Wetzlar erinnert unterstützt die Initiative von Weilburg erinnert
Am 12. Mai hat das Stadtparlament in Weilburg entscheiden, wie die barocke Residenzstadt an der Lahn mit dem Gedenken an die vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürger*innen umgehen soll. Demnach soll auf die Verlegung von Stolpersteinen verzichtet werden.
Wetzlar, den 13.05.2022
Die Initiative für die Verlegung von Stolpersteinen ist auf Weilburg erinnert e.V. zurückzuführen, als der Verein vor zwei Jahren mehrere zweckgebundene Spenden in Höhe von rund 6.400 Euro erhalten hatte. Es liegen auch mehrere Anfragen von Nachfahren jüdischer Opfer und Weilburger Bürger*innen vor, die sich eine Verlegung in der Residenzstadt wünschen.
Nachdem die Stadt Weilburg zwei Jahre lang mit Funkstille reagierte, hatte die Fraktion von B 90 – Die Grünen die Initiative ergriffen und einen entsprechenden Antrag in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Jetzt wurden plötzlich auch die Fraktionen von CDU und SPD aktive und brachten gemeinsam einen Antrag mit der Bezeichnung »Erinnerungskultur Jüdisches Leben in Weilburg« in die Stadtverordnetensitzung ein. Der Stadtverordnetenvorsteher (CDU) hat den gemeinsamen Antrag von CDU und SPD als den »weiterführenden« gewertet, damit über ihn zuerst abgestimmt werden konnte (und im Falle einer Mehrheit der Antrag der Grünen erst gar nicht zur Beratung aufgerufen wird).
Überraschenderweise gab es aber kurz vor Abstimmung einen Änderungsantrag einer jüngeren CDU-Parlamentarierin, der einen Kompromiss zwischen den beiden Anträgen von CDU/SPD und B 90 Grüne vorsah. Die Abstimmung hierüber ergab mit 14 Ja- und 17 Nein-Stimmen, bei 2 Enthaltungen, dass dieser Versuch einer gütlichen Einigung abgelehnt worden ist. Danach wurde der gemeinsame Antrag der CDU- und SPD-Fraktion mit 20 Ja, 10 Nein-Stimmen bei 3 Enthaltungen angenommen. Nach der Sitzung haben der Bürgermeister, die SPD-Fraktion und große Teile der CDU-Fraktion ihren Pyrrhussieg mit einem Kasten Bier auf dem Parkplatz vor dem Bürgerhaus Waldhausen »öffentlichkeitswirksam« gefeiert.
Nach Auffassung von WETZLAR ERINNERT e.V. haben sich damit die beiden Weilburger Fraktionen von CDU und SPD »bis auf die Knochen blamiert«, erklärt der Vorsitzende von WETZLAR ERINNERT, Ernst Richter. »In diesem Antrag wurden viele Allgemeinplätze beschlossen, die von der ›Bewahrung der Erinnerung an unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger‹ sprechen, aber nichts konkretes beinhaltet mit einer Ausnahme: ›Auf das Verlegen von Stolpersteinen werden wir in Weilburg verzichten‹. FAZIT: Es ging nur um die Verhinderung von Stolpersteinen, sonst um nichts!«. Begründet wurde die Ablehnung von Stolpersteinen im Antragstext damit, dass man ein Gedenken und Erinnerungsmöglichkeiten »auf Augenhöhe« schaffen will. Richter merkt hierzu an: »Von ›Augenhöhe‹ spricht man nach unserer Kenntnis sinngemäß dann, wenn es um faire Bedingungen oder um den Anspruch von Gleichberechtigung gehen soll. Doch mit wem soll denn die ›Augenhöhe‹ erreicht werden? Vielleicht mit den Opfern der Shoa?« Schwanger gehe mit dieser Wortwahl einher, dass das Verlegen von Stolpersteinen eine Verhöhnung der Opfer des NS darstelle, eine unwürdige Form des Gedenkens sei.
Sicherlich kann man sich darüber streiten, ob es bessere Formen des Gedenkens gibt als die Stolpersteine. Da kommen schnell Argumente auf wie: »die Hunde pinkeln drauf …«, oder: »die Menschen werden noch einmal mit Füßen getreten«. Der Künstler Gunter Demnig – der diese Steine verlegt – sagt: »Wer lesen möchte, was auf dem Stolperstein geschrieben steht, der muss sich herabbeugen. Und somit verbeugen.«
»Sicherlich: Der respektvolle Umgang einer bzw. eines Jeden mit den Stolpersteinen ist selbstverständlich nicht garantiert. Gerade in unseren heutigen Zeiten nicht. Das gilt aber auch für Gedenktafeln, Grabsteine udn ganze Gedenkstätten. Wir kennen doch alle die Schlagzeilen von den Schändungen auf jüdischen Friedhöfen. Für diejenigen Jüdinnen und Juden, für die Stolpersteine verlegt worden sind, gilt aber meistens: sie haben noch nicht einmal ein Grab! Die Möglichkeit der Begegnung auf ›Augenhöhe‹ mit den ehemaligen jüdischen Mitmenschen haben uns die Nazis genommen! Dieser Tatsache und der daraus resultierenden Verantwortung für uns Deutsche muss man sich stellen«, meint der Vorstand von Wetzlar erinnert e.V.
Uns in Wetzlar erinnert dieser hilflose Versuch, mit dem Begriff »Augenhöhe« die Verlegung von Stolpersteinen verhindern zu wollen, an das Jahr 2009: In Wetzlar beriet die Stadtverordnetenversammlung in langen und zähen Beratungen zur Verlegung von Stolpersteinen. Die CDU war zunächst strikt gegen die Verlegung, bis man den Kompromiss fand: Stolpersteine dürfen nur dann verlegt werden, wenn die Nachfahren dem zustimmen. Man war stolz auf diese vermeintlich salomonische Entscheidung und vergaß dabei das wichtigste: Bei den meisten der Betroffenen Jüdinnen und Juden gab es KEINE Nachfahren mehr! Dafür waren die Nazis zu gründlich gewesen. Wer sollte denn da noch etwas sagen? Und so ist es auch mit der »Augenhöhe«. Diesen Anspruch haben die Nazis in diesem Kontext gründlich vergeigt!
Bilder oben: Verlegung von Stolpersteinen 2015 in Wetzlar