Zu Ehren von Jakob Sauer
den die Nazis am Tag vor dem Einmarsch der US-Armee erhängten

Am Sa., den 16. März 23, trafen sich rund 50 Menschen, um gemeinsam mit den Stiftern diese Tafel zu enthüllen.

Treffpunkt war der

Alte Wetzlarer Friedhof
Besucher*innenparkplatz vor dem Friedhofseingang an der Bergstraße
Bergstraße 60 | D 35578 Wetzlar

Im nachfolgenden finden Sie Berichte, Bilder und Statements von dieser Veranstaltung.
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Bilder © Wetzlar erinnert e.V.

Tafelenthüllungen & Gedenkveranstaltung am Samstag, den 16. Februar 2023

14:30 Uhr: Treffpunkt auf dem Parkplatz vor dem Alten Friedhof
An der Bergstraße 60 | D 35578 Wetzlar (Einfahrt nur in Richtung Büblingshausen, Rechtenbach sowie Spilburg bergaufwärts möglich)

  • Eröffnung und Einführung
    Ernst Richter
    (Vorsitzender von Wetzlar erinnert e.V.)
  • Statements der Tafelstifter:
    durch:
    Oberbürgermeister Manfred Wagner (Magistrat der Stadt Wetzlar)
    Jens Kraft (heutiger Eigner des Wohnhauses, dass der Familie Sauer gehörte)
    Klaus Kirdorf (für die Familie Kirdorf, heutige Nachbarn im Wohnhaus gegenüber)
  • Gemeinsame Enthüllung der Tafel Nr. 17 zu Ehren von Jakob Sauer
    durch:
    Manfred Wagner (Oberbürgermeister der Stadt Wetzlar)
    Klaus Kirdorf (Familie Kirdorf)
    Jens Kraft (Familie Kraft)
    Andrea Grimmer (Vorstand, Wetzlar erinnert e.V.)
  • Kranzniederlegung zu Ehren von Jakob Sauer
    auf dem Grab von Jakob Sauer
  • Betrachtung der 2. Tafel an der Frankfurter Straße
    für die, die das wünschen

Es gilt das gesprochene Wort:

Anrede,
es ehrt mich, dass ich einmal mehr zur Enthüllung einer Gedenktafel, die von dem Verein Wetzlar erinnert e.V. initiiert und aufgestellt wurde, sprechen darf. Eine Gedenktafel, die an Jakob Sauer erinnert, die aber den Fanatismus der Nazis und ihrer Helfer und Helfershelfer bis zum Ende deutlich macht.

Und so ist die tragische Geschichte von Jakob Sauer neben anderen ein Beispiel dafür, wie total die fanatische Verblendung in der Nazi-Diktatur war.

Noch einen Tag vor dem Einzug der Amerikaner in unsere Stadt, wurde am 27. März 1945 der 65jährige Jakob Sauer erhängt.

Er hatte ein Pappschild an seinem Haus angebracht mit der Aufschrift: »Schützt mein Haus, wir sind keine Nazis, wir begrüßen die Befreier«.

Ein schreckliches Ereignis, mit nichts zu rechtfertigen, das sich in unserer Stadt zutrug.

Es nicht minder schrecklich und abscheulich, wie der Mord an dem Theologen Dietrich Bonhoeffer, der ebenfalls noch kurz vor Kriegsende erfolgte. Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg gehängt, Flossenbürg wurde zwei Wochen später von amerikanischen Truppen befreit.

Nur einen Tag vor der Kapitulation der Hansestadt geschah in der Kleinstadt im heutigen Sachsen-Anhalt am 13. April 1945 das Massaker von Gardelegen. Über 1.000 KZ-Häftlinge aus verschiedenen Lagern, die auf ihren sogenannten Todesmärschen in Gardelegen zusammentrafen, wurden in einer Feldscheune bei lebendigem Leibe verbrannt. Am 14. April 1945 gegen 17 Uhr zogen die alliierten Truppen ein.

Jakob Sauer, Dietrich Bonhoeffer oder die Opfer von Gardelegen sind Belege grenzenlosen Leids, sind Belege der Inhumanität und Belege dafür, wohin Fanatismus führen kann.

