»Die im Dunkeln, sieht man nicht«
Tafelenthüllung zu Ehren von Heinrich Mootz

Trotz Eiseskälte versammelten sich am Samstagnachmittag rund 60 Menschen in den engen Altstadtgassen zwischen der Rosen- und Scheunengasse, darunter der Oberbürgermeister Manfred Wagner, Klaus Petri vom Magistrat, Stadtverordnete, Mitglieder von Wetzlar erinnert und vor allem Menschen aus dem Familienkreis von Heinrich Mootz, zu dessen Ehren eine Informationstafel am Haus Rosengasse 11 feierlich enthüllt wurde. Der Malermeister Heinrich Mootz lebte und arbeitete dort und engagierte sich in seinem letzten Lebensjahrzehnt in den 1930er Jahren gegen den völkischen Zeitgeist. »Das war mutig und ehrenhaft« merkte der Vorsitzende von Wetzlar erinnert, Ernst Richter, bei der Begrüßung der Zusammengekommen an. »Die Tafeln ermöglichen sind ein Gedenken im Alltag«, sagte OB Manfred Wagner.

In den nachfolgenden Aufklappmenüs finden Sie mit einem Klick eine Bildergalerie, einen Bericht zur Veranstaltung, die Statements der Tafelstifter, Informationen zu Heinrich Mootz

Die Bilder wurden gestiftet von Manfred Schiebel, Kerstin Becher und Michaela Roscher @ Wetzlar erinnert e.V.

»Die im Dunkeln, sieht man nicht«
Tafelenthüllung zu Ehren von Heinrich Mootz

Von Irmtrude Richter
Trotz Eiseskälte versammelten sich am Samstagnachmittag rund 60 Menschen in den engen Altstadtgassen zwischen der Rosen- und Scheunengasse, darunter der Oberbürgermeister Manfred Wagner, Klaus Petri vom Magistrat, Stadtverordnete, Mitglieder von Wetzlar erinnert und vor allem Menschen aus dem Familienkreis von Heinrich Mootz, zu dessen Ehre eine Informationstafel am Haus Rosengasse 11 feierlich enthüllt wurde. Der Malermeister Heinrich Mootz lebte und arbeitete dort und engagierte sich in seinem letzten Lebensjahrzehnt in den 1930er Jahren gegen den völkischen Zeitgeist. »Das war mutig und ehrenhaft« merkte der Vorsitzende von Wetzlar erinnert, Ernst Richter, bei der Begrüßung der Zusammengekommen an.

»Der Widerstand aus den Reihen der Arbeiterbewegung gegen das faschistische Regime spielte in der öffentlichen Meinung viel zu lange eine unbedeutende Rolle, gemäß Bertolt Brechts Moritat aus der Dreigroschenoper: ›Man sieht nur die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.‹ « so Richter.

Richter schilderte, wie Heinrich Mootz als erster Wetzlarer Bürger mit Hilfe des von Hitler per Notverordnung eingeführte Schnellgerichtsverfahrens am 01.03.1933 verhaftet und zu einer Woche Gefängnis verurteilt wurde. Man legte ihm zur Last, »am Vortag einen Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk mit Wasserfarbe überpinselt und damit unkenntlich gemacht zu haben«. So schrieb das der »Wetzlarer Anzeiger« am 3. März 1933, als wäre es das Normalste in der Welt, in solchen »Hauruck-Verfahren« Strafen zu verhängen.

Im Mai 1935 wurde Mootz erneut verhaftet und wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Doch ein halbes Jahr nach der Verbüßung seiner Haftzeit wurde er erneut festgenommen. Die Anklageschrift legte ihm nun zur Last, »fortgesetzt handelnd, die Verfassung des Reiches zu ändern, durch Werbung für den Kommunismus vorbereitet zu haben«.

