Fahrt nach Stadtallendorf
• Besuch des Informations- und Dokumentationszentrums
• und der Ausstellung »Kein Kinderspiel« Kinder im KZ
Die Fahrt zur Gedenkstände in Stadtallendorf fand am Sonntag, den 01.03.2015 mit insgesamt 19 Personen statt.
Das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) dokumentiert in Stadtallendorf seit 1994 in einer Dauerausstellung die wechselvolle und außergewöhnliche Geschichte des Ortes Allendorf von der Weimarer Republik bis in die 50er Jahre, vom kleinbäuerlichen Dorf bis zur späteren Industriestadt Stadtallendorf. Im Mittelpunkt steht die Granaten-Produktion im Industriewerk der Dynamit-Nobel AG während des Faschismus und das Schicksal der abertausenden jüdischen Frauen, die als Zwangsarbeiterinnen die Granaten mit Sprengstoff befüllen mussten.
Das DIZ ist zugleich Ort für Wanderausstellungen zum NS-Staat. 2015 wurde die Ausstellung »Kein Kinderspiel« über Kinder im KZ gezeigt.
Hier ein Bericht und eine Bildergalerie zu der Fahrt (gewünschtes zum Öffnen anklicken).
Bericht von der Gedenkstättenfahrt nach Stadtallendorf am 01.03.2015
Im Rahmen einer Tagesexkursion besuchten Mitglieder und Gäste des Vereins Wetzlar erinnert e.V. das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Stadtallendorf. Diese Gedenk- und Begegnungsstätte erinnert an das Schicksal von Menschen aus ganz Europa, die während der NS-Zeit zwangsweise in der Rüstungsproduktion arbeiteten. Helmut Hermann machte die Besuchergruppe aus Wetzlar mit der Stadtgeschichte von Stadtallendorf bekannt und erläuterte beim Rundgang durch die Ausstellung die damalige Bedeutung Stadtallendorfs als Munitionsschmiede des Dritten Reiches.
Das heutige Stadtallendorf wurde nach dem Krieg aus mehreren Dörfern gebildet. Das katholisch geprägte Allendorf war keine Hochburg der Nazis, sondern vom politischen Katholizismus (Zentrum) geprägt.
Im Rahmen der Aufrüstung des NS-Staates wurden geeignete Standorte für die Errichtung von Werken der Rüstungsindustrie gesucht. Unter anderem zur Produktion von Sprengstoffen und Granaten, auch von TNT und später von Treibstoff für die V-Raketen. Als Kriterium für Allendorf sprachen:
- Anschluss an das Netz der Reichsbahn
- vorhandenes Wasserreservoir (großes Grundwasservorkommen)
- große Wälder, hoher Baumbestand zum Verstecken der Produktion vor feindlichen Angriffen (allerdings ein Trugschluss: Alliierte konnten aus der Luft die Industrieanlagen erkennen)
- Arbeitskräfte (ebenfalls ein Trugschluss, da es an Fachkräften mangelte und beim Eintritt in den Krieg die deutschen Männer eingezogen wurden).
Informationen zur Rüstungsproduktion in Stadtallendorf
In der Behandlung der Zwangsarbeiter/-innen gab es gravierende Unterschiede, die durch das rassistisch/faschistische Menschenbild geprägt war: Am besten ging es den Holländern und Franzosen, während die Menschen aus den osteuropäischen Staaten schlechter behandelt wurden. Das machte sich an unterschiedlichen Standards in der Ernährung, Bekleidung, Behausung und in der Behandlung fest. So durften beispielsweise die Niederländer (als Holländer bezeichnet) an Sportturnieren und anderen Freizeitangeboten der heimischen Bevölkerung teilnehmen. Am schlimmsten waren die Menschen aus der SU (als Ostarbeiter bezeichnet) dran. Ebenfalls die Menschen, die von den Nazis als Juden klassifiziert wurden.
Beindruckend sind in diesem Zusammenhang die Zeitzeugenaussagen jüdisch-ungarischer Frauen in dem Film, der durch das DIZ in den 1990er Jahren erstellt wurde. Auf Grundlage der Personalunterlagen über die Zwangsarbeiter/-innen wurden in den 1990er Jahren Überlebende vom Magistrat der Stadt Stadtallendorf emfpangen, die teilweise als Zeitzeugen/-innen in dem Film ihre Erinnerungen schildern. Hier ist oft von »Herabsetzung« und »Erniedrigung« die Rede. Im März 1945 wurden die Lager geräumt und die Zwangsarbeiter/-innen evakuiert. D.h., sie mussten in einem Zwangsmarsch 35 km bei kaltem Wetter und mit dürftiger Kleidung und schlechtem Schuhwerk marschieren und kamen bis nach Leinsfeld. Dort wurden sie von den Amerikanern befreit.
