Im Vorfeld der Bundestagwahl war der DemokratieParcour für zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppen die Möglichkeit aufzuzeigen, was sie von der künftigen Bundesregierung erwarten. Unter dem Motto
Gemeinsam für eine lebendige Demokratie
Für Menschenrechte und ein tolerantes, buntes, friedliches Miteinander
trafen sich am Sa., den 8. Februar zwischen 11:00 und 13:00 Uhr in der Wetzlarer Bahnhofstraße Menschen, um miteinander zu diskutieren, wie die demokratischen Grundrechte gegen einen Rechtsruck gesichert werden können
Folgende Zivilgesellschaftliche Gruppen brachten sich mit Statements, Infoständen und plakativ in diesen – von Renée Herrnkind moderierten – Austausch ein:
ADFC, Alevitische Gemeinde Wetzlar, DGB, Die Gruppe »Kinder für den Frieden«, Flüchtlingshilfe Mittelhessen, Frauzeit (aus Brandoberndorf), GEW, IG Metall, Kurden Wetzlar, Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg, Naturfreunde, Netz Bangladesh, Omas gegen Rechts Wetzlar, Staddtbibliothek, ver.di, Volkshochschule Wetzlar, WALI, Wetzlar erinnert e.V., Wetzlar.solidarisch, Wetzlarer Friedenstreff und die Würdegruppe Wetzlar.
Das überparteiliche, unabhängige Demokratiebündnis Lahn-Dill folgten bis 13:00 Uhr rund 1.000 Menschen, um sich anschließend an der Menschenkette von der Fußgängerzone in der Bahnhofstraße bis zur alten Lahnbrücke zu beteiligen.
Im nachfolgenden finden Sie Bilder, Videos, Presseberichte und weitere Informationen zu dieser Veranstaltung
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Von Ernst Richter
es gilt das gesprochene Wort
Hallo zusammen!
Mein Name ist Ernst Richter. Ich bin von WETZLAR ERINNERT e.V. – dem Verein, der seit 12 Jahren den »Weg der Erinnerung« anbietet als eine Zeitreise durch das WZ von 1933 bis 45. Deshalb möchte ich etwas sagen zu den historischen Zusammenhängen, die uns heute und vor der Bundestagswahl auf die Straße bringen.
Als wir vom Demokratiebündnis Lahn Dill vor zwei Wochen die Entscheidung getroffen hatten, heute Nachmittag gemeinsam mit dem Omas gegen Rechts eine Menschen-kette zu bilden, als Symbol für die Brandmauer gegen Rechts, da hatten wir noch nicht ahnen können, welche Aktualität und Brisanz unser Anliegen hat.
Ich hatte die Ehre, auf Einladung der Bundestagspräsidentin Bärbel Bass am vorletzten Mittwoch, dem 29. Jan., im auf der Besuchertribüne dem jährlichen Gedenken des Holocaust im Deutschen Bundestag dabei zu sein. Es war eine würdige Zeremonie, die den protokollarischen Höhepunkt der Erinnerungskultur bildet.
Ergreifend die Zuwendung der Parlamentspräsidentin an den Holocaustüberlebenden Roman Schwarzmann aus der Ukraine. Bundespräsident Steinmeier sprach mahnende Worte vom notwendigen und immerwährenden Widerstehen gegen eine Wiederholung der faschistischen Barbarei.
Aber am Nachmittag wurde der gleiche Ort zur Bühne des Tabubruchs, zur Stunde der Rechten und der extrem Rechten. Mit den Stimmen der AfD, die nach dem Urteil der Historiker in der Tradition der Nazis und Hitlers steht, nahm das Hohe Haus einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion an, der eine drastisch restriktive Migrationspolitik fordert.
Merz hat die Zustimmung der AfD nicht unbedingt gesucht, aber gefunden – und das billigend in Kauf genommen oder sich jedenfalls damit abgefunden. Am Redepult erklärte er, es sei ihm »völlig gleichgültig«, wer seiner Anti-Flüchtlingsinitiative zustimmt; richtige Ideen würden nicht dadurch falsch, dass die »Falschen« sie unterstützten. »Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.« Übrigens: Das war ein Wahlspruch, den er vom einstigen wegen seiner grausamen Kolonialpolitik berüchtigten Offizier des Kaiserreichs Friedrich Hans Dominik abgekupfert hatte:
»Nicht rechts geschaut,
nicht links geschaut,
geradeaus, auf Gott vertraut –
und durch!«
Die Damen und Herren der AfD-Fraktion sanken sich nach der Abstimmung in die Arme, johlten wie Pennäler vor Glück, hielten den historischen Augenblick in Gruppen-Selfies fest und feixten schadenfroh über die Konservativen, deren Fraktionschef Merz dazu eingeladen hatte, sich von den Rechten vorführen zu lassen.