Die Haftbedingungen im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden überlebte Mootz nicht, er starb dort unter ungeklärten Bedingungen am 05.02.1937. Sein Sohn Heinrich Mootz Junior und sein Schwiegersohn Alfred Roscher wurden in »Sippenhaftung« genommen und 1935 in das KZ Esterwegen verbracht. Von Mai bis November 1935 waren beide dort inhaftiert.

Oberbürger Manfred Wagner dankte dem Verein Wetzlar erinnert dafür, mit seinem Engagement auch den Arbeiterwiderstand in Wetzlar zu thematisieren. Es sei nun die 15. Tafel von denen einmal 21 in der ganzen Stadt auf den NS-Unrechtsstaat und die damit verbunden Verbrechen aufmerksam machen sollen. »Dieses Unrecht fand nicht irgendwo in Deutschland, sondern konkret hier in Wetzlar an jeder Straßenecke, in jeder Fabrik oder Schule statt«. Die Gedenktafeln mitten in Wetzlar ermöglichten ein »Erinnern im Alltag«, so der Oberbürgermeister, Durch das das Bundesprogramm »Demokratie leben!« wird das Projekt finanziell erheblich gefördert. Mit Hilfe eines QR-Codes könne man eine Informationsseite aufrufen und viel über die jüngere Stadtgeschichte Wetzlars erfahren.

Die Urenkelin Brunhilde Kittelmann zeigte sich bewegt, dass ihr Urgroßvater, aber auch der Großvater durch die Tafel geehrt würde und freut sich darüber, dass »so viele da sind.«

Siegmar Roscher, Ururenkel von Mootz, hatte für lange Zeit von Heinrich Mootz gewusst, dass er Malermeister war. Aber dass er auch ein Antifaschist war, sei nicht zur Sprache gekommen.

Umrahmt wurde die Veranstaltung mit Liedern der Arbeiterbewegung, die Erich Schaffner, begleitet am Piano von Georg Klemp, vortrug. Abschließend enthüllten OB Wagner, Brunhilde Kittelmann, Siegmar Roscher und Irmi Richter (Wetzlar erinnert) die Gedenktafel.

Es gilt das gesprochene Wort


Teil 1: Eröffnung und Begrüßung zur Tafelenthüllung für Heinrich Mootz am 17.12.2022

Das war das Bundeslied.
Lieber Erich Schaffner, lieber Georg Klemp, ich danke Euch dafür, dass Ihr trotz der Eiseskälte bereit seid, dieser Gedenktafelenthüllung einen authentischen, kulturellen Rahmen mit Liedern der deutschen Arbeiterbewegung zu geben.

Und so frostig wie das Klima heute ist das Thema, um das es geht, auch:

  • Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
  • meine Damen und Herrn Stadtverordnete und Magistratsmitglieder,
  • liebe Angehörige der Familien Roscher und Kittelmann,
  • liebe Freundinnen und Freunde von WETZLAR ERINNERT e.V.

Wir begehen heute die Enthüllung der 15. Tafel im Rahmen des Projekts »Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar«. Jede der Tafelenthüllungen seit dem 2. Mai 2018 war auf ihre Art eine einzigartige Veranstaltung. Und diese heutige wird es auf ihre Art auch sein.

Zurück zum Bundeslied.
Georg Herwegh hatte den Text für dieses Lied 1863 für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein (ADAV) geschrieben. Der ADAV hat seit 1869 in Konkurrenz zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei gestanden, bis sich beide Organisationen auf dem Gothaer Fusionsparteitag zur SPD vereinten. Das diese Vereinigung möglich wurde, hatte viel mit August Bebel zu tun, der seine Kindheit und Lehre zum Drechsler in Wetzlar erlebte.

Diese Einigung zur SPD – das wissen wir heute – hielt leider nur bis zur Bewilligung der Kriegskredite am Anfang des Ersten Weltkriegs und brach endgültig an den Ereignissen der Novemberrevolution am Ende des Ersten Weltkriegs. Diese erneute Spaltung der Arbeiterbewegung hat in der Weimarer Zeit immer tiefere Risse bekommen und trägt u.a. auch eine Verantwortung dafür, was 1933 und danach geschah.