In zwei Sprengstofffabriken wurden Granaten befüllt und später auch der Treibstoff für die V-Raketen produziert.
Dass man diese Anlagen in einem dichten Waldgebiet vor den Alliierten zu verstecken können glaubte, erwies sich als Trugschluss. Gegen Kriegsende wurde massiv aus der Luft bombardiert. Weil die wehrfähigen deutschen Männer ab 1940 überwiegend an der Front eingesetzt waren, mangelte es während des Krieges an Arbeitskräften. Zunächst wurde mit Häftlingen aus umliegenden Gefängnissen und Konzentrationslagern »aufgefüllt«, auch wurden aus dem bis 1943 mit Deutschland verbündeten faschistischen Italien »Fremdarbeiter« angeworben.
Mit den Eroberungsfeldzügen im Osten ging die Verschleppung von Zivilisten aus den besetzten Gebieten einher. Insgesamt wurden ca. 17.000 Menschen in den Sprengstoff-Fabriken von Allendorf zur Zwangsarbeit eingesetzt. Das Lager Münchmühle bei Allendorf fungierte als Außenlager des KZ Buchenwald. Allein hierhin wurden rund 1.000 Menschen – darunter halbe Kinder – verschleppt. Sie mussten in den Sprengstoff-Fabriken schwerste körperliche Arbeit im Zweischichtensystem von jeweils 12 Stunden an 7 Tagen in der Woche verrichten. Durch den Umgang mit Phosphor wurde die Haut der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gelb gefärbt. Dennoch empfanden die mehrheitlich weiblichen Arbeitssklaven diese Lebensbedingungen als im Vergleich zu Auschwitz »paradiesisch«, wie in einem Zeitzeugeninterview von einer Ungarin zu erfahren war: »Die Verpflegung war besser und aufgrund des Umgangs mit den gesundheitsschädlichen Füllstoffen wurde tägliches warmes Duschen verordnet.«
Im März 1945 – also vor 70 Jahren – wurde das Lager von der SS geräumt und die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden per Fußmarsch evakuiert. Mit dürftiger Kleidung und schlechtem Schuhwerk versehen, ging es bei kaltem Wetter die 35 km bis nach Leinsfeld. Dort wurde die Gruppe von den Amerikanern befreit.
Errichtet wurden zwei Sprengstoff-Fabriken. Eine Tochterfirma der Dynamit AG (DAG) zur Produktion von Granaten für die Marine und eine der Westfälisch-Anhaltischen Sprengstoff-Actien-Gesellschaft (WASAG) zur Produktion von Granaten für das Heer.
Zur Rekrutierung von Arbeitskräften wurden sehr schnell Menschen, die seit dem Faschismus in Konzentrationslager verschleppt wurden, in den beiden Werken als Zwangsarbeiter/-innen eingesetzt, ferner aus dem faschistischen Italien angeworbene Fremdarbeiter.
Mit den Erorberungsfeldzügen ging die Verschleppung von Menschen aus der Zivilbevölkerung der besetzten europäischen Gebiete einher (ab 1938: Tschechen, ab 1939: Polen, sowie Belgier, Niederländer und Franzosen, dann aus dem Gebiet der ehem. Sowjetunion). Nach der Verbündung mit dem faschistischen Ungarn im Jahre 1940 verschleppte die SS mit Unterstützung der ungarischen Polizei 600.000 jüdische Mitbürger. 400.000 von ihnen wurden nach Auschwitz verbracht. Von dort wurden mehrere tausend, als arbeitstauglich eingeschätzte Häftlinge in das KZ Buchenwald überführt (darunter auch noch halbe Kinder).
Das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ)
dokumentiert in Stadtallendorf seit 1994 in einer Dauerausstellung die wechselvolle und außergewöhnliche Geschichte des Ortes Allendorf von der Weimarer Republik bis in die 50er Jahre, vom kleinbäuerlichen Dorf bis zur späteren Industriestadt Stadtallendorf.
