Erinnern an den 2. Mai 1933
Zum 85. Jahrestag der Zerschlagung der freien Gewerkschaften
»Pflicht zum aktiven Handeln« GESCHICHTE Gedenktafel in Niedergirmes erinnert an Zerschlagung der Gewerkschaften Bericht von Klaus Petri WETZLAR Schritt für Schritt schalteten die Nationalsozialisten Staat und Gesellschaft nach der Machtübertragung im Januar 1933 gleich. Eine Etappe auf dem Weg zur Führerdiktatur war die Zerschlagung der Gewerkschaften – auch in Wetzlar. Daran erinnert nun eine Gedenktafel.
Am ehemaligen Gewerkschaftshaus in Niedergirmes informiert das Schild seit Mittwoch, dem 85. Jahrestag, an die Ereignisse vom 2. Mai 1933.
DIE HINTERGRÜNDE
Die Sicht der Nationalsozialisten auf die Gewerkschaften brachte der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels in seinem Tagebuch in brutaler Offenheit zu Papier: »Man darf hier keine Rücksicht kennen. Wir tun dem Arbeiter nur einen Dienst, wenn wir ihn von der parasitären Führung befreien, die ihm bisher das Leben sauer gemacht hat. Sind die Gewerkschaften in unserer Hand, dann werden sich auch die anderen Parteien und Organisationen nicht mehr lange halten können.«
Am Tag zuvor hatte die Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) noch Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Machthabern demonstriert: Gemeinsam zelebrierte man den 1. Mai als »Tag der nationalen Arbeit«. Die ›Aufwertung‹ des »Kampftages der Arbeiterbewegung« zum bezahlten Feiertag für alle erschien manchen verlockend. Die »kalte Dusche« kam am Tag darauf mit der Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch die SA, mit der Liquidierung von Streikrecht und Koalitionsfreiheit und dem Einzug gewerkschaftlichen Vermögens durch den NS- Staat.
LAHN-DILL-KREIS
Gewerkschaftsführer wie der Herborner Paul Symkowiak vom Bergarbeiterverband wurden verhaftet und krankenhausreif geprügelt. Zum aktiven Widerstand bereite Menschen gab es im SPD-nahen republikanischen Schutzbund »Eiserne Front«, in der KPD und im ADGB. »Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber!«, kommentierte im Februar 1933 der Herborner Metallarbeiter Herrmann Schmidt.
GEWERKSCHAFTSHAUS
Die in Wetzlar bedeutendste Einzelgewerkschaft war der Deutsche Metallarbeiterverband (DMV), der 1928 das Haus Hermannsteiner Straße 1 in Niedergirmes kaufte, in der auch eine Apotheke Platz fand. Das DMV-Haus besetzte die SA am 2. Mai. Nachdem Krieg kam die Immobilie in den Besitz der Stadt. Heute ist dort die Geschäfts- und Beratungsstelle des Deutschen Kinderschutzbundes zu Hause.
DIE ENTHÜLLUNG
Bei der Enthüllung der Gedenktafel waren Vertreter der Kommunal- und Landespolitik, örtliche Gewerkschaftsvertreter und Behördenmitarbeiter vor Ort.
»Wir demonstrieren mit dieser Aktion, dass wir eine vielfältige und bunte Stadt sind.«
Wir demonstrieren auch mit dieser Aktion, dass in Wetzlar aus der Geschichte gelernt wurde und wir heute eine vielfältige und bunte Stadt sind«, betonte »Hausherrin« Gudrun Geißler, die Vorsitzende des Kinderschutzbundes Lahn/Dill. Ihr besonderer Dank galt dem Verein »Wetzlar erinnert« sowie dem Ehepaar Ernst und Irmi Richter, die »mit großem Engagement Aufklärung und historisches Erinnern in lokalen Bezügen betreiben«.
Der DGB-Kreisvorsitzende Arne Beppler erinnerte an die vielen Widerstandskämpfer und Opfer des NS-Terrors aus den Reihen der Arbeiterbewegung. Daraus erwachse „die Verpflichtung zum aktiven Handeln gegen Rassismus, Faschismus, Intoleranz und Antisemitismus«.
IG-Metall Geschäftsführer Stefan Sachs will den »Blick in den Rückspiegel« um einen aktualisierten »Blick auf unsere Windschutzscheibe« ergänzt sehen und sagte: »Zivilcourage ist auch künftig vonnöten. Wenn etwa seitens der AfD-Anhängererwartet wird, dass wir uns als Schutzorganisationen der Arbeitnehmer nur um Deutsche zu kümmern hätten, muss denen mit klarer Kante entgegengetreten werden«.
Oberbürger Manfred Wagner dankte »für das gemeinsam gesetzte Zeichen, dass aus der Geschichte gelernt worden ist«. Das »Nie wieder!« werde umso kräftiger ausfallen, wenn mit Gedenktafeln Geschichtsbewusstsein entwickelt werde. Nach der Enthüllung – die erste in einer Reihe weiterer dieser Art – gab Ernst Richter per Dia-Vortrag Einblicke in historische Stationen, an denen sich Stadtgeschichte und »große Geschichte« berührten. Der Kinderschutzbund bewirtete die Gäste.