Die Geschichte des Neuen Jüdischen Friedhofs
Ab 1881 in Benutzung

Seit dem 12. Jahrhundert lebten und leben wieder Juden in Wetzlar, mitten unter Wetzlarer Bürgern, nie in Gettos. Lediglich ihre Toten begruben sie nach eigenen Riten und auf ihrem eigenen Friedhof.

Der »alte« Friedhof befand sich seit dem 17. Jahrhundert im Zwinger, außerhalb der Stadtmauer (nähe Silhöfer Tor). Als er voll belegt war, erwarb die jüdische Gemeinde die Grundstücke für den neuen Friedhof »Am Wuhlgraben«. Er erhielt ein Waschhaus und wurde am 2. November 1881 eröffnet.

Die erste Beerdigung – wahrscheinlich Heyum Hoechster – fand am 2. November 1881 statt, am 4. Dezember 1882 wurde Hannchen Boppard beigesetzt. Beide Grabstätten sind heute nicht mehr vorhanden, da sie vermutlich zum Auffüllen eines Bombentrichters in der Bergstraße verwendet wurden. Auch weitere Gräber wurden geschändet, ohne hierüber nähere Angaben machen zu können.

Die älteste erhaltene Grabstätte ist vom 16. März 1883; die letzte Grabstätte eines Wetzlarer jüdischen Mitbürgers ist vom 24. Februar 1940 – Gerson Thalberg (Ehrenvorsitzender der Synagogengemeinde). Außerdem wurden auf dem Friedhof drei jüdische Kriegsgefangene des Ersten Weltkriegs aus Osteuropa beigesetzt (Ensemble 107). 1969 wurden 6 jüdische Gräber aus Atzbach nach Wetzlar verlegt.

Die letzten Gräber von Wetzlarer Jüdinnen und Juden sind errichtet worden, als 1939 ihre Vertreibung und Vernichtung durch den NS-Staat schon begonnen hatte. 1943 wurden die letzten jüdischen Menschen aus Wetzlar in die Vernichtungslager im Osten verbracht. Die Shoah überlebten nur zwei Frauen:

  • Emilie Stern
    Geboren am 10.08.1868, war die erste Ehefrau von Gerson Thalberg, wurde am 10. Mai 1942 verhaftet und in das KZ-Theresienstadt deportiert. Sie wurde dort am 10. Mai 1945 durch die Rote Armee befreit. Nach dem Krieg lebte sie in Frankfurt in einem jüdischen Altersheim, wo sie 1959 verstarb.
  • Flora Bonus
    Ist eine Wetzlarer Jüdin aus einer »privilegierten Mischehe« (wie die NAZIS die Vermählung von Jüdinnen und Juden mit Christen vor der Einführung der NS-Rassengesetze 1935 bezeichneten). Sie wurde am 9. Dezember 1944 in das Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt, von dort aus in das KZ-Außenlager Gunskirchen (bei Landau in Österreich) verlegt. Nach ihrer Befreiung kehrte sie nach Wetzlar zurück, wo sie am 10. Januar 1983 verstarb. Ihre Geschwister wurden in Auschwitz ermordet.

Zwischen 1945 und 1949 wurde der Friedhof wieder benutzt, und zwar von in Wetzlar lebenden Displaced Persons (4.500 Menschen, die hauptsächlich in den beiden Kasernen untergebracht worden waren), die hauptsächlich aus ehemaligen NS-Zwangsarbeiter/-innen und aus Shoah-überlebenden Jüdinnen und Juden bestanden. Unter den Beigesetzten dieser Zeit befinden sich auch einige Kinder. Diese Gräber sind auf unserem Grundriss-Plan blau eingefärbt worden.

Außerdem erfolgten 1969 nach der Geländeumwidmung des jüdischen Friedhofes in Atzbach die Umbettungen dortiger Grabstätten auf den Neuen Jüdischen Friedhof in Wetzlar. Diese Umbettung ist mit den jüdischen Glaubensgrundsätzen unvereinbar. Es sind die Gräber Nr. 31–36 (auf unserem Grundriss-Plan rot eingefärbt).

Weitere Einzelheiten:

(Gewünschtes zum Öffnen anklicken)

NJF-WZ-1-31 Hinweisplatte Verlegung der Gebeine von Pelz Süsskind

Diese erläuternde Grabplatte wurde von Doris und Walter Ebertz zu den umgebetteten Gräbern hinzugefügt.