- Was die extrem Rechten als Durchbruch feierten, als Zusammenbruch der Brandmauer, löste ein politisches Beben aus:
- Ein Opfer des Holocaust will wegen des Zusammenspiels von Konservativen und Rechtsextremen sein Bundesverdienstkreuz loswerden,
- Michel Friedman warf dem Chef der Christdemokraten sein Parteibuch vor die Füße,
- Vertreter der Kirchen zeigten sich empört über die Verletzung humanistischer und christlicher Grundsätze,
- Bürger protestierten vor dem CDU-Hauptquartier, erregte Aktivisten verwüsteten ein Büro.
Am stärksten beachtet war die Intervention der Altkanzlerin. Frau Merkel erinnerte daran, dass der CDU-Kanzlerkandidat im November vorigen Jahres versichert hatte, keine Mehrheiten mithilfe der AfD suchen zu wollen. Sie bedauerte, dass dies „am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag“ Wirklichkeit geworden war.
Dass dies ausgerechnet am Gedenktag an die NS-Verbrechen geschah, war ein Zufall. Absicht des CDU-Kanzlerkandidaten war es aber, ohne Rücksicht auf die rechte Kumpanei, die er zur Mitwirkung einlud, das Thema „Asylwende“ emotional aufgeladen für den Wahlkampf aufzubereiten durch die Morde in Aschaffenburg und Magdeburg.
Auch zwei Tage später war sein »Zustrombegrenzungsgesetz« am 31. Januar ohne Stimmen der extrem Rechten nicht durchzupeitschen. Obwohl das Gesetz gescheitert ist, nutzt der hinterlassene Scherbenhaufen wiederum nur der extrem Rechten. Sie treibt das konservative Lager vor sich her, verhöhnen die Demokratie und empfehlen sich als Retter des Vaterlandes.
Noch schlimmer ist: Das Ganze gab es schon einmal! Aus der Geschichte des Aufstiegs der NSDAP wäre zu lernen. Unsere Erinnerungskultur, die von den Demagogen der AfD als „Vogelschiss“ verachtet und verspottet wird, könnte über die Zeremonien, Mahnmale, Sprachregelungen und Rituale hinaus auch Einsichten vermitteln. Z.B. die Einsicht in die Erfordernis einer demokratischen Gesellschaft, Interessenausgleich zum Ziel zu haben, statt dem Machtanspruch einzelner Gruppen zum Erfolg zu verhelfen.
Die Geschichte der Migration aus dem »Dritten Reich« – Vertreibung, Flucht, Existenzverlust deutscher Bürger – ist ein Lehrstück für heute. Heute, wo Menschen in großer Zahl politisches Asyl begehren (müssen), in der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge Schutz und Hilfe in dem Land suchen, aus dem einst Bürger wegen ihrer Gesinnung oder ihrer Herkunft, als Demokraten, als Linke, als Juden verfolgt, vertrieben und ermordet wurden.
Das Versprechen »politisch Verfolgte genießen Asyl« wurde in dem Bewusstsein der Erfahrung der NS-Herrschaft im Grundgesetz verankert. Vielfach abgeschwächt unter dem Eindruck anschwellender Zuwanderung, mit einschränkenden Klauseln versehen, vom Angstruf »Das Boot ist voll« untermalt und mit der realitätsverweigernden Beteuerung, Deutschland sei »kein Einwanderungsland«, bekräftigt.
Von der Selbstverständlichkeit der Erinnerung an die Flucht deutscher Bürger vor Hitler und an die zwölf Millionen, die anschließend als Folge der nationalsozialistischen Politik ihre Heimat verloren, hat sich die Asylrechtsdebatte immer weiter entfernt.
Der historische Augenblick, der uns ein Stück vom üblen Beigeschmack des Barbarentums nimmt, war der, als 2014 den Hilfsbedürftigen und Schutzsuchenden an Deutschlands Grenzen die Arme geöffnet wurden. Nach der generösen Geste, die historisch notwendig war, Verfolgten und Flüchtenden vor Diktatur und Bürgerkrieg die Grenzen Deutschlands zu öffnen, zogen sich die kleinbürgerlichen Geister und moralisch Anspruchslosen vom rechten Rand der Gesellschaft in Wagenburgen zurück. Die Partei, deren Programm im Wesentlichen aus der Parole »Ausländer raus« besteht, stieg in der Wählergunst auf befremdliche Höhe und radikalisierte sich.
Im Herbst 2023 rotteten sich national-konservative Reaktionäre mit Neofaschisten zusammen, um in geheimem Palaver den Masterplan auszuhecken, der uns als »Wannsee-Konferenz 2.0« oder »Potsdamer Treffen« bekannt wurde.
Nach der Vertreibung aller Migranten, auch der längst erfolgreich Eingebürgerten, sollte Deutschland nach der Parole »Blut und Boden« zum völkischen Nationalstaat, zur spießigen Idylle des Selbstgenügens zurückgeführt werden.
Die Vorbehalte gegen Einwanderer, die als Asylsuchende, als Exilanten, auf der Flucht vor Verfolgung, Krieg oder existenzbedrohender Not, ins Land kommen, haben aber eine lange Tradition. Die Argumente, mit denen die Nation glorifiziert und die völkische Ideologie beschworen wird, entsprechen längst nicht mehr der Logik der Zeit.
