt. Er gilt international als der Kenner des Rettungswiderstandes, den Ernst Leitz II für jüdische und demokratisch gesinnte Mitmenschen während des Nazi-Regimes geleistet hat.

Er hat sich sehr früh als Leica-Fotograf für die Geschichte der Ernst Leitz GmbH und der Leica interessiert. Bei einem Besuch in Wetzlar 1999 erhielt er Kontakt mit Dr. Knut Kühn-Leitz und sprach ihn auf das mögliche Wirken dessen Großvaters, Ernst Leitz II, an, das der Familie jedoch kaum bekannt war. Dank der anschließenden gemeinsamen Recherchen konnten über 80 Beispiele dokumentiert werden, wie Ernst Leitz II zwischen 1933 und 1945 Verfolgten half, die Nazizeit zu überleben und sich eine neue Existenz aufzubauen.

Seine Forschungen hat er in seiner Doktorarbeit (Ernst Leitz of Wetzlar: Helping the Persecuted, 2017) am University College London (UCL) aufbereitet, wo er heute Honorary Research Fellow ist. Er gilt als DER Kenner des von Ernst Leitz´geleisteten Rettungswiderstandes.

Herr Dabba Smith hatte seinen Vortrag auf Englisch gehalten. Eine illustrierte Übersetzung dieser Rede auf Deutsch wurde den Teilnehmer*innen ausgehändigt.

.

Wir – der Kreis der Tafelstifter – haben bewusst zu Beginn diesen Film gewählt, als Einstieg für das Thema, was uns die nächsten 2 Stunden beschäftigen wird. Das Wirken von Ernst Leitz II.

Jede unserer vorausgegangen Tafelenthüllungen war mit einer Gedenkstunde verbunden. Und jede dieser Gedenkstunden war auf ihre Art einzigartig.

Ich bin mir sehr sicher, dass das auch auf diese Veranstaltung zutreffen wird.

Denn keiner hat so viel über Ernst Leitz II recherchiert und geforscht, wie unser heutiger Gast aus England. Er hat 1955 in Kalifornien das Licht der Welt erblickt, absolvierte dort mehrere Studiengänge und in einem davon studierte er Fotografie.

Er arbeitete viele Jahre als freiberuflicher Fotograf für Firmenkunden sowie das Magazin Economist (UK). Ich nehme an, dabei »verliebte« er sich in die Leica, die ihn dann später zu seinen Recherchen über das Wirken von Ernst Leitz II führte.

Am Londoner Leo Baeck College ließ er sich zum Rabbiner ausbilden und diente 22 Jahre lang als Rabbiner an einer liberalen Synagoge in England. Er hat außerdem einen MA in Photographic Studies von der University of Westminster erworben und seine Doktorarbeit am University College London geschrieben. Dabei beschäftigte er sich mit dem Verhalten von Ernst Leitz II aus Wetzlar. Und er gilt heute als DER Kenner des von Ernst Leitz geleisteten Rettungswiderstandes.

Hello and welcome Mr Dabba Smith. We are happy to see you in our circle.

And we look forward to your speech.

Mr. Dabba Smith,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine Herren Landtagsabgeordneten
werte Magistratsmitglieder und Stadtverordnete der Stadt WZ,
liebe Angehörige der Familien Leitz, Kühn-Leitz und Nass,
sehr geehrte Frau Dr. Rinck und alle weiteren Vertreterinnen und Vertreter von Leica Microsystems,
sehr geehrter Herr Daniel und alle weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Leica Camera AG,
sehr geehrter Herr Dr. Nass, als Vorsitzender der Ernst Leitz Stiftung,
liebe Leitzianer, die ihr teilweise Jahrzehnte euren beruflichen Werdegang in dieser Firma verbracht habt, unter anderem auch in diesem Haus,
liebe Freundinnen und Freunde von WETZLAR ERINNERT e.V. und vom Wetzlarer Geschichtsverein.

