Die Präsentation von drei Tafeln zu den Ereignissen der NS-Zeit:
1. Zwangsarbeiterlager der Fa. Leitz auf der Lahninsel
2. Leitzbaracken für italienische Fremdarbeiter vor dem Franzis
3. NS-Rüstungsproduktion im Hausertorstollen

Am Fr., den 10. März trafen sich rund 80 Menschen, um gemeinsam mit den Tafelstiftern von drei Tafeln an der Enthüllungszermonie teilzunehmen. Die Veranstaltung begann auf der Lahninsel, wo Vertreter*innen der Tafelstifter die erste Tafel enthüllten. Danach erfolgte eine zweite Enthüllung in der Franziskanerstraße und eine Veranstaltung im Franzis, auf der die Leiterin des Dokumentationszentrums für NS-Zwangsarbeit (Berlin-Schöneweide), Dr. Christine Glauning, zum reichsweiten Ausmaß der Zwangsarbeit in der NS-Zeit sprach.

Im nachfolgenden Bereich finden Sie Programmdetails, Informationen zu den Akteuren und zu den Gedenktafeln.

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Trotz strömenden Regens kamen 80 Menschen
Ein Bericht von der Tafelenthüllungsveranstaltung am Fr., 10. März 2023

von Klaus Petri
Mit der Enthüllung von drei weiteren Gedenktafeln sind jetzt 15 der insgesamt 25 geplanten plakativen Hinweise zur NS-Vergangenheit in Wetzlar installiert. Über QR-Codes können schnell und einfach Hintergrundinformationen im Internet abgerufen werden. Das Sportplatzgelände auf der Lahninsel war von 1942 bis 1945 Standort von Barackenlagern für Zwangsarbeiter, in den mittlerweile denkmalgeschützten »Leitz-Baracken« (heute: Kulturzentrum FRANZIS) waren ab 1941 italienische Fremdarbeiter und in der Rüstungsfabrikation beschäftigte »Kriegsmaiden« untergebracht. Und unter den Bedingungen des »totalen Krieges« wurde auf Geheiß des NS-Wirtschaftsministerium ein Teil der Rüstungsproduktion der Leitz-Werke in den Hausertorstollen verlegt.

Dr. Oliver Nass ist Vorsitzender der Ernst Leitz Stiftung und Urenkel des Fabrikanten Ernst Leitz II sowie Enkel von Elsie Kühn-Leitz. Er plädierte in seiner Ansprache für eine nuancierte Bewertung der mit dem Namen Leitz verbundenen Firmen- und Familiengeschichte. Einerseits seien seine Wetzlarer Ahnen Repräsentanten des »Rettungswiderstandes« (Fluchthilfe und anderweitige Unterstützung von Menschen jüdischen Glaubens) gewesen und für ihren persönlichen Mut geehrt worden. Andererseits seien laut Meldezetteln 989 Männer und Frauen unfreiwillig bei Leitz tätig gewesen, die man – wie Millionen andere auch – aus ihrer Heimat verschleppt und zur Zwangsarbeit in der Kriegsproduktion gezwungen habe.

Seine Großmutter sei 1942 zur Unterlagerführerin für die »Ostarbeiterinnen« ernannt worden und habe »alles Mögliche für die Mädchen getan, um ihnen neben der vielen Arbeit in der Fabrik auch noch einige frohe abwechslungsreiche Stunden« zu verschaffen. »Es ist nicht alles nur schwarz oder nur weiß«, bilanzierte der Leitz-Spross die Rolle der Industriellenfamilie in Kriegsplanung und Zwangsarbeit.