Sie sind aber auch ein immerwährendes Vermächtnis und eine Aufforderung an uns alle, nicht länger zu schweigen, wenn wir wahrnehmen, dass sich Geschichte zu wiederholen droht.

Und sie sind ein Teil dessen, was Führungsfiguren der sich als Alternative für Deutschland bezeichnenden Partei als einen Vogelschiss in der Geschichte bezeichnen. Sie sind Teil dessen, was aus unserer Erinnerung, aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt werden soll, wenn der Fraktionsvorsitzende der AfD im Landtag Thüringens, von der »erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad« spricht.

Und umso mehr ist Zivilcourage und Haltung gefragt,

  • wenn wir verhindern wollen, dass Hass, Hetze und Fanatismus wieder die Oberhand gewinnen,
  • wenn wir die Sorgen des Präsidenten des Zentralrates der Juden, Dr. Josef Schuster, verinnerlichen, der dieser Tage im Kontext des zunehmend wahrnehmbaren Hasses gegenüber Juden das Wort prägte »Was wir erleben ist alarmierend«,
  • wenn wir verhindern wollen, dass sich Schicksale, wie das von Jakob Sauer wiederholen.

Und deshalb braucht es mehr denn je einer aktiven Erinnerungskultur, die uns immer und immer wieder vor Augen führt, dass das Wort des früheren Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer hoch aktuell ist:

»Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.«

Neben den Tafeln zur Erinnerung an Jakob Sauer hier an den Eingängen zu unserem Alten Friedhof, erinnert auch seine Grabstätte an ihn.

Das Nutzungsrecht an der Grabstätte war bereits 1996 abgelaufen.

Auf Entscheidung meines Vor-Vorgängers im Amt des Wetzlarer Oberbürgermeisters, Walter Froneberg, wurde die Grabstätte der Eheleute Ernst-Jakob und Berta Sauer, geborene Walter, von der Friedhofsverwaltung gepflegt. Nunmehr streben wir an, die Grabstätte Jakob Sauers dauerhaft zu erhalten und durch eine zu beauftragende Friedhofsgärtnerei zu pflegen. Die Entscheidung der Gremien steht kurz bevor und ich mutmaße, dass sie so ausgeht, wie wir uns, die wir hier versammelt sind, das alle wünschen.

Anrede.
Mögen die Tafeln zur Erinnerung an Ernst-Jakob Sauer, das Ehrengrab für diesen mutigen Mann, aber auch die anderen Gedenkstationen in unserer Stadt, die ganz eng mit dem Verein Wetzlar erinnert  e.V. verbunden sind, allen immer wieder verdeutlichen, dass wir in entscheidenden Momenten in der Vergangenheit unseres Landes und so auch in der aktuellen Lage viel zu laut geschwiegen haben und auch schweigen.

Lassen Sie uns dieses Schweigen durchbrechen.

Denn wir müssen uns – um es nochmals mit Fritz Bauer zu sagen – vergegenwärtigen, dass Unrecht immer Unrecht bleibt.

»Es macht keinen Unterschied, ob ich selber Hand anlege oder nicht.
Es kommt nicht darauf an, ob an meinen eigenen Händen Blut klebt oder ob sie nur mit Tinte besudelt sind, ob ich aktiver Täter, Nutznießer oder nur beifällig nickender Zuschauer bin.«

So weit Fritz Bauer.

Es kommt darauf an, dass wir es nicht zulassen, dass die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben werden. Denn nicht zuletzt nach dem schrecklichen Mord an Walter Lübke wissen wir sehr wohl, wie schnell aus Gedanken Worte werden und aus Worten Mord.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Hallo zusammen,
für mich ist das eine Selbstverständlichkeit gewesen, die Aufstellung dieser Tafeln zu unterstützen.

Mein Vater hatte in einem Tauschgeschäft mit der Stadt Wetzlar 1977 das Haus, in dem Jakob Sauer gewohnt hatte, erworben. Schon in meiner Kindheit hat mich die Geschichte zu diesem Haus und zu Herrn Sauer bewegt. Sie begleitet mich nun bereits mein ganzes Leben. Immer wieder durfte ich Menschen kennen lernen, die Herrn Sauer aus vergangenen Tagen noch kannten oder eben dieses Haus noch ein Begriff war und ich empfand das Handeln von Jakob Sauer schon immer als sehr mutig.