Ich darf Sie und euch alle willkommen heißen hier im Stadtverordnetensitzungssaal!

Eine Reihe von Menschen, die unter uns sein wollten, mussten leider wieder absagen, da sie an Corona erkrankt sind. Unter ihnen befindet sich leider auch Bernd Lindenthal, der sehr viel über Ernst Leitz und seine Tochter Elsie Kühn-Leitz veröffentlicht hat. Lassen Sie uns Herrn Lindental von hier aus grüßen und ihm gute Besserung wünschen.

Ich hoffe, sie können vor diesem Hintergrund besser nachvollziehen, warum der Kreis der heutigen Tafelstifter sich dazu entschieden hat, dass wir heute alle Masken tragen.

Dies ist die 11. von rund 25 geplanten Tafeln, die wir zu Ereignissen aus der NS-Zeit in Wetzlar aufstellen wollen. Diese 900 x 700 mm großen Tafeln sind eher im Outfit von Straßenschildern gehalten und sie sollen im Alltag Passanten beim Vorbeigehen mitteilen: Hallo hier war doch mal was?

Ja, in den Gedenkstätten auf den Arealen der ehemaligen KZs hat sich einiges getan, aber das Grauen und die Brutalität der völkisch beseelten Überzeugungstäter fand nicht nur in Maidanek, Auschwitz oder Buchenwald statt. Ihren Anfang nahm sie an jeder Straßenecke, in jedem Betrieb und jeder Schule.

Darauf sollen die diese Tafeln aufmerksam machen und jedem der es will, die Möglichkeit geben, per QR-Code die dazu gehörigen Hintergrundinformationsseiten aufzurufen.

Erinnern, nicht als Selbstzweck, sondern um begreifbar zu machen, wie wichtig und kostbar unsere heutigen Freiheiten und Grundrechte sind; was es heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Ich gehe davon aus, dass Oberbürgermeister Wagner in seinem Statement die Herausforderungen in der aktuellen Politik und für eine wehrhafte Demokratie aufgreifen wird, und enthalte mich deshalb ausnahmsweise zu diesen Fragen

WETZLAR ERINNERT e.V. dankt den heutigen Tafelstiftern für die Unterstützung des Projektes »Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar«.

Wir werden gemeinsam mit den beiden Nachfolgeunternehmen der Ernst Leitz GmbH in den kommenden Monaten noch drei weitere Tafeln aufstellen.

  • Auf der Lahninsel zu den Zwangsarbeiterlagern 1941–1945
  • An der Franziskanerstraße zu den Leitzbaracken, in denen ab 1939 italienische Fremdarbeiter, später Kriegshilfsdientsmaiden untergebracht waren
  • und am Hausertorstollen

Wir sind denen zu großem Dank verpflichtet, die uns gestattet haben, aus ihren Texten und aus ihren Publikationen unser Wissen zusammentragen zu können. Heute vornehmlich um das Wirken von Ernst Leitz als aufrechter und engagierte Demokrat, und natürlich zu der von ihm geleisteten Hilfe für Jüdinnen und Juden. Zu diesen zählen insbesondere Frank Dabba Smith und Bernd Lindenthal. Aber auch der HEEL-Verlag und die Ernst Leitz Stiftung.

Schauen sie mal nachher – wenn Sie Zeit haben – auf die Website, die mit dieser Tafel verbunden ist. Es lohnt sich.

Die ersten Überlegungen für diese Tafel reichen in den Oktober 2021 am Rande der Tafelenthüllung vor dem Aldfeldschen Haus zurück, dass während der Kriegszeit der Gestapo Frankfurt als »Verhörstelle« diente.