Wetzlars OB Manfred Wagner zitierte in seiner Ansprache eingangs den Ex-Bundespräsidenten Roman Herzog: »Wer Unfreiheit und Willkür kennt, weiß Recht und Freiheit zu schätzen«. Wagner nannte die Zwangsarbeit im Deutschen Reich ein »vor aller Augen begangenes Verbrechen«. Ein »perfides System der Unfreiheit und Willkür« habe ungezählte Kriegsgefangene und Zivilisten dazu gezwungen, »die Wirtschaft und Rüstungsindustrie ihrer eigenen Unterdrücker am Laufen zu halten«. Das erinnernde Gedenken sei »Arbeit an der Zukunft«. Das Stadtoberhaupt bedankte sich bei den Tafelstiftern sowie dem Verein »Wetzlar erinnert« für dessen »unermüdliches Engagement«.

Knud Müller ging als Sprecher der Firma Leica Microsystems auf das Schicksal des als Siebzehnjähriger verschleppten Polen Tomasz Kiryllow ein, dessen Wetzlar-Besuch im Jahr 1987 durch Video-Aufnahmen dokumentiert wurde. Darin singt Kiryllow, der mehrere europäische Sprachen beherrschte, das russische Lied »Man wird mich begraben und die Meinen werden nicht erfahren, wo mein Grab ist«. Stefan Daniel lobte als Vertreter der Firma Leica Camera AG den mit dem Namen Leitz verbundenen »selbstlosen Einsatz für Verfolgte des Nazi-Regimes«, der bis heute die Unternehmenskultur der Firma präge und antreibe. Anerkennung verdiene das Leitz-Unternehmen auch aufgrund seiner Pionierleistungen auf dem Gebiet der Fotografie: »Bilder halten die Ereignisse lebendig«.

Zu den Tafelstiftern zählen auch der Frauenfußballverein FSV und der seit über drei Jahrzehnten in den ehemaligen Leitzbaracken ansässige Kulturverein FRANZIS. Für FSV-Vorstand Ulrich Schäfer ist es wichtig, dass »die Menschenwürde an erster Stelle steht«. Als lokaler Sportverein mit Verantwortung für junge Menschen beteilige man sich gerne daran, ein »Ausrufezeichen zur Erinnerung der Gräueltaten während der NS-Zeit« zu setzen. Neben seinem »Kerngeschäft«, in der Kleinstadt Wetzlar ein attraktives Musik- und Kulturangebot zu organisieren, sieht sich das FRANZIS-Team um Siegmar Roscher auch dem historischen Erinnern verpflichtet: »Die Baracke aus dem Weltkrieg stellt ein wichtiges historisches Bauwerk der NS-Zweit dar. Ihr ungewöhnlich guter Erhaltungszustand macht sie zu einer der bedeutendsten Holzbaracken aus dieser Zeit.«

»Unser FRANZIS gäbe es nicht, wären die Leitz-Baracken nicht gebaut worden. Aber ohne das FRANZIS wären heute die Baracken nicht mehr da.« (Siegmar Roscher, Geschäftsführer des Kutlurzentrums FRANZIS)

Als prominenter Vortragsgast aus Berlin nach Wetzlar angereist war die Historikerin Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide. Sie unterbreitete in einem Folienvortrag Hintergrundinformationen zum ganz Europa umfassenden System der Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges. Von den insgesamt rund 13 Mio. Zwangsarbeiter*innen waren ca. 8,4 Mio. verschleppte Zivilisten, etwa halb so viele waren Kriegsgefangene. Hinzu kamen 1,7 Mio. KZ-Häftlinge und »Arbeitsjuden« außerhalb der KZ. Knapp die Hälfte der Zwangsarbeitskräfte war in der Forst- und Landwirtschaft eingesetzt, die Übrigen verteilen sich etwa gleich auf Bergbau, Industrie und Bau. Eine Minderheit war zu Dienstleistungen für »den Endsieg« gezwungen.

Im Sommer 1944 standen 22,9 Millionen deutschen Arbeitskräften 5,7 Mio. zivile Zwangsarbeiter*innen und 1,9 Mio. Kriegsgefangene gegenüber. Im Falle der Kontaktaufnahme zwischen Angehörigen beider Gruppen wurden drakonische Strafen angedroht und vollstreckt, wie Plakate mit der Aufschrift »Deutsche Frau! Halte dein Blut rein! Du trägst in dir das Erbe künftiger Geschlechter« unmissverständlich zum Ausdruck bringen.

