»Die Nummer ist ein Teil von mir geworden«
Auschwitz-Überlebende zu Gast in Wetzlar

Knapp 100 Besucher*innen waren am 11. November der Einladung von WETZLAR ERINNERT e.V. in die Stadtbibliothek gefolgt, um zu hören, was Dr. Eva Umlauf ihnen zu sagen hatte. Man sieht ihr nicht an, dass sie eine Holocaustüberlebende ist, so jugendlich wirkt sie.

In dem nachfolgenden Aufklappmenü finden Sie einen Veranstaltungsbericht und Bilder von der Begegnung mit Dr. Umlauf in der Stadtbibliothek.

Bilder © Heinrich Jung und Arne Beppler

Sie war gerade mal zwei Jahre alt, als am 27. Januar 1945 die Rote Armee die letzten 7.600 Häftlinge befreite. Erfrischend und mit fester Stimme erzählt sie aus ihrem Leben. 1942 wurde sie im slowakischen KZ Nováky geboren. Die Slowakei, damals ein Vasallenstaat von Hitlers Gnaden, lieferte schon 1942 fast alle Juden des Landes an die Deutschen aus. So kam Eva mit ihren Eltern nach drei Tagen Fahrt am 3. November 1944 in Auschwitz an. Ihr Vater wurde auf einen der zahlreichen »Todesmärsche« geschickt, auf denen die KZ-Häftlinge westwärts getrieben wurden. Er starb in Melk – einem Außenlager des KZ-Mauthausen in Österreich – an einer Sepsis.

Ihre im vierten Monat unerkannt schwangere Mutter und sie selbst haben das Glück, dass die SS zwei Tage vor ihrer Ankunft im KZ Auschwitz-Birkenau alle Krematorien gesprengt hatte. Und so wurden die Deportierten des aus der Slowakei eintreffenden Sonderzuges im November 1944 nicht mehr – wie von der SS geplant – in den Gaskammern ermordet.

Ihre Mutter erzählte ihr, dass sie beim Einstich der Tätowierungsnadel fürchterlich geschrien habe und in Ohnmacht fiel. Ihre Häftlingsnummer im Unterarm lautet A 26959, ihre Mutter erhielt die A 26958. »Vergessen Sie das Kind, es wird nicht leben.« Mit diesen Worten wird Evas Mutter nach der Befreiung des Konzentrationslagers im Januar 1945 konfrontiert, denn ihre Tochter ist abgemagert und todkrank. An die traumatischen Erlebnisse ihrer frühen Kindheit hat die in München lebende Kinderärztin und Psychoanalytikerin keine eigenen Erinnerungen. Doch in ihrem Unterbewusstsein sind sie gespeichert und prägen ihr Leben: unauslöschliche Gefühlserbschaften, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden.

Nach der Befreiung spricht die Familie kaum über das, was geschehen war. Man will nach vorne blicken. Die Schmerzen hinter sich lassen. Es sind Familiengeheimnisse, die jeder wahrt. Erst als Eva Umlauf 2014 einen Herzinfarkt erleidet, beginnt sie, ihre Geschichte im Detail zu recherchieren. Sie forscht in Archiven, trifft sich mit Historikern, recherchiert bis ins Kleinste. Besonders schmerzhaft wird es, als sie herausfindet, dass sie als Zweijährige im Vernichtungslager Auschwitz im Winter 1944 wochenlang von ihrer Mutter getrennt im »Krankenlager« des berüchtigten Arztes Dr. Josef Mengele lag. 2016 erscheint ihr Buch bei Hoffmann und Campe: »Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen«.

Nach ihrem Vortrag können die Wetzlarer*innen im Tiefgeschoss der Stadtbibliothek Fragen stellen. Das Gespräch zwischen Dr. Umlauf und den Gästen moderierte Andrea    Neischwander. »Warum haben Sie sich diese Nummer nicht nach dem Krieg wegmachen lassen?«, ist eine der vielen Fragen, die gestellt wurden. »Ich habe Verständnis für die vielen, die sich nach dem Krieg die Nummer wieder entfernen ließen. Aber glauben Sie mir: Ich weiß als Ärztin und Psychotherapeutin nur allzu gut, so eine Nummer bekommt man nie wirklich weg!« antwortet die fast 79-jährige Shoa-Überlebende und fügt nach einer Weile hinzu: »Diese Nummer war für mich ein Teil meines Körpers wie eine Hautfalte oder Narbe.« Zahlreiche Teilnehmer*innen ergriffen die Gelegenheit, am Ende der Veranstaltung sich ihr neu erworbenes Buch signieren zu lassen.

Andrea Theiß dankte im Namen von Wetzlar erinnert e.V.  Eva Umlauf für Ihren Besuch und überreichte ihr mit einer roten Rose den Begleitband zum Weg der Erinnerung – der antifaschistischen Zeitreise durch Wetzlar. Theiß dankte auch dem Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V. für die Organisation der Tournee mit Eva Umlauf durch Mittelhessen, wie auch dem Team der Stadtbibliothek, das die Herrichtung des Saals im Tiefgeschoss und die Corona-gerechte Einlasskontrolle übernommen hatten.