  • Dr. Oliver Nass
    kann man als den Initiator für diese Gedenktafel, die wir heute enthüllen, bezeichnen. Und er war derjenige, der uns die Kontakte zu Leica Camera und Leica Mikrosystems aber auch zu Frank Dabba Smith herstellte.
  • Ich danke Sonja Osterloh von der Ernst Leitz Stiftung, die uns die Texte und Bilder digital aufbereitete und zur Verfügung stellte.
  • Ich danke dem Vorbereitungsteam aus dem Kreis der Tafelstifter
    bestehend aus Silke Primke (Leica Microsystems), Tim Pullmann und Silke Nennhaus (Leica Camera), Dr. Oliver Nass (Ernst-Leitz-Stiftungen), Thomas Welling (Wetzlar erinnert) für die inhaltliche Abstimmung der Tafel- und Websiteinhalte.
  • Ich möchte danken Karin Koob (Büro des Oberbürgermeisters) und Holger Hartert (Magistratsbüro) für die vielfältige logistische Unterstützung bei der Errichtung der Tafel und der erforderlichen Abstimmung unter den zuständigen Ämtern sowie der technischen Voraussetzungen für das Gelingen der Tafelenthüllung.
  • Thomas Welling
    für die Übersetzung des Vortrags von Frank Dabba Smith ins Deutsche. Wir haben diese hier ausgelegt.
  • Markus Biniarz
    vom Betriebsamt der Stadt Wetzlar, der im Vorfeld der Tafelerrichtungen die umfangreichen Prüfungen des baulichen Umfeldes für jetzt schon sieben unserer Gedenktafeln vornahm.
  • Die Fa. Stempelspirale (Linden)
    die seit 2018 alle Tafeln hergestellt und installiert hat.
  • Die lokale Partnerschaft für Demokratie Wetzlar | Lahn-Dill-Kreis
    deren Begleitausschuss die Mittelbewilligung aus dem Bundesprogramm »Demokratie Leben!« entschieden hat.

Wir kommen zu den Statements der Tafelstifter […]

(Es gilt das gesprochene Wort)

Anrede
Auch im Namen der heute anwesenden Kolleginnen und Kollegen aus der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat unserer Stadt darf ich Sie auf das Herzlichste zur Enthüllung der Gedenktafel begrüßen, mit der wir an das herausragende Wirken von Ernst Leitz II., einer großartigen und in vielerlei Hinsicht engagierten Unternehmenspersönlichkeit, in den dunkelsten Epochen der Deutschen Geschichte erinnern.

Lassen Sie mich meinen Ausführungen ein Zitat voranstellen:

»Leider ist es eine typisch deutsche Eigenschaft, den Gehorsam schlechthin für eine Tugend zu halten. Wir brauchen die Zivilcourage, ›Nein‹ zu sagen.«
Dieses Wort stammt von Fritz Bauer.

Mit dem Namen des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts (1956 – 1968) verbindet sich die Verbringung Adolf Eichmanns aus Argentinien nach Israel, die positive Neubewertung der Widerstandskämpfer des 20. Juli von 1944 und die Frankfurter Ausschwitz-Prozesse.

Wenn wir heute hier vor dem Rathaus der Stadt Wetzlar, von 1957 an auch der Verwaltungssitz der Firma Ernst Leitz und vis à vis der früheren Leitz-Werke, dem heutigen Sitz von Leica-Microsystems, eine Gedenktafel für Ernst Leitz II. enthüllen, dann würdigen wir das Wirken eines mutigen Mannes.

Eines pragmatisch denkenden Menschen mit Courage, dem christliche Werte wichtig waren.

Eines Mannes, der zutiefst davon überzeugt war, dass es besser sei, Dinge zu tun, als darüber zu sprechen.

Wenn ich diese Charakterisierung verwende, die man dem Interview, das Volker Trunk, Frankfurter Rundschau, mit Dr. Frank Dabba Smith im Oktober 2008 führte und das im Übrigen mit dem Titel »Vater Courage« überschrieben ist, dann mag man sich die Frage stellen, was es in diesem Kontext mit dem geforderten »Nein-Sagen«, und damit dem Wort von Fritz Bauer auf sich hat?