Drei Jahre, nachdem Herwegh das Bundeslied geschrieben hatte, kam – ebenfalls in Wetzlar – Heinrich Mootz zur Welt, verbrachte hier seine Kindheit und machte eine Malerlehre.

Über Heinrich Mootz ist nicht viel bekannt, aber die Ehrung mit dieser Tafel hat er auf jeden Fall verdient.

Denn er engagierte sich gegen den völkischen Zeitgeist in seinem letzten Lebensjahrzehnt in den 1930er Jahren. Da war er selbst schon über 65 Jahre alt.

Das war mutig und ehrenhaft. Und es ist ihm leider nie gedankt worden dafür, weder in der eigenen Familie, noch in der Gesellschaft des Nachkriegsdeutschlands. Ich zitiere:

»Man sieht nur die im Lichte.
Die im Dunkeln sieht man nicht.«

Diese Lebensweisheit aus Bertolt Brechts Mackie Messer-Moritat in der »Dreigroschenoper« gilt auch für den bundesdeutschen Umgang mit Gegnern des Hitlerfaschismus.

Während der von ranghohen Militärs ausgehende Attentats- und Putschversuch vom 20. Juli 1944 jedem Schulkind bekannt gemacht wird, spielt der Widerstand aus den Reihen der Arbeiterbewegung sehr lange – viel zu lange eine untergeordnete Rolle.

Das gilt nicht nur für Heinrich Mootz, sondern auch für seine Genossen Jakob Müller oder Hermann Ulm. Und selbstverständlich auch für Wetzlarer Sozialdemokraten, wie Fritz Walther, Willy Knothe und Lina Muders oder für die Gewerkschafter Paul Szymkowiak und Hermann Schaub.

Mit den rühmlichen Ausnahmen von Ernst Leitz und Elsie Kühn-Leitz waren es vor allem die kleinen, die sogenannten »einfachen« Leute, die im Dritten Reich reichsweit und in Wetzlar lokal den Widerstand gegen die Nazis leisteten.

Allerdings als Teil von Organisationen und Parteien, die untereinander zutiefst zerstritten waren. Die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer Einheitsfront – die kam zu spät.

WETZLAR ERINNERT e.V. hat in seiner letzten Mitgliederversammlung beschlossen, den in Wetzlar geleisteten politischen Widerstand zu dokumentieren. Keine leichte Aufgabe, wenn man weiß, dass nur Fragmente der einzelnen Akteure und ihrer Aktionen bekannt bzw. dokumentiert sind.

Dennoch: Für die Hintergrundinformationsseite zu dieser Tafel konnten wir die Informationen aus verschiedenen Quellen miteinander verknüpfen. Und das hat uns geholfen, das Bild über Heinrich Mootz, aber auch über seinen Sohn Heinrich Mootz jun., sowie seinen Schwiegersohn Alfred Roscher besser abrunden zu können. Und vielleicht gelingt uns das mit der Verknüpfung der bekannten Informationen von anderen Widerständlern mit denen schon genannten drei Personen.

Was wissen wir über Heinrich Mootz:

