IG Metall initiiert Gedenktafelprojekt für den nördlichen Teil des LDK
Erste Tafel zu Ehren von Adolf Kunz am 17. Juli 2023 in Herborn Burg enthüllt

HERBORN : Auf Initiative ihres Senior*innenkreis hat die IG Metall-Geschäftsstelle in Herborn mit ihre Planung begonnen, im nördlichen Lahn-Dill-Kreis Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit nach dem Muster unserer Tafeln in der Stadt Wetzlar zu initiieren und je nach Thema und Standort dieser Tafeln dafür einen geeignetem Tafelstifterkreis zu gewinnen.

»Alleine die im unserem Geschichtsbuch ›Verdammte Geduld‹ beschriebenen Ereignisse, die sich zwischen Ende der Weimarer Republik und der unmittelbaren Nachkriegszeit beschriebenen Ereignisse bei uns abspielten, sind Stoff für mehr als 30 dieser Tafeln«, sagte Andrea Theiß zu Beginn der Veranstaltung für die erste Tafelenthüllung in Herborn Burg. Adolf Kunz – Gewerkschaftssekretär des Deutschen Metallarbeiterverbandes und Sozialdemokrat wurde gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn am 17. Juli 1932 von einem SA-Trupp verprügelt, das Mobiliar seiner Gastwirtschaft in Burg zerstört. »Wie auf einem Schlachtfeld sah es in der Wirtschaft aus«, zitierte Theiß aus dem, was die örtliche Presse ein Tag danach in der Herborner Lokalzeitung schrieb. Holger Gorr hatte eine Vielzahl von Ereignissen der Entrechtung, Unterdrückung, Verfolgung und Zwangsarbeit recherchiert und ist Autor dieses Geschichtsbuchs. »Wir wollen diese Ereignisse auf die Straße zu den Menschen holen«, deshalb werden wir – wie WETZLAR ERINNERT e.V. weitere solcher Tafeln initiieren. Wie unsere Tafeln tragen die Herborner Schilder ebenfalls in der rechten oberen Ecke jeweils einen QR-Code, der auf Websites mit Hintergrundinformationen führen wird.

Tafelstifter für die Tafel zu Ehren von Adolf Kunz sind neben der IG Metall die SPD, die AWO, der örtliche Geschichtsverein sowie die Stadt Herborn. In deren Vertretung waren anwesend: Martin Fuchs (2. Bevollmächtigter der IG Metall), Nils Neidhart (Geschäftsführer der AWO), Klaus Schreiner (Vorsitzender des Geschichtsvereins) sowie Bürgermeisterin Katja Gronau (—› siehe Wortlaut ihres Grußwortes im nachfolgenden Aufklappfeld).

Höhepunkt des Nachmittags war die Lesung des Geschichtsleistungskurs des Johanneums über die systematische Zerschlagung der ersten demokratischen Republik seit Ende der 1920er Jahre, um der faschistischen Gleichschaltung der deutschen Gesellschaft den Boden zu bereiten. Unterfüttert mit den lokalen Ereignissen und den Zeitzeugenberichten, die Holger Gorr in seinem Buch niedergeschrieben hat.

Eine beeindruckende erste Tafelenthüllung, der noch viele weitere folgen mögen.
Wir wünschen hierzu viel Erfolg!

Anlässlich der Enthüllung einer Gedenktafel für Adolf Kunz am 17. Juli 2023 in Herborn Burg

es gilt das gesprochene Wort

Mit der Gedenktafel für Adolf Kunz, gegenüber dem heutigen Burger Eck und seiner damaligen Gaststätte, mahnen wir und erinnern uns einer der schwärzesten Zeiten der deutschen Geschichte. 91 Jahre sind seit dem 17. Juli 1932 vergangen. Seit dem Tag als die SA-Truppen der NSDAP auch in unserer Stadt im Zuge ihres Terrors – in diesem Fall Gewerkschafter Adolf Kunz –Andersdenkenden bedroht, misshandelt und verletzt haben.

Er steht exemplarisch für Demütigung und Verfolgung politisch Andersdenkender, die Angehörigen von Randgruppen wie auch die Ermordung von Millionen jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer gefallen sind. Wir alle können unserer Verantwortung für ein humanes, friedvolles und von Respekt getragenes Zusammenleben dadurch gerecht werden, indem wir unseren Mitmenschen – und insbesondere den Fremden – mit Achtung begegnen und deren Würde gerade im Alltag und bei alltäglichen Kontakten respektieren. Dulden wir nicht menschenverachtendes Verhalten gegenüber wem auch immer. Auch wenn in solchen Fällen unsere Zivilcourage besonders gefordert sein mag: Wir müssen bereit sein, sie zu erbringen.

Wo war diese Zivilcourage beim tätlichen Angriff auf Adolf Kunz, seine Familie und Gaststätte im Juli 1932, oder im Mai 1933 als die Gewerkschaftshäuser gestürmt wurden?

Wenige haben sich den Anfeindungen und Bedrohungen der Nationalsozialisten entschieden entgegengestellt. Noch weniger haben Ihnen nach der Machtergreifung Widerstand geleistet. Aber es gab Menschen, die verdeckt anderen halfen, die ihre politische Arbeit fortsetzten, die nicht einfach wegsahen.

Auch Adolf Kunz war Zeit seines Lebens ein politischer Mensch. Das wollen wir heute, aber auch mit dieser Gedenktafel würdigen. Sicher ist es auch heute noch wichtig an die Täter von damals zu denken, aber noch wichtiger ist das Andenken an die Opfer.

Der Schutz der Menschenwürde, die in den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft so niederträchtig missachtet wurde, ist heute als Grundrecht in unsere Verfassung geschrieben.

Mit der Verpflichtung, dass sich alle, Bürgerinnen und Bürger wie auch der Staat, zu diesen unveräußerlichen Rechten bekennen. Wir alle sind zwingend an diese Rechte gebunden – auch Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung.

Das Grundgesetz garantiert: Persönlichkeitsschutz, Gleichheit, ungestörte Religionsausübung, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereins- und Koalitionsfreiheit, also Gewerkschaften und Vereine bilden, Freizügigkeit, Verbot von Zwangsarbeit und Berufsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Eigentumsfreiheit.

Alle diese Grundrechte sind, jedes für sich, eine Antwort auf die Verbrechen und die Entrechtung in der NS-Diktatur. Sie sind eine Verpflichtung für uns alle.

Diese Grundrechte hätten auch Adolf Kunz schützen können, wären sie damals schon in Kraft gewesen. Wir können stolz sein, dass sie für uns heute unveräußerlich sind. Wir müssen diese Rechte aber auch weiterhin schützen und sicherstellen, dass sie unantastbar bleiben.

Trotz oder vielleicht auch wegen der Repressalien, die er nach dem Angriff auf das »Burger Eck«, als die Gastwirtschaft laut Zeitzeugenbericht »wie nach einem Bombenangriff« aussah, erlebt hatte, engagierte sich Adolf Kunz bis zu seinem Lebensende politisch. Er ist uns als wichtiger Vertreter der heimischen Gewerkschaftsbewegung und Begründer der SPD-Ortsgruppe Burg in Erinnerung.

Im Namen der städtischen Gremien danke ich allen, die sich für die Gedenktafel in Burg eingesetzt, sie ideell und finanziell unterstützt haben, und die Hintergründe des Angriffs auf Adolf Kunz recherchiert haben.

Unsere Zivilcourage und unsere Stimme sind heute gefragt, sind gefragt – um Demokratie zu leben und zu schützen.

Wir danken Frau Gronau, dass sie uns die Rede zur Verfügung stellte!