Doch das Wort von Fritz Bauer ist im übertragenen Sinne zu verstehen, denn alleine mit Worten war und ist es nicht getan.

Und so würdigen wir die Lebensleistung eines überzeugten Demokraten, dessen »Nein« gegenüber dem mörderischen NS-Regime ob der erforderlichen Balance, die er sowohl für sein Unternehmen und auch seine Person wahren musste, wohl eher nicht laut hörbar, sondern eher diskret erfolgte, aber gerade dadurch sehr nachhaltig war.

Und auch in der Nachkriegszeit war es ja auch lange nicht sichtbar, wurden doch erst fünf Jahrzehnte nach seinem Ableben (1957)  80 dokumentierte Fälle bekannt, in denen Ernst Leitz jüdischen Angestellten Beschäftigungsmöglichkeiten bei Tochtergesellschaften in New York oder London vermittelte, Schiffspassagen bezahlte, Visa organisierte, Empfehlungsschreiben verfasste, oder nach der damaligen Einordnung »illegale« Geldtransfers abwickelte.

Wir würdigen einen Mann, dessen Mut und Risikobereitschaft nicht nur mit dem vielfach überlieferten Wort »Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert«, bei der Markteinführung der Leica Kleinbildkamera im Jahr 1924 Geschichte geschrieben und den Optikstandort Wetzlar maßgeblich geprägt hat, sondern eines Unternehmers, der mit dieser Entscheidung auch das Motiv verfolgte, seinen Arbeitnehmern in Zeiten der wirtschaftlichen Depression eine Perspektive bieten zu wollen. Und wie wir wissen, ist ihm dies auch gelungen.

Und gestatten Sie mir, am heutigen Nachmittag auch auf ein Interview mit dem Holocaust-Überlebenden Arno Lustiger zu sprechen zu kommen, das in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 12./13. November 2011 erschien.

Arno Lustiger stellt Ernst Leitz in eine Reihe mit Robert Bosch, Berthold Beitz und Eduard Schulte und würdigt diese Unternehmer als Menschen, die alles taten, um jüdische Angestellte und deren Familien zu retten. Arno Lustiger beschrieb sie gleichermaßen als großartige Persönlichkeiten.

Diese Beschreibung von Arno Lustiger, der wesentliche Beiträge zur Erforschung und Aufarbeitung der Geschichte des jüdischen Widerstands gegen die Diktatur des Nationalsozialismus geleistet hat, stellt ebenso eine besondere Würdigung dar, wie die posthume Auszeichnung Ernst Leitz II. mit dem »Courage to care Award« der ihm im Jahr 2007 von der Anti-Defamation League mit Sitz in New York im Jahre verliehen wurde und mit dem das Engagement von Ernst Leitz II. zur Rettung jüdischer Mitbürger eine herausragende Anerkennung erfuhr.

Ernst Leitz II. war eine großartige Wetzlarer Unternehmerpersönlichkeit mit einer sehr klaren Haltung.

Er führte in großer Überzeugung die betriebliche Sozialpolitik im Sinne seines Vaters fort, indem er eine Angestelltenunterstützungs- und Ruhegehaltskasse, sowie eine Betriebskrankenkasse gründete und bereits im Jahre 1906 mit seinem Vater den 8-Stunden-Arbeitstag einführte und damit der gesetzlichen Regelung zwölf Jahre zuvor kam.

Ernst Leitz war Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, einer Organisation, die sich die Verteidigung der Weimarer Republik zum Ziel gesetzt hatte.

Er kandidierte zu verschiedenen Reichstagswahlen für die DDP und war in den Jahren 1916 bis 1933 Stadtverordneter in Wetzlar.