Der hier stehende Grabstein wurde von Atzbach am 30. Oktober 1969 auf den alten jüdischen Friedhof in Wetzlar überführt. 1969 wurde die Fläche des jüdischen Friedhofs in Atzbach einer anderen Verwendung zugeführt. Das ehemalige Friedhofsgrundstück in Lahnau-Atzbach befindet sich innerhalb der Ortslage an der Straße Klingelgärten, unmittelbar hinter dem Haus Nr. 10. Das Grundstück ist Privateigentum und nicht zugänglich.

NJF-WZ-2-31-36 Feld mit Gräbern, die 1969 umgebettet wurden von Atzbach nacn Wetzlar

Gräberfeld der umgebetteten Gräber, welche 1969 vom ehemaligen jüdischen Friedhof in Atzbach (a.d. Lahn) nach Wetzlar überführt wurden. Bild © Alemania Judeica

  1. Nissan (oder Abib) 
  2. Ijjar (oder Siw) 
  3. Siwan 
  4. Tammus 
  5. Aw 
  6. Elul
  7. Tischri (oder Eitanim) 
  8. Cheschwan (oder Bul) 
  9. Kislew
  10. Tewet 
  11. Schwat 
  12. Adar (I und II)

Die jüdische Zeitrechnung beginnt im Jahr 3761 vor christlicher Zeitrechnung.

Displaced Person

Wetzlar Im Stollen unter dem Hauserberg wird die Stadt Wetzlar am 29. März 1945 an die Amerikaner übergeben. Eine der Konsequenzen: Mit einem Mal sind tausende Zwangsarbeiter plötzlich frei. Deutschlandweit werden kurz nach dem Krieg Camps für die sogenannten »Displaced Persons« eingerichtet – zwei davon in Wetzlar.

Der Begriff Displaced Person (DP) ist englisch für eine »Person, die nicht an diesem Ort beheimatet ist« (auch Displaced People) und wurde im Zweiten Weltkrieg vom Hauptquartier der alliierten Streitkräfte (SHAEF) geprägt.

Inhaltsverzeichnis

  • 1 Displaced Persons im Zweiten Weltkrieg
  • 2 Displaced Persons nach dem Zweiten Weltkrieg
    • 2.1 Unterscheidung der DPs
    • 2.2 Repatriierung
    • 2.3 Zwangsrepatriierung
    • 2.4 Neuansiedlung

Displaced Persons im Zweiten Weltkrieg

Als „DP“ wurde in dieser Zeit eine Zivilperson bezeichnet, die sich kriegsbedingt außerhalb ihres Heimatstaates aufhielt und ohne Hilfe nicht zurückkehren oder sich in einem anderen Land neu ansiedeln konnte. In einem Memorandum, das erstmals im Sommer 1944 formuliert wurde, legten die Alliierten Regelungen, Aufgaben und Zuständigkeiten für ihre Truppen fest, wie DPs unterzubringen, zu versorgen und zu verwalten waren. DPs waren vor allem Zwangsarbeiter aus ganz Europa, die sich bei Kriegsende in Deutschland aufhielten. Die alliierten Armeen rechneten 1944 mit 11,3 Millionen DPs.

Die Bezeichnung wurde bereits 1943 durch den Migrationsforscher Eugene M. Kulischer in anderem Sinn verwendet, nämlich »für solche Personen, die durch die Achsenmächte oder durch eine mit ihnen verbündete Macht während des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat deportiert oder durch einen Arbeitsvertrag zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen waren«.[1]

Displaced Persons nach dem Zweiten Weltkrieg

Jochen Kusber: Displaced persons (2010)

Unterscheidung der DPs

Zu den „DPs“ gehörten Zwangsarbeiter, die während des Krieges zur Arbeit in deutschen Betrieben verpflichtet worden waren, ferner Kriegsgefangene, ehemalige Konzentrationslagerhäftlinge und Osteuropäer, die nach Kriegsbeginn entweder freiwillig in Deutschland eine Arbeit aufgenommen hatten oder 1944 vor der sowjetischen Armee geflüchtet waren.[2]

Das SHAEF verstand unter DPs „alle Zivilisten außerhalb der Grenzen ihrer Heimatstaaten“,[3] die zu ihrem Aufenthalt in der Fremde durch Kriegseinwirkung im weitesten Sinn gekommen waren und die alliierte Hilfe brauchten, um heimzukehren oder sich in einem anderen Land ansässig zu machen. Grob unterteilt wurden sie in

  • Angehörige der in den am 26. Juni 1945 gegründeten UN zusammengeschlossenen Staaten (UNDPs)
  • Angehörige ehemaliger Feindstaaten (ex-enemy DPs), aus Italien, Finnland, Rumänien, Bulgarien und Ungarn
  • Angehörige von Feindstaaten (enemy DPs), aus Deutschland, Österreich, Japan
  • Staatenlose bzw. Personen, die ihre behauptete Nationalität nicht nachweisen konnten