»Wetzlar erinnert«-Vorsitzender Ernst Richter und seine Stellvertreterin Natalija Köppl freuten sich über die – trotz Regenwetters –  beachtliche Zahl von 60 Teilnehmern beim historischen Gedenken. Er stellte die Tafelstifter und Redner im FRANZIS-Gebäude vor und erläuterte mit einem Folienvortrag zahlreiche lokalhistorische Bezüge zur NS-Zwangsarbeit her.

Tafelenthüllungen & Gedenkveranstaltung am Freitag, den 10. März 2023

16:00 Uhr: Treffpunkt auf der Lahninsel am Stadioneingang
Enwag-Stadion, Karl-Kellner-Ring 13 | D 35576 Wetzlar (Stadionschleife)

  • Kurze Begrüßung und Erläuterung des Ablaufs der gesamten Veranstaltung
    Ernst Richter
    Vorsitzender von Wetzlar erinnert e.V.
  • Gemeinsame Enthüllung der Tafel Nr. 12 zu den Zwangsarbeiterlagern der Fa. Ernst Leitz GmbH
    durch:
    Ulrich Schäfer (FSV HESSEN Wetzlar e.V.)
    Dr. Oliver Nass (Ernst-Leitz-Stiftung)
    Knud Müller (Leica Microsystems)
    Stefan Daniel (Leica Camera)
    Oberbürgermeister Manfred Wagner
    Natalija Köppl (Stellvertretende Vorsitzende von Wetzlar erinnert e.V.)

16:10 Uhr: Gemeinsamer Fußweg zur zweiten Tafel am Franzis

Unterhalb der Lahnbrücke zur Barfüßerstraße, dann zum Schillerplatz und weiter über die Nauborner Straße zur Franziskanerstraße

16:20 Uhr: Treffpunkt vor dem Kulturzentrum Franzis
(am Gehweg am Grünstreifen zwischen Franziskanerstraße und Avignon-Parkplatz) 

  • Gemeinsame Enthüllung der Tafel Nr. 13 zu den Leitz-Baracken für italienische Fremdarbeiter
    durch:
    Siegmar Roscher (Förderverein Kulturzentrum FRANZIS e.V.)
    Dr. Oliver Nass (Ernst-Leitz-Stiftung)
    Knud Müller (Leica Microsystems)
    Stefan Daniel (Leica Camera)
    Oberbürgermeister Manfred Wagner
    Natalija Köppl (Stellvertretende Vorsitzende von Wetzlar erinnert e.V.)

16:30 Uhr: Gedenk- und Informationsveranstaltung
im Veranstaltungssaal des Kulturzentrum FRANZIS

    • Einführung in die Veranstaltung:
      Ernst Richter
      (Wetzlar erinnert e.V., Vorsitzender)
      Blitzlichter mit Bildern aus dem Wetzlar von 1933 – 1945
    • Statements der Tafelstifter:
      durch:
      Oberbürgermeister Manfred Wagner (für den Magistrat der Stadt Wetzlar)
      Dr. Oliver Nass (Ernst-Leitz-Stiftung, Vorsitzender, Vorsitzender)
      Knud Müller (Leica Microsystems GmbH, Chief Financal Officer)
      Stefan Daniel (Leica Camera AG, Executive Vice President Technology & Operations)
      Ulrich Schäfer (FSV HESSEN Wetzlar e.V., Vorsitzender)
      Siegmar Roscher (Förderverein Kulturzentrum FRANZIS e.V., Geschäftsführer)
    • Vortrag
      Dr. Christine Glauning (Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Berlin)
      • Auftrag und Arbeit der Dokumentationsstelle
      • das System der NS-Zwangsarbeit
      • die Sonderrolle der Italiener*innen bei der Arbeitskräfterekrutierung im Dritten Reich
    • Beantwortung von Fragen durch Frau Dr. Glauning
    • Zeit für Gespräche zum Ausklang der Veranstaltung
      • Getränke jeglicher Art an der Theke des FRANZIS
      • Buffet mit Kaffee, Tee und Fingerfood vom »Café Weitblick« der WALI Wetzlar.

