Ein vergessener Wetzlarer Bub
Wetzlar, den 06. September 2024
Mehr als ein Jahrhundert ist August Bebel schon tot und noch immer sind viele seiner Themen, wie Demokratie, soziale Gerechtigkeit sowie die Gleichstellung der Geschlechter, tagesaktuell. Unter Bebel, Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie, wurde die SPD im Deutschen Kaiserreich zur größten Arbeiterpartei Europas. Anlässlich seines 111. Todestags organisierte der DGB-Kreisverband Lahn-Dill am 3. September einen Thementag zu seinem Leben und Wirken in Wetzlar.
Der Thementag startete mit einer ausgebuchten Stadtführung. Die Stadtführerin Irmgard Mende nahm die knapp 50 Teilnehmenden mit auf die Spuren durch Bebels Kindheit und Jugendzeit in Wetzlar. Er lebte von 1846 bis 1858 zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern in sehr ärmlichen Verhältnissen am Brodschirm 2. Seine Mutter starb als Bebel 13 Jahre alt war, zuvor waren sein Vater und Stiefvater verstorben. Mit Unterstützung der Winkler’schen Waisenstiftung konnte er und sein Bruder die Wetzlarer Armenschule besuchen.
Aufgrund der Verhältnisse konnte der engagierte Schüler sein Wunschstudium des »Bergfachs« nicht antreten. Stattdessen machte er eine Drechslerausbildung in einem Betrieb in der Krämerstraße. Die Führung endete am August Bebel-»Plätzchen«, wie ihn der Ehrengast Dr. Gisela Notz liebevoll nannte.
Am Abend las die Berliner Sozialwissenschaftlerin und Historikerin Gisela Notz dann vor 60 Gästen in der Stadtbibliothek aus ihrem 2023 veröffentlichten Buch „August Bebel oder: Der revolutionäre Sozialdemokrat“. Neben dem Leben und Wirken skizzierte Notz die heutige Bedeutung und Relevanz Bebels – auch über Deutschlands Grenzen hinaus. Er war zeitlebens ein leidenschaftlicher Kämpfer für Demokratie und Gleichberechtigung, gegen Militarismus sowie jede Form von Ausbeutung, Rassismus und Antisemitismus. Bebel forderte in seinen Reden und im Reichstag bereits Ende des 19. Jahrhunderts vehement die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, was für ihn zwingend auch das Wahlrecht für Frauen einschloss.
Bebel beschrieb in seinen Schriften immer wieder, wie sehr seine Kindheit und Jugendzeit in Wetzlar und seine Mutter prägend waren für sein Leben und sein politisches Engagement. Ein menschenwürdiges und gutes Leben für alle, das war zeitlebens sein Ziel. Sein Kampf für soziale Gerechtigkeit speiste sich auch aus seinem Aufwachsen in bittere Armut. In seinen Worten beschrieb er eine Sehnsucht in seinen Kindheitstagen:
»Auch ich habe als Knabe gehungert und es viele Jahre als mein Ideal betrachtet, mich einmal am Butterbrot sattessen zu können.«
Wegen seinen fortschrittlichen Überzeugungen saß August Bebel häufig im Gefängnis.
An seiner Seite kämpfte Julie Bebel, die einen maßgeblichen Anteil am Aufstieg und Erfolg sowie der Organisation der SPD hatte – gerade wenn ihr Gatte im Gefängnis saß. Das Ehepaar hat sich in Leipzig kennengelernt und geheiratet. Sie hatten eine gemeinsame Tochter, Frieda. Bereits 1911 warnte Bebel im Reichstag vor Kriegstreiberei und Aufrüstung des Kaiserreichs und den möglichen Folgen für die arbeitenden Menschen: Hunger, Arbeitslosigkeit und Tod. Leider sollte er recht behalten. Er starb am 13. August 1913, ein Jahr vor Beginn des 1. Weltkrieges, den er so gehofft hatte zu verhindern.
12 Jahre August Bebel in Wetzlar wären es wert, zu mehr Aufmerksamkeit in der Stadtgeschichte zu gelangen. Wetzlar – nicht nur Goethe-, sondern auch Bebelstadt, warum nicht! Sein Wirken für Demokratie kann heute noch Vorbild und Ansporn sein. Eine Lesung vor Schülern der August-Bebel-Gesamtschule rundete die Veranstaltungsreihe ab und unterstrich die Forderung Bebels, nach Bildung für alle als Voraussetzung für gleichberechtigte Partizipation und eine demokratische Gesellschaft.