Im Mittelpunkt steht die Granatenproduktion im Industriewerk der Dynamit-Nobel AG während des Faschismus und das Schicksal der abertausenden jüdischen Frauen, die als Zwangsarbeiterinnen die Granaten mit Sprengstoff befüllen mussten. Das DIZ ist zugleich Ort für Wanderaustelltungen zum NS-Staat. 2015 wurde die Ausstellung »Kein Kinderspiel« über Kinder im KZ gezeigt.
Um den Arbeitskräftebedarf für die neu entstanden Sprengstoffwerke zu decken, wurden rund 1.000 dieser jüdischen Ungarn in ein neu errichtetes KZ-Außenlager verlegt, das Lager Münchmühle.
Die Verfüllung der Granaten mit Sprengstoff bedeutete für die Zwangsarbeiter/-innen schwerste körperliche Arbeit (zumeist waren es Frauen) im Akkord von 12 Stunden in einem Zwei-Schichtensystem, auch an Sonntagen. Im wöchentlichen Wechsel von Tag- und Nachtschichten. Durch den Phosphor wurde die Haut der Zwangsarbeiter/-innen gelb gefärbt.
Dennoch waren die Lebensbedingungen für die Betroffenen vergleichsweise gut, da die Ernährung eine bessere war und bedingt durch die Berührung mit den gesundheitsschädlichen Füllstoffen tägliches warmes Duschen verordnet wurde, um die Produktion aufrecht erhalten zu können. Manche der Frauen haben als Zeitzeuginnen bei Filmaufnahmen in den 1990er Jahren die Lebensverhältnisse im Vergleich zum Aufenthalt in Auschwitz als »paradiesisch« empfunden.
Insgesamt waren rund 17.000 Menschen in den Sprengstofffabriken von Allendorf zur Zwangsarbeit gezwungen worden. Die Anteile auf einzelne Nationalitäten:
- 33 % aus der ehemaligen Sowjetunion
- 29 % aus Frankreich
- 15 % aus Italien (teilweise die zuvor angeworbenen Fremdarbeiter, die nach der Abdankung Mussolinis als Kriegsgefangene behandelt wurden)
- 9 % aus Jugoslawien
- 7 % aus Ungarn
- 6 % aus den Niederlanden
- 6 % aus Polen
- 3 % aus der Tschechoslowakei
Die Luftwaffen der Alliierten griffen zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Produktionsstätten an. Größere Explosionen blieben hierbei jedoch aus, da in Allendorf keine Zünder montiert wurden und somit die Granaten noch nicht scharf waren. Dies erfolgte in Grebenhain im Vogelsberg (Luftmunitionsanstalt Hartmannshain).
Dokumentationsfilm mit Interviews von Zeitzeuginnen
Nach diesem Angebot zu Dauerausstellung des DIZ nahmen die 19 Gäste und Mitglieder des Vereins WETZLAR ERINNERT e.V. die Gelegenheit war, die bis Ende März im DIZ gezeigte Wanderausstellung »Kein Kinderspiel« zu besichtigen. Diese von der zentralen israelischen Holocaust-Gedenkstätte in Israel (Jerusalem) »Yad Vashem« erstellte Wanderausstellung zeigt das Leben von jüdischen Kindern in Ghettos und Konzentrationslagern während der NS-Zeit.
Unter den sechs Millionen Juden, die im Holocaust ermordet wurden, waren etwa eineinhalb Millionen Kinder. Die Zahl der jüdischen Kinder, die überlebten, wird auf wenige tausend geschätzt.
Der Holocaust setzte ihrer Kindheit ein jähes Ende. In vielen Fällen waren diese Kinder gezwungen, neue Aufgaben zu übernehmen, die Familie zu ernähren und ihren Eltern im täglichen, verzweifelten Kampf ums Überleben Stütze und Hoffnung zu geben.
Gleichzeitig blieben sie Kinder. Wie jedes Kind hatten sie Begabungen, Träume und Wünsche. Wann immer sie Kind sein konnten, spielten und lachten sie und verliehen ihren Ängsten und Hoffnungen kreativen Ausdruck.
Diese Ausstellung erzählt die Geschichte ihres Überlebens – dem Bemühen dieser Kinder am Leben zu bleiben. Sie beschreibt ihre Versuche an ihrer Kindheit und Jugend festzuhalten, indem sie sich selber eine andere Realität schafften, als diejenige, die sie umgab.
Entsprechend betroffen war die Gruppe bei der Rückfahrt nach Wetzlar.