Erst im Jahr 1942 vollzog er im Alter von 71 Jahren den Beitritt zur NSDAP; keineswegs aufgrund ideologischer Gemeinsamkeiten, sondern nicht zuletzt nach eigener Aussage »nur um das schlimmste Szenario, die Übernahme der Werke durch den Staatsapparat abzuwenden.«

Sein Engagement, sein aufrechtes und aufrichtiges Handeln sind auch in der heutigen Zeit, einer Zeit der Veränderungen und der Brüche, in denen einzelne mit Lösungsmustern agieren, die uns schon einmal ins Verderben geführt haben, beispielgebend.

Das zeichnet ihn aus und unterstreicht auch im Nachhinein, wie richtig die Entscheidung der Gremien war, ihm am 01. März 1949 die Ehrenbürgerwürde seiner Stadt Wetzlar zu verleihen.

Ernst Leitz II. muss uns ein Vorbild bleiben, lehrt er uns doch eines ganz besonders:

Wir alle haben die Wahl, selbst in den dunkelsten Zeiten. Und immer sind wir nicht nur für unser Tun verantwortlich, sondern auch für unser Unterlassen.

Manche haben die Wahl, große Entscheidungen zu treffen, manche kleine. Ernst Leitz war ein Mensch, der entschied, anderen zu helfen.

Wenn man den Menschen etwas über den Holocaust vermitteln möchte, dann reicht es in aller Regel nicht, bei den Menschen Schuldgefühle auszulösen.

Das Wichtigste ist, positive Beispiele zu erzählen. So können junge Menschen inspiriert werden, damit sie nicht eines Tages tatenlos dabeistehen, wenn anderen etwas Schreckliches zustößt.

Und mit unserer Gedenktafel für Ernst Leitz II. erzählen wir just auch über diese positive Geschichte eines aufrechten Mannes. Wir stoßen mit den Tafeln im öffentlichen Raum oftmals ganz zufällig auf Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen im Stadtraum aufhalten und konfrontieren sie mit einem Teil der jüngeren Geschichte. Damit verfolgen wir das Ziel, möglichst viele Menschen zu informieren und zu immunisieren.

Dafür gilt mein Dank den Tafelstiftern, ganz besonderes aber auch Wetzlar erinnert e.V. und allen voran, Ernst Richter.

(Es gilt das gesprochene Wort)

Meine Damen und Herrn!

Neben der umfassenden Hilfe für Verfolgte durch Robert Bosch hat sich »nur noch Ernst Leitz in Wetzlar (…) unter den deutschen Industriellen ähnlich verhalten.«

Diese historische Einordnung des Widerstandsforschers Arno Lustiger zeigt die außergewöhnliche Bedeutung des Handelns von Ernst Leitz II zu den Zeiten des Nazi-Regimes. Nur wenige hatten den Mut und die Konsequenz in so vielseitiger und konkreter Weise politisch und rassistisch verfolgten Mitmenschen zu helfen und ihnen in zahlreichen Fällen die Flucht ins Ausland zu ermöglichen.

Die Erinnerung an die Wetzlarer Ehrenbürger Ernst Leitz I, Ernst Leitz II und Elsie Kühn-Leitz ist ein besonderes Anliegen der von meinem Onkel, Knut Kühn-Leitz, und meiner Mutter, Cornelia Kühn-Leitz, gegründeten Ernst Leitz Stiftung, die sich zudem um den Erhalt des denkmalgeschützten Haus Friedwart kümmert und im Geiste der Familientradition Kultur und Völker­verständigung fördern möchte.