Dies und die Tatsache, dass ein solches Handeln nicht in Vergessenheit geraten sollte, haben mich dazu veranlasst, bei dieser Gedenktafel an Jakob Sauer mitzuwirken.

Es gilt das gesprochene Wort

Meine Damen und Herrn,
ich freue mich, dass Sie doch recht zahlreich zur Enthüllung dieser Gedenktafel für Jakob Sauer gekommen sind.

Ich bin ja schon vor Beginn des 2. Weltkriegs zur Welt gekommen und ich habe den Einmarsch der amerikanischen Soldaten noch in guter Erinnerung – und zwar in Aislingen in der Nähe von Ulm an der Donau. Heute blickt man von dort aus auf die Kühltürme des ehemaligen Kernkraftwerks Gundremmingen. Am 2. Februar 1945 war die Wohnung in meinem Elternhaus in Wiesbaden durch einen heftigen Luftangriff der Amerikaner unbewohnbar geworden. So fuhr meine Mutter mit mir und meinem Bruder zu meiner Tante Aenne, die aus dem Ruhrgebiet evakuiert worden war, etwa für ein halbes Jahr nach Aislingen.

Seit nunmehr 55 Jahren lebe ich nun schon mit meiner Familie in Wetzlar und seit über 50 Jahren in der Merianstraße 32 mit Blick auf das Haus Am Geilberg 4, in dem damals noch die Witwe von Jakob Sauer lebte. 5 Jahre lang bin ich dort an dem Haus entlang gegangen auf meinem damaligen Weg zur Firma Ernst Leitz, wo ich nach meinem Studium als Physiker beschäftigt war. Als die Schweizer Firma Wild-Heerbrugg 51 Prozent des bisherigen Familien-Unternehmens übernahm und zunächst einmal vor allem die Personalkosten senken wollte, habe auch ich meinen Arbeitsplatz verloren.

Ich hatte jedoch Glück, dass damals das Land Hessen für die Beruflichen Schulen Naturwissenschaftler suchte. Und so wurde ich Berufsschullehrer an der Theodor-Heuss-Schule in Wetzlar – und vor allem auch politisch aktiv. Im Jahr 1986 wurde ich sogar für 3 Jahre Stadtverordneter in der Fraktion einer Öko-Partei. Im Jahr 2009 habe ich die Verlegung von Stolpersteinen durch den Kölner Künstler Gunter Demnig initiiert für Menschen, die von den Nazis aus Wetzlar deportiert und ermordet worden sind. Ich habe an Stadtführungen mit dem Historiker und Buchautor Karsten Porezag teilgenommen und lernte die Plätze kennen, wo es in der Nazi-Zeit Zwangsarbeiterlager der Wetzlarer Industriebetriebe gab. Als dann im Jahr 2017 in der Hermannsteiner Straße 13 eine Niederlassung des Möbelhauses IKEA auf dem ehemaligen Gelände der Buderus’schen Eisenwerke errichtet wurde, habe ich mit dem Geschäftsführer Kontakt aufgenommen, um zusammen mit dem Verein Wetzlar erinnert e.V. eine Gedenktafel zur Erinnerung an das frühere Buderus-Zwangsarbeiterlager aufstellen zu können. Dies geschah im Dezember 2018 zusammen mit einer Gedenktafel für den Buderus-Arbeiter Erich Deibel, der mit seiner Familie ebenfalls in der Hermannsteiner Straße 13 lebte. Er war vom Volksgerichtshof in Berlin wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zum Tode verurteilt und am 15. August 1942 in Plötzensee hingerichtet worden.

In dem Buch »Wetzlar 1945« von Karsten Porezag habe ich zum ersten Mal den Namen und das Schicksal von Jakob Sauer kennengelernt und dass er bis zu seiner Hinrichtung am 27. März 1945 in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserem heutigen Wohnhaus gelebt hat. Das Schicksal, das Jakob Sauer an dieser Stelle ereilte, war leider kein Einzelfall. Es gab kurz vor dem Einmarsch der alliierten Streitkräfte in den deutschen Städten und Gemeinden Dutzende solcher sog. »Endphaseverbrechen«, wie sie nach dem 2. Weltkrieg von deutschen Gerichten strafmildernd bezeichnet wurden.