Spezielle Kategorien waren:

  • sowjetische DPs wegen der vertraglichen Vereinbarungen über ihre Repatriierung auf der Konferenz von Jalta
  • UNDPs, die sich schon vor Kriegsbeginn im Ausland aufhielten
  • Personen, die Anspruch auf Kriegsgefangenenstatus als Angehörige von UN-Staaten erhoben
  • nicht-internierte britische und amerikanische Staatsbürger
  • Personen mit zweifelhafter Staatsbürgerschaft, die UNDP-Status beanspruchten
  • Personen, deren Nationalität durch Territorialveränderungen berührt war
  • rassisch, religiös oder politisch Verfolgte
  • Angehörige neutraler Staaten (Schweizer, Schweden)
  • nichtdeutsche Kollaborateure

Als „DPs“ anerkannt wurden daher auch ca. 300.000 jüdische Flüchtlinge, die 1946/47 nach antisemitischen Exzessen in Polen und Osteuropa (siehe Pogrom von Kielce) in die westlichen Besatzungszonen Deutschlands flohen. In den späteren westlichen Besatzungszonen befanden sich zum Ende des Zweiten Weltkriegs etwa 6,5 Millionen DPs, für die in der amerikanischen Besatzungszone 1946 etwa 450 Lager eingerichtet worden waren.

Repatriierung nannte man in der Nachkriegszeit die organisierte Rückführung entwurzelter und versprengter Menschen in den Staat, dessen Bürger sie waren. Die Streitkräfte der Alliierten begannen mit der Rückführung auf der Grundlage der in Jalta getroffenen Vereinbarungen. Weil die Menschen auf eigene Faust in Trecks durchs Land zogen, wurden sie zunächst in Lager gebracht und dort versorgt. Die Arbeit wurde von einer internationalen Hilfsorganisation übernommen, der 1943 gegründeten UNRRA, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, unter der Leitung der Militärverwaltungen der westlichen Besatzungszonen.

Angesichts der Kriegswirren ist die genaue Zahl ungeklärt; sie wird mittlerweile zwischen 6,5 und 12 Millionen beziffert, wobei sich die letztere Zahl auf alle von den Alliierten befreiten DPs bezieht, also auch auf jene, die sich in den zuvor von Deutschland besetzten Gebieten befanden. Ein großer Teil dieser Menschen konnte relativ schnell von den Alliierten in ihre Ursprungsländer zurückgeführt (repatriiert) werden. In den Fällen von Staatsangehörigen der westlichen Alliierten stellte die Repatriierung ein geringes Problem dar. Auch die Rückkehr von Zwangsarbeitern aus Nord-, West- und Südeuropa verlief den Umständen entsprechend zügig. Bis September 1945 konnten alle bis auf ungefähr 1,2 Millionen DPs repatriiert werden.

Nur die Heimführung von Fremdarbeitern aus Osteuropa, insbesondere der Ukraine, und dem Baltikum dauerte unverhältnismäßig lange. Dies hatte vor allem zwei Gründe; so konnten beispielsweise die ehemaligen Zwangsarbeiter aus Polen erst Ende 1945 aus Ludwigshafen heimkehren, da die Sowjetunion erst auf die Rückführung aller sowjetischen Bürger bestanden hatte, bevor sie den Weg durch ihre Besatzungszone auch anderen DPs erlaubte.

Auch kam es vor, dass sich ehemalige polnische Zwangsarbeiter der Rückführung widersetzten, da sie nicht in ihre kommunistisch regierte Heimat zurückkehren wollten. In dieser Haltung wurden sie auch durch Funktionäre der polnischen Exilregierung bestärkt. Dazu kam die Tatsache, dass der Ostteil Polens von der Sowjetunion annektiert worden war. Unter den sowjetischen Zwangsarbeitern herrschte oft die Furcht, in der Sowjetunion nach ihrer Heimkehr für ihre Zwangsarbeit beim deutschen Gegner bestraft zu werden. Diese Sorge war begründet, da es umfangreiche Repressalien gab und von den repatriierten Sowjetsoldaten 157.000 wegen des Verdachts der Kollaboration hingerichtet wurden.[6]

Im Winter 1945/1946 kam die Repatriierung der DPs fast vollständig zum Erliegen. Die verbliebenen DPs wurden großteils als nicht repatriierbar bezeichnet.