Mit der heutigen Enthüllungsveranstaltung der Gedenktafel für meinen Urgroßvater schließt sich ein Kreis für mich: 66 Jahre nach seinem Tod schaffen wir heute einen Ort im öffentlichen Raum, um sich an seinen Rettungswiderstand zu erinnern und uns allen damit zu ermöglichen, uns mit diesem dunklen Kapitel unser Geschichte auseinanderzusetzen und der Frage, welche Möglichkeiten jeder hatte oder nicht hatte, sich dem Nazi-Regime entgegenzustellen. Ich glaube, wir alle stellen uns diese Frage in großer Demut vor der Zivilcourage von Ernst Leitz II, aber auch der engsten Familie und seiner Entourage in den Leitz-Werken. Sie alle standen unter ständiger Beobachtung der Gestapo, die Enteignung der Leitz-Werke stand mehrfach kurz bevor und in Fällen wie etwa von meiner Großmutter, Elsie Kühn-Leitz, oder dem Vertriebschef von Leitz, Alfred Türck kam es zur Inhaftierung durch die Gestapo, denen Ernst Leitz Gott sei Dank unter größtem Aufwand – und noch vor der Deportierung ins Konzentrationslager – ein Ende setzen konnte. Trotz aller Dunkelheit dieser Epoche ist die Geschichte von Ernst Leitz ein Lichtstrahl, der bis in die heutige Zeit, in der an manchen Stellen Versuchungen rechtsradikaler Ideologie wiederauftauchen, ganz stark leuchtet und uns Kraft und Orientierung geben kann.

Warum haben uns erst jetzt zu dieser Gedenktafel entschieden?
Der wichtigste Grund ist, dass diese Rettungsgeschichte überhaupt erst vor weniger als 20 Jahren bekannt wurde. Dies verdanken wir wiederum Rabbi Frank Dabba Smith, der nachher zu uns sprechen wird. 1999 sprach er meinen Onkel auf Fälle amerikanischer Juden, die dank Ernst Leitz II vor den Nazis flüchten konnten, an und was die Familie hierzu wüsste. Unserer Familie war zwar die Gesinnung meines Urgroßvaters bekannt, auch einzelne Geschichten, wie die des von meiner Großmutter mit organisiertem, gescheitertem Fluchtversuchs von Hedwig Palm, nicht aber die Dimension seines von ihm immer verschwiegenen Handelns zur Rettung so vieler Verfolgter. Und so haben mein Onkel und Frank Dabba Smith – mit unterstützt auch vom Wetzlarer Geschichtsverein mithilfe von Bernd Lindenthal – in jahrelanger minutiöser Arbeit 87 Fälle aufdecken können. Da die Rettung möglichst unbemerkt zu erfolgen hatten, wurde alles so wenig wie möglich dokumentiert. Gut möglich also, dass es mehr Fälle waren …

Diese gemeinsame Arbeit schlug sich dann in mehreren Veröffentlichungen nieder, darunter das umfassende Buch zu Ernst Leitz II mit dem Titel »Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert«, das die Ernst Leitz Stiftung dieses Jahr in der bereits 3. Auflage herausbringen konnte. Viele von Ihnen kennen dieses Zitat, das auch im Ernst Leitz Park zu sehen ist und an seine historische Entscheidung zur Lancierung der Leica erinnert. In den Kontext unserer heutigen Veranstaltung gestellt, bekommt es auf einmal eine noch größere Dimension, die hoffentlich viele Menschen dank dieser Gedenktafel entdecken werden.

Ja, es schließt sich ein Kreis für mich, 66 Jahre nach dem Tod meines Urgroßvaters, 23 Jahre nach der ersten Begegnung zwischen Rabbi Smith und meinem Onkel, der vorletztes Jahr von uns gegangen ist, eröffnen wir dank der Initiative von Wetzlar Erinnert, vertreten durch seinen unermüdlichen Herrn Richter, und in Anwesenheit von Ihnen, verehrter Herr Oberbürgermeister, Ihnen, Frau Dr. Rinck und Herr Daniel, als Vertreter der Leitz-Nachfolge-Unternehmen sowie demjenigen, der den Stein der Recherchen ins Rollen gebracht hat, Frank Dabba Smith, sowie allen hier Anwesenden, die auf unterschiedliche Weise der Stadt, dem Unternehmen oder der Familie verbunden sind – diesen Ort des Erinnerns an Ernst Leitz II und seine außergewöhnlichen Verdienste.