  • geboren wurde er in Wetzlar am 31.07.1868
  • er lernt den Beruf des Malers und macht seinen Meisterabschluss; wann alles genau geschah, ist unbekannt.
  • Er heiratet 1865 und bringt mit seiner Frau Margret 9 Kinder zur Welt
  • Das Hochzeitsfoto wurde in Dillenburg gemacht.
    Ob die junge Familie Mootz zu dieser Zeit auch in Dillenburg wohnte, ist nicht bekannt.
  • Er wandert vor 1900 mit seiner Frau und den ältesten Kindern nach Amerika aus. Die Beweggründe und das genaue Datum für die Emigration sind unbekannt.
  • Er betreibt in Chicago einen Kolonialwarenladen und ernährt damit seine Familie gut.
  • Aus Erzählungen in der Familie ist bekannt, dass seine Frau in den USA nicht heimisch wird. Sie leidet unter ihrem Heimweh und wird krank.
  • Dies scheint der Beweggrund dafür zu sein, dass Mootz mit seiner Frau wieder zurück nach Deutschland kommt. Und das muss auf jeden Fall vor 1923 gewesen sein. Zwei seiner älteren Kinder bleiben in Chicago, Nachfolgefamilien existieren bis heute in den USA.
  • Nach der Rückkehr in Deutschland bezieht die Familie das Wohnhaus in der Rosengasse Nr. 11, welches dann auch Sitz seines Malergeschäftes wird.
  • Unbekannt ist, wann und wo sich Heinrich Mootz der KPD anschließt.
  • Seine Frau erholt sich nach der Rückkehr in Deutschland nicht von ihrer Krankheit und verstarb am 08.02.1933 in Wetzlar.
  • Für ihn selbst beginnt der Widerstand gegen das neue Regime, aber dazu später.

Moderation vor den Statements der Tafelstifter:
Wir hören nun das »Lied vom SA-Mann« von Bert Brecht und vertont von Hans Eisler

Unmittelbar danach ergreift Oberbürgermeister Manfred Wagner für den Magistrat das Wort.

Für die Nachfahren von Heinrich Mootz sprechen dann

  • seine Urenkelin Brunhilde Kittelmann und
  • sein Urgroßenkel Siegmar Roscher.
[ … ]

Wir hören nun von Erich Schaffner das »Einheitsfrontlied«


Der Antifaschistische Widerstand von Heinrich Mootz
Ich werde danach dann zum Widerstand von Heinrich Mootz und seiner Verfolgung durch die Nazis das Wort ergreifen.

Meine Damen und Herrn,
liebe Freundinnen und Freunde,

Im nächsten Jahr jähren sich die Ereignisse der Machtübertragung an die Faschisten zum 90. Mal:

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler vom Reichspräsidenten von Hindenburg zum präsidialen Reichskanzler ernannt.

Der Antidemokrat von Hindenburg kommt damit der Aufforderung eines Dutzend der mächtigsten Männer aus der Industrie, den Banken, der Medien und dem Militär nach, die die Reichstagswahlergebnisse vom 06.11.1932 als einen »Linksruck« interpretieren und den Reichspräsidenten auffordern, den Führer »der größten nationalen Bewegung Deutschlands« zum Reichskanzler zu ernennen.

Diese Kompetenz hatte der Reichspräsident, wenn die Wahlergebnisse für den Reichstag keine Möglichkeit einer Mehrheitsbildung offenlassen.

Diese Präsidialregierungen konnten mit auf drei Monate befristeten Notverordnungen regieren, statt sich für Gesetze Mehrheiten im Parlament suchen zu müssen. Vorausgesetzt, der Reichspräsident zeichnet diese Notverordnungen ab.

Hitler besteht auf Neuwahlen, die für den 05.03.1933 festgesetzt. Gleichzeitig setzt seine Präsidialregierung mit einer Vielzahl von Notverordnungen die demokratischen Grundrechte faktisch außer Kraft.

Einer dieser Notverordnungen ist die Einführung von Schnellgerichtsverfahren, um die Kritiker des neuen Regimes aus Faschisten und ultrarechten Nationalisten aburteilen zu können.

Einer der ersten, den diese »Gerichtsreform« in Wetzlar trifft, ist Heinrich Mootz: Er hatte mit mehreren Personen den Aufruf der »Reichsregierung an das deutsche Volk« vom 01.02.1933 mit Wasserfarbe durch Überpinseln unkenntlich gemacht.

Und so ist im Wetzlarer Anzeiger vom 3. März 1933 zu lesen:

»Aus Erbitterung
das erste Schnellgerichtsverfahren in Wetzlar

Den Schnellrichter vorgeführt wurde gestern der Anstreicher-Meister Heinrich Mootz von Wetzlar. Mootz war von mehreren Personen am Vorabend gegen 10:00 Uhr dabei getroffen worden, wie er mit Wasserfarbe den Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk vom 1. Februar 1933 durch Überpinseln unkenntlich machte.