Zwangsrepatriierung

Gemäß den Vereinbarungen auf der Konferenz von Jalta unterzeichneten die westlichen Regierungen am 11. Februar 1945 ein Abkommen mit der Sowjetunion, in dem festgelegt wurde, welcher Personenkreis zwangsweise zu repatriieren war. Ein Kriterium von fünf möglichen musste erfüllt sein:

  1. Wohnsitz auf sowjetischem Territorium am 1. September 1939
  2. nach der Konferenz von Jalta in westalliierte Hand geraten
  3. am 22. Juni 1941 oder später dienstpflichtig in der Roten Armee
  4. Gefangennahme in einer deutschen Uniform
  5. Nachweis für Kollaboration

Die Punkte 1 und 2 sollten verhindern, dass die Vertragsumsiedler, die eigentlich nie etwas mit der Sowjetunion zu tun gehabt hatten, von einer Zwangsrepatriierung in die Sowjetunion bedroht waren. Auch polnische Ukrainer und Esten, Letten und Litauer, die aus Gebieten stammten, die erst nach dem 1. September 1939, also erst im Verlauf des Zweiten Weltkriegs sowjetisch geworden waren, fielen nicht unter den zu repatriierenden Personenkreis.
Mit Vertragsumsiedler wurden die Volksdeutschen bezeichnet, die zwischen 1939 und 1941 aufgrund zwischenstaatlicher Verträge überwiegend in den Warthegau umgesiedelt wurden. Dazu gehörten die rund 54.000 Galizien-, 74.000 Wolhynien (aus dem polnischen Teil), 89.000 Bukowina- und 93.000 Bessarabiendeutsche.

Die meisten Staatsbürger der Sowjetunion wurden bereits bis Ende September 1945 in die UdSSR zurückgebracht, teilweise unter Zwang. Viele Sowjetbürger wollten auf keinen Fall wieder zurück. Infolgedessen kam es des Öfteren zu Massenselbstmorden in den Lagern wie bei der Lienzer Kosakentragödie. Menschen, die zuvor von Nationalsozialisten deportiert worden waren, wurden in der UdSSR wegen Kollaborationsverdachts bestraft. Rotarmisten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren und sie überlebt hatten, galten als Verräter. Noch während des Krieges waren über 150.000 von ihnen durch Schnellgerichte zum Tode verurteilt worden. Ein großer Teil der nun Heimkehrenden wurde in eigens errichtete Lager und in Arbeitsbataillone verbracht.

Neuansiedlung

Ab Anfang 1947 wurde versucht, die bisher nicht repatriierten DPs in anderen Ländern anzusiedeln. Zu den Aufnahmeländern gehörten unter anderem Großbritannien, Kanada, Belgien, USA, Frankreich, Australien. Die Ansiedlung erfolgte unter dem humanitären Begriff Resettlement, glich aber durch die Auswahl arbeitsfähiger und Bevorzugung alleinstehender Personen der damals üblichen Anwerbung dringend benötigter ausländischer Arbeitskräfte. Sowohl die legale als auch die illegale Auswanderung von Juden nach Palästina beschleunigte 1948 die Gründung des Staates Israel. Da Länder wie die Vereinigten Staaten keine Tuberkulose-Kranken aufnahmen, blieb vielen DPs eine Neuansiedlung (englisch resettlement) verwehrt.

Die verbliebenen oder zurückgekehrten Displaced Persons, darunter viele Juden, blieben teilweise jahrelang in DP-Lagern, wo sie von der UNRRA, ab 1947 von ihrer Nachfolgerin International Refugee Organization, IRO, und von jüdischen Organisationen wie dem Joint Distribution Committee betreut wurden. Die Situation in den Lagern war anfangs kritisch, was im Harrison-Report zum Ausdruck kam; teilweise handelte es sich bei den Unterkünften um ehemalige Zwangsarbeiter- oder Konzentrationslager (z. B. Belsen oder Haid), in denen die Befreiten nun leben sollten. Zudem wurden sie von der deutschen Bevölkerung und auch der Verwaltung diskriminiert. Aufgrund der ungeklärten Perspektive wurden in einigen größeren Lagern Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Lehrerseminare eingerichtet.

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde die Gleichstellung der verbliebenen DPs mit der deutschen Bevölkerung 1951 in einem eigenen »Gesetz zur Rechtsstellung heimatloser Ausländer« außerhalb eines allgemeinen Flüchtlingsgesetzes geregelt; einige von ihnen blieben staatenlos. 1957 verließen die letzten DPs, jüdische Holocaustüberlebende, das Lager Föhrenwald in Oberbayern; das Lager wurde 1958 geschlossen.