Als ich im Sommer 2019 auf dem sogenannten Lutherweg zu Fuß von Worms nach Eisenach unterwegs war, bin ich mit der Rhein-Fähre von dem bekannten Weinort Nierstein in den Ort Kornsand im Hessischen Ried hinübergefahren. Am Rande des Ortes kam ich an einem Gedenkstein vorbei zur Erinnerung an 6 Menschen, die dort am 21. März 1945 von einem aus Nierstein geflüchteten NSDAP-Ortsgruppenleiter ohne ein Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und dann von einem 19-jährigen Wehrmachtsleutnant wegen angeblicher Fahnenflucht erschossen worden waren. Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten amerikanischen Panzer bereits oberhalb der Niersteiner Weinberge zu sehen. – Nach dem Krieg wurde der Wehrmachtsleutnant für dieses Verbrechen zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, aber nach sechs Jahren freigelassen – also eine ähnliche Geschichte wie die des NSDAP-Kreisleiters Wilhelm Haus.

Als Ernst Richter, der Vorsitzende des Vereins Wetzlar erinnert e.V. irgendwann vorgeschlagen hatte, auch für Jakob Sauer eine Gedenktafel aufzustellen, stand für mich und meine Frau sofort fest, Mitstifter dieser Tafel zu werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Er erblickte gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Anna Gertrude Ernestine am 5. März 1880 in Blankenbach – nahe der hessisch-thüringischen Landesgrenze (heute ein Stadtteil der nordhessischen Stadt Sontra, ca. 25 km östlich von Bebra gelegen) das Licht der Welt und wurde getauft auf den Namen Wilhelm Ernst Jakob Christian Carl Sauer, wie das Evangelische Pfarramt Ulfen zu berichten weiß. Sein Vater war Förster.

Über sein Leben ist sehr wenig bekannt. Er war Büroangestellter bei den Buderus‘schen Eisenwerken und verheiratet mit Berta (geb. Walter) Sauer. Die Ehe war kinderlos. Er wurde am 27. März 1945 vor dem Wetzlarer Friedhof erhängt, d.h.: während seiner Ermordung durch die Nazis war er 65 Jahre alt. Er wohnte in dem Einfamilienhaus »Am Geilberg 4«.

Von Jakob Sauer gibt es keine Nachkommen oder Verwandte, noch nicht einmal ein Bild von ihm.

Wenigstens diese Tafel soll an ihn erinnern und gleichzeitig mahnen vor Willkür und Diktatur.

Jakob Sauer wurde wahrscheinlich zum Verhängnis, dass er auf der anderen Seite des Lahntals die US-Armee wahrnahm, wie sie aus dem DULAG (Durchgangslager Luft, hinter Dalheim) ihre von den deutschen gefangengenommenen Soldaten befreiten. Es sah so aus, als würden die Amis in wenigen Stunden die Stadt Wetzlar einnehmen. Überraschenderweise zog sich die US-Armee nach der Befreiungsaktion wieder in den Westerwald zurück und besetzte Wetzlar erst am 29. März.

Eine Gruppe junger Offiziersanwärter war am 27. März auf der Suche nach Fluchtfahrrädern und entdeckte dabei an Sauers Haus ein Pappschild mit der Aufschrift »Schütze mein Haus. Wir sind keine Nazis. Wir begrüßen die Befreier«. Sie nahmen Sauer fest und brachten ihn zu NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Haus in dessen Dienstvilla (Die Buderus-Villa).

Nach einem Telefonat mit der NSDAP-Gauleitung begab sich Haus mit sechs Volkssturmmännern und dem zum Tode verurteilten Sauer zum Friedhofseingang am Hindenburgring und hängten ihn an einem Baum auf.

Diese Gedenktafel wird an zwei Standorten errichtet: 

  1. Auf dem Parkplatz vor dem Alten Friedhof Wetzlar
    Eingang Bergstraße 60 | D 35578 Wetzlar
    auf dem Grünstreifen zwischen den zwei Parkstreife
  2. An der Frankfurter Straße
    in Höhe des Fußgängerüberwegs zwischen Polizeistation und Friedhofseingang
    auf der Seite der Friedhofsmauer und Bushaltestelle »Polizeistation«

Tafelansicht • Tafelstandorte • Informationen: