Projekt: »Gegen das Vergessen«
Mediale Erfassung von Zeitzeugen*innenberichten

Ausgangssituation:
Lange wollte niemand die hören, die von Verbrechen des NS berichten. Und viele von denen, die von den NS-Verbrechen hätten erzählen können, haben erst im hohen Alter den Mut dazu besessen, es zu tun. Das hat die deutsche Nachkriegsgeschichte mehr als 60 Jahre geprägt. Heute sind die Zeitzeugen*innenberichte die Möglichkeit, dass sich jüngere Generationen von etwas für sie kaum noch Vorstellbaren ein Bild machen können. Aber auch, um Empathie mit den Opfern und eine Ächtung der NS-Ideologie entwickeln zu können.

Spät – aber nicht zu spät:
Doch es gibt immer weniger Menschen, die von den Ereignissen der NS-Zeit erzählen können. Die noch lebenden Zeitzeugen*innen waren damals Kinder, höchstens Jugendliche. Dennoch zeigen unsere Erfahrungen mit denen, die bereit sind, ihre Erinnerungen durch Erzählungen mit anderen Menschen zu teilen, dass sie durchaus sehr präzise, wahrheitsgerecht und detailliert von dem berichten können, was sie damals erlebt haben. Und nicht ohne Grund wird sowohl im schulischen Unterricht als auch bei der außerschulischen Jugendbildung, in Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit auf Zeitzeugengespräche bzw. -berichte zurückgegriffen.

Als Beitrag zur Demokratiestärkung heute:
Angesichts der Zunahme rechter Gewalt und von völkischem Denken möchten wir gerne dazu beitragen, dass möglichst viele junge Menschen auch künftig an diesen Zeitzeugen*innenberichten teilhaben können, indem wir diese medial erfassen und sichern. Dazu ist jetzt noch Zeit.

Der 75. Jahrestag der Befreiung von Wetzlar und den umliegenden Gemeinden hatte WETZLAR ERINNERT veranlasst, mehrere Aufsätze über die letzten Wochen des Krieges in der Wetzlarer Neuen Zeitung zu veröffentlichen. Interessanterweise erhielten wir von einigen älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern Anrufe, teilweise mit dem Bedürfnis, Geschildertes zu korrigieren, aber vor allem, mit eigenen Erlebnissen zu ergänzen. Coronabedingt konnte dieser Austausch bisher nur über Telefonate erfolgen. Dabei ist aber die Idee gereift, die Erzählungen dieser Zeitzeuginnen und Zeitzeugen per Ton und Bild zu erfassen.

Durch Besuche und Erfahrungsaustausch mit zentralen Gedenkstätten wissen wir, dass dort medial erfasste Zeitzeugen*innenberichte zum Repertoire von Ausstellungen und Museen gehören. Aber der Faschismus fand eben nicht »nur« an den Orten der heutigen zentralen Gedenk- und Erinnerungsstätten statt, sondern hier, in jeder Straße, unter den Nachbarn, in den Schulen und in vielen Familien. Hier begann die Unmenschlichkeit, der Hass, die Barbarei und das Grauen von Faschismus und Krieg.

Die Professionalität von hessencam:
hessencam hat in einer Reihe von Fällen derartiger Zeitzeugen*innengespräche seine Kompetenz bewiesen, die Erfassung derartiger Interviews professionell und medial hochwertig zu erfassen. Zugleich gewährt das Jugendprojekt schon bei der Befragung der in Frage kommenden Zeitzeugen*innen einen generationsübergreifenden Austausch über die damaligen Ereignisse.

Geplanter Projektverlauf:
Das Projekt soll in acht Schritten erfolgen:

  1. Kontaktaufnahme mit infrage kommenden Zeitzeugen*innen per Brief und Telefonat sowie Aufruf über die Seniorenpost der Stadt und durch die WNZ
  2. Kopien der Filme des HR aus der Reihe »1945 + ich« sowie passender Dokumente und Bilder aus dem Fundus von WETZLAR ERINNERT e.V. und dem historischen Archiv der Stadt
  3. Probeaufnahmen durch hessencam, Erarbeitung eines Befragungskonzepts (Leitfragen)
  4. Auftaktveranstaltung mit Zeitzeugen*innen (am Mo., 21.09.2020 im Nachbarschaftszentrum Niedergirmes
    Sondierung der Themen und Erlebnisse, ggfls. auch von Dokumenten, die die Zeitzeugen*innen in Interviews, Erzählungen aufgreifen / einbeziehen möchten
  5. Auf dieser Grundlage:
    Festlegung der Drehorte (Gespräche zu Hause, in öffentlichen / Räumen, am historischen Ort der jeweiligen Ereignisse usw.)
  6. Umsetzung der Interviews / Gespräche in Form von Drehtagen
  7. Schnitt, Vertonung, Überblendungen mit historischen Dokumenten bzw. Bildern von den Ereignissen / Orten
  8. Schnitt und Produktion diverser Filme
    • pro Person
    • themenbezogen
    • themenübergreifend
  1. Publikation und Archivierung der entstandenen medialen Produkte.

Die ersten acht Schritte sollen bis zum 31.12.2020 abgeschlossen sein. Der achte hat keine finanztechnische Relevanz, d.h.: finanziell kann das Projekt bis zum 31.12.2020 abgeschlossen werden.

Die Produkte sollen gesichert und Interessierten öffentlich zugänglich gemacht werden, in dem sie als historische Zeitzeugen*innen-Dokumente archiviert werden. Hierzu hat Stadtarchivar Dr. Christoph Franke sein Interesse signalisiert und seine fachliche Beratung des Projektes angeboten.

Wir gehen derzeit von acht Zeitzeugen*innen aus. Durch die vorgeschlagene Kooperation mit dem Seniorenbüro der Stadt, dem hessischen Rundfunk, sowie der Lokalredaktion der Wetzlarer neuen Zeitung (angedacht) könnten weitere Zeitzeugen*innen gewonnen werden, die wir aber auf max. 12 Einzelpersonen bzw. Paare begrenzen wollen.

Hessischer Rundfunk
Das Projekt korrespondiert mit einem ähnlich gelagerten des Hessischen Rundfunks. Beim hr-Fernsehen hat sich die Redaktion »Gesellschaft und Politik« über einen US-Korrespondenten die Filme der US-Armee von der Befreiung hessischer Städte und Landkreise im März und April 1945 zur Vorbereitung des Medienprojekts »1945 und ich« beim nationalen US-Archiv in Washington DC besorgt. Dieses umfangreiche Material wurde zwischenzeitlich für die heutigen Landkreise und kreisfreien Städte zusammengefasst und als Filme auf dem hr Youtube-Kanal veröffentlicht.

Die hr-Fernsehen-Redaktion »Politik und Gesellschaft« stellt uns diese Filme freundlicherweise zur Verfügung, um unsere Zeitzeugen*innen-Befragungen zu den Ereignissen am Ende des Krieges mit dem historischen Material illustrieren zu können.

Deshalb entstehen nur die Kosten für Kopie der Filme auf einen geeigneten Medienträger (externe Festplatte mit 6 TB). Eine Lizenzgebühr zur Nutzung dieser Filme entsteht nicht, da das nationale US-Archiv sie als Dokumente von hohem historischem Wert qualifiziert, die global allen Menschen zur Verfügung gestellt werden sollen.

Kalkulierte Kosten:
Somit konzentrieren sich die Kosten auf die materielle Umsetzung des Projektes in Form von Videoclips in HD-Qualität und im MP 4-Format.

  • Technik
  • Material
  • Schnitt
  • Nachbearbeitung usw.

Für für die Auftaktversersammlungen mit interessierten Zeitzeugen*innen  (Druck von Werbeflyer, Saalmiete, Beamer und Projektionstechnik, Beschallung, pandemiegerechte Ausgestaltung der Veranstaltungsraums (Desinfektionsspray, Klarsichthüllen für Mikrophone etc).

Die konkrete Zeitplanung ist stark von der weiteren Pandemie-Entwicklung und den künftigen Möglichkeiten abhängig, wieder mit älteren Menschen eine Begegnung ermöglichen zu können.

Förderung durch das Bundesprogramm »Demokratie leben!«:
Der Begleitausschuss der »lokalen Partnerschaft für Demokratie« Wetzlar | Lahn-Dill-Kreis hat einen Zuschuss von bis zu 2.750 Euro beschlossen.

Wetzlar, den 01. August 2020
Vorstand von WETZALR ERINNERT e.V.