Zu seinem 80. Geburtstag schloss nach den Glückwünschen – u.a. von Bundespräsident Heuss – mein Urgroßvater seine Dankesworte mit einem Zitat von Schiller, das auf wunderbare Weise sein Vermächtnis und die Botschaft dieser Gedenktafel zum Ausdruck bringt:

„Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben.
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch!
Mit Euch wird sie sich heben!“

(Es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrter Herr Richter,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Wagner,
sehr geehrter Herr Dr. Nass,
sehr geehrter Herr Daniel,
sehr geehrter Rabbi Dabba Smith,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

in Sichtweite des Standorts der Gedenktafel, die wir heute enthüllen werden, befindet sich mein Büro von Leica Microsystems. Von dort aus kann ich Richtung Stadion Lahnwiese am Rand der Wetzlarer Altstadt blicken, wo zum Beispiel Bundesjugendspiele stattfinden und Läufer allabendlich ihre Runden drehen.

1940 wäre von gleicher Stelle mein Blick auf die Baracken der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gefallen. Wo heute der Sport im Mittelpunkt steht, wurden Menschen in unmenschlicher Weise zusammengepfercht.

1940 – in diesem Jahr war es in Deutschland rechtens, Menschen aus anderen Ländern zu verschleppen und auszubeuten. Sie waren zur Zwangsarbeit verpflichtet, unter anderem auch hier in Wetzlar bei der Ernst Leitz GmbH, deren Nachfolger heute Leica Microsystems ist. Alle konnten es sehen. Unser Werkschutz hat sie bewacht.

Es ist uns heute Trost und Vorbild, dass es auch damals Menschen gab, die nicht einfach das, was zu jener Zeit auch in Wetzlar Rechtens war, hingenommen haben. Die sich im menschlichen Sinn einsetzten, Werte gelebt und dabei ihr Leben riskiert haben. Zu erwähnen ist Elsie Kühn-Leitz, die verhaftet wurde, unter anderem, weil sie »übertriebene Humanität« zeigte. Welch ein Vorwurf.

Den Blick wollen wir heute richten auf Elsies Vater Ernst Leitz II. In der Firmengeschichte von Leica Microsystems ist er fraglos eine herausragende Figur und unternehmerisch verantwortlich für viele weltweit erfolgreiche Produkte aus Wetzlar. Er war es, der 1924 die Markteinführung der Leica-Kleinbildkamera, wie bereits erwähnt, mit den Worten »Ich entscheide hiermit, es wird riskiert« ermöglicht hat. In der Zeit des Nationalsozialismus war er Alleininhaber des damals zweitgrößten optischen Werkes im Deutschen Reich.

Kriegswichtige Produkte lösten in der Produktion die wissenschaftlichen Mikroskope und Fotoapparate aus Wetzlar ab. Ernst Leitz II. nutze seine Spielräume als Unternehmer, um Menschen zu helfen. Er stellte nach der Machtergreifung bewusst gefährdete Mitarbeiter jüdischer Abstammung ein und half rassistisch Verfolgten bei der Flucht. Häufig, indem er sie schlicht in die New Yorker Niederlassung entsandte.

Über 80 Personen leistete er so wertvolle Hilfe und rettete dabei zahlreiche Leben. Die Geretteten prägten dafür den Namen »The Leica Freedom Train«. Ernst Leitz II. selbst hat nicht einmal seinem engsten Umfeld über seinen Einsatz für Verfolgte erzählt, auch nicht nach dem Ende der Naziherrschaft. Erst die Erinnerung und das Gedenken der Geretteten, aufgedeckt und initiiert durch Rabbi Dabba Smith, ermöglichen uns heute den dankbaren Blick auf seine besonderen Leistungen und besonderen Verdienste für seine Mitarbeiter und Mitmenschen.

Es ist wichtig, sich zu erinnern, aus der Erinnerung zu lernen und das Gedenken lebendig zu halten.
Eine der Definitionen des Dudens für das Wort »Gedenken« ist »erinnern und dies äußern«. Wie treffend für die Initiative des Vereins »Wetzlar Erinnert«, für dessen Engagement ich mich hier sehr herzlich bedanken möchte und dessen Gedenktafel-Projekt wir seitens Leica Microsystems gerne unterstützen.

Ich freue mich zusammen mit Ihnen auf die Enthüllung der Gedenktafel, die am Ort seines Wirkens daran erinnert, wie Ernst Leitz II. Menschen half, zu überleben.

Wir denken an ihn als Vorbild und Mensch in Dankbarkeit für seine – stillen – Verdienste.

Vielen Dank.

(Es gilt das gesprochene Wort)

Sehr geehrter Herr Richter,
sehr geehrter Herr Wagner,
sehr geehrter Herr Dr. Nass,
sehr geehrte Frau Dr. Rinck,
Dear Frank,
meine Damen und Herren:
Herzlichen Dank für die Einladung, an diesem besonderen und wichtigen Moment teilzuhaben. Mein Name ist Stefan Daniel und ich spreche heute im Namen von – und für alle Menschen der Leica Camera AG.

Warum unterstützen wir die Gedenktafel zu den Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar?

Das Projekt »Wetzlar erinnert« und insbesondere die Gedenktafel zu Ehren von Ernst Leitz II ist für die Leica Camera AG ein besonderes Anliegen. Wir sehen darin eine Verbeugung vor dem couragierten und vorbildhaften Handeln von Ernst Leitz II, seinem selbstlosen Einsatz für Verfolgte des Nazi-Regimes.

Er ist für uns ein leuchtendes Vorbild, er hat unsere Unternehmensgeschichte und -kultur bis heute geprägt. Mehr noch: seine Haltung, einfach für Menschen da zu sein ist tatsächlich jeden Tag in unserem betrieblichen Alltag spürbar. Mit der mutigen Entscheidung von Ernst Leitz II im Jahr 1924, die Produktion der weltweit ersten Kleinbildkamera, der Leica zu beginnen, revolutionierte er die Welt der Fotografie und ermöglichte dadurch, die letzten 100 Jahre der Menschheitsgeschichte festzuhalten.

Es ist ihm zu verdanken, dass Augenzeugen das Werkzeug bekommen um Zeitgeschehen unauslöschlich festzuhalten und Momente zu rahmen. Was ist ein Augenzeuge? Ein Augenzeuge ist jemand, der etwas beobachtet, während andere nur zuschauen. Geschichte schreiben und Geschichten erzählen liegt manchmal ganz nah beieinander:

  • Geschichten, die jeder von uns mitgestaltet und die es zu erhalten gilt. Sich derer zu erinnern und um von den Ereignissen zu lernen.
  • Geschichten, von denen wir ein Teil sind, die wir teilen – seit Generationen. Denn Bilder halten die Ereignisse lebendig.

In der damaligen, dunklen Zeit hat Ernst Leitz II die Geschichte verfolgter, insbesondere jüdischer Mitbürger und Mitbürgerinnen unter eigenem hohem Risiko positiv beeinflusst. So hat er unter anderem die erwähnte Kleinbildkamera genutzt, um sie ihnen als Startkapital für ein neues Leben mit auf den Weg zu geben. Durfte ich selbst doch in manchen Fällen Dr. Frank Dabba Smith bei seiner Recherche unterstützen, die ursprünglichen Eigentümer der Kameras zu ermitteln, die ihnen half, ihre eigene Geschichte zu ergründen.

Geschichten, die nicht vergessen werden – dürfen –, gleichermaßen wie deren mutige und selbstlose Akteure, wie Ernst Leitz II.

Und so möchte ich mit einem herzlichen Dankeschön dem Verein Wetzlar erinnert für ihr großes und wichtiges Engagement danken, meine kurze Rede schließen und das Wort wieder an Herrn Richter übergeben.

Vielen Dank!