Er gab die Tat unumwunden zu, bestritt dagegen, der kommunistischen Partei anzugehören. Über den Grund zu seinem Tun befragt, erklärte er, aus Erbitterung gehandelt zu haben.

Seine Frau habe im Jahre 1923 wegen ihr zur Last gelegte Plünderungen unschuldig in Untersuchungshaft gesessen, was zur was zur Folge hatte, dass Sie seit dieser Zeit infolge der damals ausgestandenen Aufregungen kränkelte und nach kurzer Zeit starb.

Entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft verhängt das Gericht wegen Vergehens gegen Paragraf 134 Strafgesetzbuch gegen den Angeklagten eine Woche Gefängnis.«
(WAZ v. 03.03.1933).

Am 5. Mai 1935 wurde Mootz wieder verhaftet und mit 15 anderen Personen wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« im Oktober der Prozess gemacht. Mootz wird im Alter von 67 Jahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Mit ihm wird Jakob Müller wegen Hochverrat zu 4 1/2 Jahren Haft verurteilt. Müller überlebte die jahrelange Haft und das KZ-Buchenwald, von wo er am 14.05.1945 nach Wetzlar entlassen wurde.

Sein Sohn Heinrich Mootz jun. und sein Schwiegersohn Alfred Roscher werden ebenfalls verhaftet und ohne Gerichtsverfahren in das Konzentrationslager Esterwegen verschleppt.

Heinrich Mootz sen. kam am 2. April 1936 nach Verbüßung seiner Haftzeit nach Wetzlar zurück und wurde ein halbes Jahr darauf erneut festgenommen.

Die Anklageschrift legte ihm zur Last, »fortgesetzt handelnd, das hochverräterische Unternehmen, die Verfassung des Reiches zu ändern, durch Werbung für den Kommunismus vorbereitet zu haben«.

Konkret bestand sein »Verbrechen« darin, zwei Arbeitern, die an einem Neubau in Wetzlar arbeiteten und bei ihm wohnten, u.a. gesagt zu haben:

»In Deutschland seien sie mit Lug und Trug an die Regierung gekommen […]. Der Kommunismus werde sich durchsetzen, weil er die Wahrheit sei, obschon er unterdrückt werde. Wenn sie alle so gekämpft hätten wie ich, sei es in Deutschland heute anders.«

Die Bauarbeiter zogen daraufhin bei ihrem Vermieter aus und denunzierten ihn bei den Behörden.

Die Haftbedingungen im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden überlebte er nicht. Er verstarb dort am 05.02.1937. Die genauen Todesumstände blieben unklar…

Alfred Roscher – der Schwiegersohn von Heinrich Mootz
erzählte der Historikerin Marianne Peter in den 1980er Jahren in einem Interview:

»Ich bin 1935 im KZ gewesen, obwohl ich selbständig war und auf eine ganz dämliche Weise verhaftet wurde.

Ich hatte gar nichts mit der Sache zu tun. (Er meint damit Mootz und die Beschuldigungen in der Anklage) Ich hatte ein Motorrad mit Beiwagen, habe von Oberbiel jemand gefahren, das war sogar ein Nazi, dessen Vater nannten sie in Niedergirmes »Goebbels«. Den hatte ich zufällig vom Geschäft aus heimgefahren.

Als ich zurückkam, wollte ich meinem Schwiegervater die Miete bezahlen. Es hieß, da dürfte ich nicht rein. Das war der Hauptgrund, dass ich sieben Monate im KZ [Esterwegen] war. Esterwegen am Jüngling.

Mein Schwager Heinrich Mootz (junior) – Anstreicher wie mein Schwiegervater – war auch bei seinem Vater und wollte sich seine Arbeitsanweisungen für den Tag holen.