Diese Bilder wurden uns zur Verfügung gestellt von Michael Agel, Arne Beppler und Ernst Richter. Wir danken dafür, dass wir sie zur Illustration dieses Beitrags benutzen dürfen

Dr. Christine Glauning

ist Historikerin und leitet das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide.

Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Berlin

Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Berlin

  • Die Aufgabe des Dokumentationszentrums:
    Dokumentieren. Vermitteln. Bewahren.
    Als Archiv-, Ausstellungs- und Lernort informiert das Dokumentationszentrum insbesondere über die Geschichte und Dimension der größten Gruppe der NS-Zwangsarbeit. Rund 8,4 Millionen Menschen wurden als »zivile« Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten Europas in das Deutsche Reich verschleppt.In seinem Archiv und der Bibliothek hält das Dokumentationszentrum die Stimmen und das historische Erbe der Überlebenden für die nachfolgenden Generationen und zur weiteren Erforschung des Themas fest.
  • Der Ort des Dokumentationszentrums:
    Die ehemaligen Unterkunftsbaracken in Schöneweide dienen als Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Bildungsorte.
    Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide ist die einzige Institution am historischen Ort eines fast vollständig erhaltenen Zwangsarbeiterlagers inmitten eines Wohnbezirks. Seit 2006 macht es hier das lange ausgeblendete Schicksal der über 26 Millionen Männer, Frauen und Kinder sichtbar, die während des Zweiten Weltkriegs durch das NS-Regime als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden.Unter den Augen der deutschen Zivilbevölkerung arbeiteten sie in allen Bereichen der Gesellschaft – in großen, mittleren und kleinen Firmen, in allen Branchen – von der Tischlerei, Bäckerei, Brauerei bis zum Bekleidungsgeschäft, in kommunalen Einrichtungen wie der Müllabfuhr und in der Landwirtschaft, auf kirchlichen Friedhöfen, bis hin zu Privathaushalten. Alleine im Berliner Stadtgebiet befanden sich etwa 3.000 Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.Seit kurzem ermöglicht die internationale Jugendbegegnungsstätte eine intensive und länderübergreifende Auseinandersetzung mit dem Thema.
  • Forschungen zu italienischen Militärinternierten (IMIs)
    Im Zweiten Weltkrieg waren NS-Deutschland und das faschistische Italien zunächst Bündnispartner. Am 8. September 1943 trat Italien aus dem Bündnis aus. Die deutsche Wehrmacht nahm daraufhin die italienischen Soldaten und Offiziere gefangen. Etwa 650.000 Italiener wurden in das Deutsche Reich und in die besetzten Gebiete transportiert. Mit der Gründung der Repubblica Sociale Italiana (RSI) 1944 wurden die Gefangenen zu »Militärinternierten« erklärt. So konnten sie trotz des neuen faschistischen Bündnisses und ohne Rücksicht auf das Völkerrecht als Zwangsarbeiter in der Rüstung eingesetzt werden.Die Dauerausstellung erzählt die Geschichte der italienischen Militärinternierten. Sie spannt den Bogen von der deutsch-italienischen Bündnispartnerschaft im zweiten Weltkrieg bis zur Aufarbeitung des Themas in der Gegenwart. Die einzelnen Kapitel widmen sich zentralen Aspekten von Gefangennahme, Transport, Zwangsarbeit, Kriegsende und Erinnerung.»ZWISCHEN ALLEN STÜHLEN. Die Geschichte der italienischen Militärinternierten 1943 – 1945«

Tafel 12 zu den Zwangsarbeiterlagern der Fa. Ernst Leitz GmbH:

