BRAUNFELS, den 20. April 2024:
Liebevoll ist der Marktplatz in Braunfels hergerichtet worden, um am Nachmittag eine Kundgebung für Freiheit und Demokratie abhalten zu können. Erst sieht es so aus, dass diese Mühe nicht von Erfolg gekrönt sein wird, denn die Lücken zwischen den versammelten Menschengruppen sind noch recht groß. Aber als die Band »De Luxe« mit dem Lied »Freiheit« von Marius Müller-Westernhagen die Veranstaltung eröffnet wird, füllt sich der Platz sehr schnell auf. Und diese haben Glück: Denn nach übelsten Aprilwetter lugt auf einmal Sonnenschein zwischen Wolkenlücken hervor und die Teilnehmer*innen bleiben davon verschont, die vorsorglich mitgebrachten Regenschirme aufspannen zu müssen. Es wird eine lebendige, mit vielen Redebeiträgen und kreativen Plakaten geschmückte Veranstaltung, auf der über 300 Teilnehmer*innen aus Braunfels und Umgebung klarmachen, wie wichtig der Einsatz für eine offene und freie Gesellschaft ist.

Zu der Demo sind Teilnehmer aller Altersgruppen präsent, die im Vorfeld der Europa- und den Landratswahlen am 6. Juni den Extremisten die Bühne nicht überlassen wollen. Organisiert wurde die Veranstaltung von einem überparteilichen Bündnis der demokratischen Parteien, Kirchen, Einzelhändler und zivilgesellschaftlicher Organisationen aus Braunfels. Mit dabei sind aber auch die »Omas gegen Rechts«. Die Ortsgruppe Wetzlar hat sich erst vor drei Wochen gegründet. Einige der Frauen waren zuvor bei den Gießener Omas dabei. »Wir wollen Stimmung machen und Präsenz zeigen«, sagen die elf Omas, die sich über den guten Zuspruch auf dem Braunfelser Marktplatz freuen.

Für das Organisationsteam der Veranstalter begrüßt Christel Pitsch und erklärt, die Idee zu dieser Veranstaltung sei schon vor längerer Zeit geboren worden und sagte »Die großen Veranstaltungen ebben etwas ab. Umso wichtiger ist es uns, das Thema im Bewusstsein zu halten, die Gefährdung unserer Demokratie durch rechtsextreme Kräfte zu benennen«. Ekkehard Wagner liest danach einen fiktiven Brief seiner jetzt ein Jahr alten Enkelin an ihren Opa vor, wenn sie 16 geworden ist. Das Mädchen fragt da den Großvater, warum sich alles so entwickelt hat. Die Grenzen seien geschlossen; zum Ausreisen müsse man drei Monate vorher ein Visum beantragen. »Vieles ist teuer geworden; keiner kauft mehr unsere Waren«, heißt es in dem imaginären Brief weiter. Und Wagner endet mit den Worten: »Ich hoffe, dass meine Enkelin einen solchen Brief in 15 Jahren nicht schreiben muss«.

»Lassen Sie uns laut sein gegen Rassismus und Hetze – entschieden für Demokratie und Menschenrechte. Nie wieder ist jetzt«, betont Irmi Richter vom Demokratiebündnis Lahn-Dill in ihrem Wortbeitrag, in dem sie an die Gräueltaten der Nazi-Diktatur erinnert – und daran, was passieren kann, wenn die Demokratie in Gefahr gerät. Als im Februar 1933 in Wetzlar trotz eines Verbots 1000 Menschen »Gegen Faschismus und Kriegsgefahr« auf die Straße gingen, wurden danach die vermeintlichen Rädelsführer von der SA, die zwischenzeitlich zu Hilfspolizisten vereidigt war, in Schutzhaft genommen. »Mit Derartigem müssen wir heute nicht rechnen – noch nicht und hoffentlich niemals!« so Richter.

Klare Positionen gegen Rechtspopulisten
Etliche Teilnehmer haben Fahnen mitgebracht. »Mein Herz schlägt für Vielfalt«, heißt es da oder »Vielfalt statt Einfalt«. Für Jüngere ist klar: »Kein Sex mit Nazis«, andere demonstrieren mit selbst gemalten Schildern wie »Wer in der Demokratie schläft, wacht in der AfD Diktatur auf« oder »Ekelhafd«.

»Egal, was Du wählst, wähle Europa«, heißt es auf Ansteckern, die viele Anwesende tragen. Sven Ringsdorf als Vorsitzender der überparteilichen Europa-Union Lahn-Dill ruft dazu auf, zur Wahl zu gehen und eine demokratische Partei zu wählen. Fast 500 Millionen Menschen in 27 Mitgliedstaaten können am 9. Juni ihre Stimme abgeben. »Wir erleben gegenwärtig, dass die Feinde der Demokratie unsere Arbeit gefährden«, verdeutlicht Ringsdorf.

Auch Teilnehmer der Kundgebung kommen zu Wort. Der 17-jährige Amir Khugani, der seit acht Jahren in Deutschland lebt, sagt, er sei froh, in einem Land zu leben: »Wo ich zur Schule gehen und Fußball spielen kann, ohne Angst zu haben.« Oder die 14-jährige Emily Hundert, die im Kinder- und Jugendbeirat der Stadt Braunfels aktiv ist, die sich über ihre Möglichkeiten des Mitspracherechts freut.

Der evangelische Pfarrer Sven Seuthe sagt: »Ich bin froh, dass ich in einer Zeit lebe, in der ich meinen Glauben frei ausleben darf.« Und Bürgermeister Christian Breithecker spricht als Privatmann unser Grundgesetz an und zitiert den ersten Satz: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, ein Gebot für ein Miteinander in Toleranz und Weltoffenheit. Und in der Schlussrede appelliert Michael Reitz, Vorsitzender des Partnerschaftsrings, an offene Herzen und offene Köpfe. »Wir dürfen das Fremde nicht als etwas Gefährliches wahrnehmen, sondern als etwas Interessantes«, rief er den Versammelten zu. In der Europapreisträger-Stadt Braunfels sei das richtige Zeichen gesetzt worden.

Volker Zimmerschied, Christina Schmitz und Hans-Werner Hardt von der Band »De Luxe« lockerten das Programm mit Liedern von Frieden und Freiheit wie etwa »Imagine« auf. Zum Abschluss der Kundgebung durfte auch die Europa-Hymne nicht fehlen: »Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.« Nachdem die Kundgebung beendet, und die Installationen wieder abgebaut waren, übernahm das Aprilwetter mit Hagelstürmen die Regie auf dem Marktplatz von Herborn.

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Ernst Richter @Wetzlar erinnert e.V.