Er ist auch mit mir am gleichen Tag weggekommen in das Lager. Sieben Monate waren wir dort. Nach dem Krieg habe ich den Ausweis gekriegt, dass ich 1935 sieben Monate im Lager war, von Mai bis November.«

Soweit der Originalton von Alfred Roscher. Er schafft es tatsächlich mit viel Raffinesse, dass er und sein Schwager aus dem KZ entlassen werden und beide ganz legal nach Wetzlar zurückkehren können.

Wie er das schaffte, können Sie gerne auf der Hintergrundinformationsseite zu der Tafel – die wir gleich enthüllen werden – nachlesen.

Anrede,
ich möchte Sie noch darauf hinweisen, dass nach dieser Veranstaltung am Grab von Heinrich Mootz ein Kranz niedergelegt wird.

Die Initiative hierzu ergriffen Die Linke und DKP, man trifft sich am Eingang zum alten Friedhof an der Bergstraße um 16:15 Uhr. Wer rechtzeitig da ist, findet dann das Grab auch leicht.

Wir möchten nun am Ende dieser Veranstaltung die Tafel enthüllen und begeben uns gemeinsam um die Hausecke herum an die Hausfassade in der Scheunenstraße.

Bitte achten Sie dabei darauf, dass dort des öfteren Autos um die Ecke biegen.

Wir werden aber für die Zeit der Enthüllung kurz die Straße absperren.

Ich bitte dann

  • Manfred Wagner
  • Brunhilde Kittelmann
  • Siegmar Roscher und
  • Irmtrude Richter

und unsere beiden Ordner zur Straßensperrung an die Spitze unseres Gangs um die Ecke zu gehen und mit dem Abzug des roten Tuchs zu warten, bis alle Teilnehmer*innen folgen und die Pressvertreter ihre Kameras zücken konnten.


Ihnen allen danke ich für Ihr Kommen und wünsche erholsame Festtage und einen guten Rutsch!

Ansprache des Oberbürgermeisters
zur Enthüllung der Gedenktafel zu Ehren von Heinrich Mootz am 17. Dezember 2022

Es gilt das gesprochene Wort 

Anrede

Gestatten Sie mir, dass ich meinen Worten ein Zitat des Philosophen Odo Marquard, der im benachbarten Gießen lehrte, voranstelle:

»Zukunft braucht Herkunft«!

Und in der festen Überzeugung, dass für das Gestalten unserer Zukunft die Kenntnis über unsere Herkunft, über unsere Geschichte unabdingbar ist, bin ich sehr erfreut und zutiefst dankbar, dass es sich der Verein Wetzlar erinnert e.V. mit seinem großartigen und beharrlichem Engagement zur Aufgabe gemacht hat, Fakten zu benennen, Geschehenes zu dokumentieren, nichts zu beschönigen und die Erinnerung wach zu halten, damit sich deutscher Faschismus nicht wiederholt.

Einer der Beiträge des Vereins steht unter der Überschrift »Erinnern im Alltag«.

Und damit sind unter anderem die inzwischen bereits aufgestellten Gedenktafeln angesprochen, denen heute mit der Gedenktafel zu Ehren von Heinrich Mootz eine weitere Tafel hinzugefügt wird.

Insgesamt werden es einmal deutlich mehr als 20 Tafeln in unserer Stadt sein, die gemeinsam mit anderen Stationen, wie zum Beispiel den »Stolpersteinen«, im Alltag zum Erinnern und zur Auseinandersetzung mit den dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte einladen.

Denn der deutsche Faschismus war eben nicht ein Ereignis, das »Anderswo« stattgefunden hat, mit dem man im beschaulichen Wetzlar nichts zu tun hatte.

Wie so oft, den Ort »Anderswo«, der uns auch heute in vielen Diskussionen begegnet, den gibt es nicht und den gab es auch in der Zeit des Nationalsozialismus nicht.