Dass Deutschland ein Glied Europas ist, dass es ohne Zuwanderung ökonomisch und sozial veröden würde, betonen zwischenzeitlich selbst auch konservative Funktionäre der Wirtschaft, Manager und Industrielle.
Die Renaissance extremer rechter Ideologie setzt das Vergessen oder Verleugnen der Geschichte des NS voraus. Deren Bilanz enthält mehr als 50 Millionen Menschenleben, die durch Staatsverbrechen, Krieg, Flucht und Vertreibung vernichtet wurden. Nationalistischer Größenwahn führte außerdem zum Verlust der Hälfte deutschen Staatsgebiets. Aus der Geschichte wäre zu lernen. Zumindest, warum das politische Taktieren im Januar 2025 ein Tabubruch war.
Hitler war nicht durch Wahl, aber auch nicht durch die viel behauptete revolutionäre »Machtergreifung« Reichskanzler geworden. Die Tür geöffnet hatten ihm konservative Feinde der Demokratie. Franz von Papen, erfolgreich als Herrenreiter, aber gescheitert als Diplomat, Politiker und selbst Reichskanzler im Jahr 1932, hatte das Staatsoberhaupt, den senilen Hindenburg, überredet, Hitler zum Präsidialkanzler zu ernennen.
Im Amt wollten sie ihn zähmen – den Hitler. Für ihre eigenen Ziele wollten sie ihn einspannen und dann abservieren, so prahlten sie.
Der Steigbügelhalter Papen gab den Vizekanzler, der Medien-Zar Hugenberg von der DNVP, der Bankier Schacht und weitere Konservative hatten die Mehrheit in der ersten Hitlerregierung zwischen dem 30. Januar und der letzten Reichstagswahl im März 1933. Sie hatten den frommen Wahn, Hitler durch Zusammenarbeit zähmen und für die eigenen Ziele benutzen zu können, um die Demokratie in ein autoritären Staatsgebilde mutieren zu lassen.
Zur absoluten Macht als Diktator verhalfen Hitler die bürgerlichen Parteien der Mitte. Hitler hatte ein „Ermächtigungsgesetz“ gefordert, das am 23. März 1933, dass nach dem Reichstagsbrand auf der Tagesordnung des Parlaments stand. Nach der noch geltenden Verfassung war eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments erforderlich.
Die 81 Abgeordneten der KPD konnten schon nicht mehr teilnehmen, waren ermordet, verhaftet oder auf der Flucht. 26 Sozialdemokraten waren ebenfalls verhaftet oder auf der Flucht.
Mit der Jagd auf seine politischen Gegner, sie willkürlichen Verhaftungen, Morde auszusetzen, erhoffte Hitler sich während des Wahlkampfs, seine politischen Gegner so zu schwächen, dass er bei der Reichstagswahl am 5. März die absolute Mehrheit erhält. Doch es reichte nur für knapp 43 Prozent der Stimmen, die Mehrheit hat die NSDAP verfehlt.
Mit den Stimmen des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei – der beiden Vorgängerparteien von CDU und CSU wurde das »Ermächtigungsgesetz« dennoch beschlossen. Denn der Zentrums-Vorsitzende, Prälat Ludwig Kaas, glaubte, auch eine Weigerung des Zentrums ändere nichts an den Machtverhältnissen und mit der Zustimmung ließen sich wenigstens kirchliche und religiöse Belange sichern.
Um »Schlimmeres zu verhüten« und um ihr Verhältnis zur NSDAP zu verbessern, lieferten sich die katholischen Abgeordneten, die zuvor die Nazis noch bekämpft hatten, den faschistischen Forderungen aus, um wenig später erkennen zu müssen, dass deren im Gegenzug abgegebene Versprechungen nichts wert waren.
Auch die Liberalen stellten »im Interesse von Volk und Vaterland und in der Erwartung einer gesetzmäßigen Entwicklung« ihre »ernsten Bedenken« zurück, stimmten zu.
Der Diktatur Hitlers standen nur die 94 Stimmen der SPD entgegen. Das Parlament schaffte sich mit dem Ermächtigungsgesetz selber ab.
Das Zähmungskonzept der Konservativen war innerhalb kürzester Zeit Makulatur, die Illusion der konservativen zerstoben, Hitler und die NSDAP für die Errichtung eines autoritären Staats nach Papens und Hugenbergs Vorstellungen einspannen zu können. Am Tabubruch das 23. März 1933 ging die Demokratie in Deutschland das erste Mal zugrunde.
Wer dazu genaueres erfahren will, ist gerne eingeladen, am So., den 30. März ab 14:00 Uhr an der öffentlichen Führung zum »Weg der Erinnerung« teilzunehmen. Treffpunkt: Kulturzentrum Franzis.
Ich danke für die Aufmerksamkeit!
Poliitk auf der Straße: »Wie wollen wir unsere Demokratie gestalten?« • Videoaufzeichnung von hessencam (30:36 Min.)
Poliitk auf der Straße: »Wie wollen wir unsere Demokratie gestalten?« • Videoaufzeichnung von hessencam (30:36 Min.)
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