Auch hier vor Ort, in unserer kleinen Stadt, wo Menschen sich der Nazi-Ideologie verpflichtet, ermächtigt sahen,

  • ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu schikanieren,
  • Menschen ob ihrer politischen Überzeugung willen zu verfolgen,
  • sie ihrer Menschenrechte zu berauben,
  • Menschen der Zwangsarbeit zu unterwerfen,
  • die Würde von Menschen mit Füßen zu treten, weil sie als Teil unseres vielfältigen menschlichen Daseins nicht der von den Nazis ausgegebenen Norm entsprachen und
  • Menschen, deren Leben als »unwertes Leben« stigmatisiert wurde, zu schädigen und gar bestialisch zu ermorden.

Anrede
Vor wenigen Tagen wurde der ehemalige Generalstaatsanwalt Hessens, Fritz Bauer, der sich u.a. mit den legendären Ausschwitz-Prozessen ein hohes Ansehen erworben hat, posthum mit der Wilhelm Leuschner Medaille, der höchsten Auszeichnung unseres Landes gewürdigt.

Von Fritz Bauer stammt das folgende, in der Nachkriegszeit geprägte Wort:

»Die gewiss aufwühlende, aber entscheidende Lehre unserer Prozesse gebietet aber die Bereitschaft zum eindeutigen Nein gegenüber staatlichem Unrecht.

Die Prozesse verlangen, dass die Menschen auf private und familiäre Vorteile verzichten und auch zu persönlichen Opfern bereit sind, wenn von ihnen gefordert wird, Böses zu tun oder zu tolerieren, mag auch der Staat es sein, der sich zum Anwalt des Bösen macht.«

Heinrich Mootz hat ganz im Sinne dieser von Fritz Bauer artikulierten Überzeugung gelebt und sich gegen ein menschenverachtendes Unrechtsregime.

Er war ein mutiger Mann mit einer klaren Ausrichtung.

1933 mit der Machtübertragung auf die Nationalsozialisten und der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler hatte er den Mut, Aufrufe der damaligen Reichsregierung unkenntlich zu machen, den Propagandabetrieb zu stören.

In der Folge wurde er verhaftet.

1935 wurde er mit 15 weiteren Personen erneut verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

Und 1936 ging man erneut gegen ihn vor, weil man ihn des hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Reichs durch Werbung für den Kommunismus ändern zu wollen, bezichtigte.

1937 starb Heinrich Mootz in der Haft.

Vor wenigen Wochen haben wir eine Gedenktafel für Ernst Leitz II. enthüllt und damit auf die Geschichte des Rettungswiderstandes und das engagierte Handeln eines bedeutenden Wetzlarer Unternehmers aufmerksam gemacht.

Ich bin dem Verein Wetzlar erinnert um Ernst Richter sehr dankbar, dass wir nun auch für Heinrich Mootz und damit für den kommunistischen Widerstand gegen den Faschismus eine Gedenktafel enthüllen können.

Sie ist aber auch zugleich ein Ort, der an Alfred Roscher, den Schwiegersohn von Heinrich Mootz, erinnert. Roscher stand der Sozialdemokratie nahe und wurde 1935 gemeinsam mit seinem Schwager, Heinrich Mootz jun. verhaftet und in das Konzentrationslager Esterwegen verbracht.

Das ist in wenigen Worten ausgedrückt, eine Wetzlarer Familiengeschichte, die Geschichte von Menschen mit Haltung.

Solche Geschichten sind ein Teil unserer Stadtgeschichte, die für viele aber oftmals im Verborgenen bleibt.

Und daher ist es umso wichtiger, durch das Aufstellen dieser Gedenktafel zum einen den Respekt vor Heinrich Mootz, aber auch Alfred Roscher und seinem Schwager, Heinrich Mootz jun. zum Ausdruck zu bringen.

Zum anderen, um gerade in Zeiten wie den jetzigen alles dafür zu tun, die Werte unserer Demokratie zu verteidigen und wehrhaft denen Einhalt zu gebieten, die unsere Grundordnung zerstören wollen.

Die großangelegte Aktion der Sicherheitskräfte gegen die Rechtsterroristen aus dem Reichsbürgermilieu führen uns vor Augen, wie wachsam wir alle Tag für Tag sein müssen, damit wir uns nicht irgendwann in einem Film wiederfinden, der schon einmal gespielt wurde und der ein vernichtendes Ende nahm.

Denn wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir Unterlassen.

Und deswegen unterlassen wir es auch nicht, an die Schicksale derer zu erinnern, die auch in den dunkelsten Stunden unseres Landes Haltung gezeigt haben und die für die heute und die künftig lebenden Generationen Vorbilder sind.

So wie Heinrich Mootz ein Vorbild ist.

Heinrich Mootz
wurde 1868 in Wetzlar geboren und ist mit seiner Frau Margret in den 1890er Jahren in die USA ausgewandert, wo er in Chicago einen Kolonialwarenladen betrieb. Die Gründe der Auswanderung, aber auch die der Rückkehr nach Deutschland, sind nicht bekannt.

Mootz war Malermeister und Mitglied der KPD. Er hatte den Mut, seine ablehnende Haltung gegen die Faschisten zu äußern. Als im Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, war Mootz der erste Wetzlarer, der in einem »Schnellgerichtsverfahren« zu einer Woche Gefängnis verurteilt wurde, weil er den Aufruf der Reichsregierung »an das Deutsche Volk« mit Wasserfarbe unkenntlich gemacht hatte.

Im Mai 1935 wurde Mootz wieder verhaftet und mit 15 anderen Personen wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« im Oktober zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

1936 erneut festgenommen warf man ihm »das hochverräterische Unternehmen, die Verfassung des Reiches zu ändern, durch Werbung für den Kommunismus [ … ]« vor.

Die Haft hat er nicht überlebt. Er starb 1937.

—› Was wissen wir über Heinrich Mootz?

Alfred Roscher, der Schwiegersohn von Heinrich Mootz, engagierte sich ab 1920 in der Wetzlarer SPD, insbesondere in der sozialistischen Jugend. Er wurde aber kein SPD-Mitglied mit der Begründung, dass es ihm zu schlecht ging. »Ich konnte die Mitgliedsbeiträge nicht bezahlen«. Denn er erlernte in Gießen den Friseurberuf und arbeitete für kurze Zeit »beim Ulm am Schillerplatz als Friseurgehilfe«. Unzufrieden über die dortigen Arbeitsbedingungen machte er sich selbstständig.

1935 wird Roscher mit seinem Schwager in das KZ Esterwegen eingeliefert, wo er sieben Monate einsaß. Er führt das darauf zurück, dass er seinem Schwiegervater zum Zeitpunkt von dessen erneuter Verhaftung seine Miete zahlen wollte und sein Schwager – Anstreicher wie Mootz – sich dort zeitgleich »seine Arbeitsanweisungen für den Tag holen« wollte. In einem von Marianne Peter mit ihm geführten Interview sagte er: »Der Schwiegervater war Kommunist und schon wirst Du mit verhaftet.«

Im KZ Esterwegen wird er zum Torfstechen abkommandiert, muss aber auch den SS-Männern die Haare schneiden. Carl von Ossietzky wird sein Leidensgenosse im KZ.

—› Was wissen wir vom Schwiegersohn Alfred Roscher?

Projekt Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar
Dies ist die 15. von insgesamt 24 geplanten Tafel, die über Ereignisse aus der NS-Zeit informieren sollen. Die 90 x 70 cm großen Tafeln sollen auf öffentlichem bzw. öffentlich begehbarem Gelände in der Stadt Wetzlar an Ereignisse aus der Zeit des deutschen Faschismus erinnern.

Sie werden mit ihrer farblichen Gestaltung, ihrer Platzierung und Aufmachung als Blickfang wirken und Passanten ermöglichen, in kürzester Zeit beim Vorbeigehen das jeweilige Ereignis aus der NS-Zeit zu erfassen. Durch einen QR-Code erhalten Interessierte Hintergrundinformationen zur jeweiligen Tafel.