  • FSV HESSEN Wetzlar – Frauenfußball in Wetzlar
    als heutiger Nutzer des Geländes, wo früher die Baracken für Zwangsarbeiter*innen standen (das heutige Stadion-Areal)
  • Leica Camera AG
    als Nachfolgeunternehmen der Fa. Ernst Leitz GmbH
  • Leica Microsystems GmbH
    als Nachfolgeunternehmen der Fa. Ernst Leitz GmbH
  • Ernst Leitz Stiftung
    im Andenken an die Wetzlarer Ehrenbürger Dr. h.c. Ernst Leitz I, Dr. h.c. Ernst Leitz II und Dr. Elsie Kühn-Leitz

Tafel 13 an den Leitzbaracken der Fa. Ernst Leitz GmbH:

  • Förderverein Kulturzentrum Franzis e.V.
    als heutiger Nutzer der Baracken, die mittlerweile unter Denkmalschutz stehen
  • Leica Camera AG
    als Nachfolgeunternehmen der Fa. Ernst Leitz GmbH
  • Leica Microsystems GmbH
    als Nachfolgeunternehmen der Fa. Ernst Leitz GmbH
  • Ernst Leitz Stiftung
    im Andenken an die Wetzlarer Ehrenbürger Dr. h.c. Ernst Leitz I, Dr. h.c. Ernst Leitz II und Dr. Elsie Kühn-Leitz

Tafel 14 vor dem Hausertorstollen gegenüber dem ehem. Hausertorwerk der Fa. Ernst Leitz GmbH:

Es gilt das gesprochene Wort

»Wer Unfreiheit und Willkür kennt, der weiß Freiheit und Recht zu schätzen.

Die Selbstverständlichkeit aber, mit der unser Volk Freiheit und Recht erleben darf, vermittelt mitunter zu wenig Gespür für die Gefahren von Willkür und Unfreiheit.

Das ist das große Problem, vor dem jeder Rechtsstaat steht.«

Anrede,
dieses Wort des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog möchte ich meinem Statement für die Stadt Wetzlar als Tafelstifterin voranstellen, ist es doch angesichts der aktuellen Ereignisse nach wie vor zutreffend, womöglich mehr denn je.

Darum ist erinnern elementar.

Denn: Erinnern ist arbeiten an der Zukunft. Darum geht es. Heute und auch morgen.

Anrede,
vor gut fünf Wochen, am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee, gedachten wir auch in unserer Stadt der Opfer des Nationalsozialismus.

Als die Alliierten 1945 die Konzentrationslager befreiten, stoppten sie eine historisch beispiellos grausame Tötungsmaschinerie.

Gerettet wurden zugleich aber Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, denen Deutsche die Freiheit geraubt hatten, um ihre Arbeitskraft auszubeuten.

Darunter befanden sich am Ende auch die Menschen, die zunächst als italienische Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter freiwillig nach Deutschland gekommen waren, aber ihren, den deutschen Arbeitern gleichgestellten Status mit dem Sturz Mussolinis verloren und dann andernorts harte Zwangsarbeit leisten mussten.

Mehr als dreizehn Millionen Menschen wurden alleine innerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs gezwungen, unter entehrenden Bedingungen zu arbeiten.

Ernst Leitz II, den der Holocaustüberlebende Arno Lustiger ob seines Einsatzes zur Rettung jüdischer Angestellter und ihrer Familien in einem Atemzug mit Robert Bosch, Berthold Beitz und Eduard Schulte nennt und ihn als großartige Persönlichkeit würdigte, hob sich auch im Umgang mit Fremd- und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern einmal mehr von vielen anderen Unternehmern ab.

Und dabei wurde er nachhaltig von seiner Tochter, Elsie Kühn-Leitz, unterstützt. Ihr couragiertes Verhalten brachte sie selbst in größte Gefahr.

Gemeinsam waren ihnen die Wohn- und Lebensbedingungen, wie auch die Nahrungsversorgung der Menschen wichtig, die für Leitz arbeiten mussten.

Dieses vorbildhafte Verhalten ist wesentlicher Bestandteil der Unternehmensgeschichte, so auch der Nachfolgeunternehmen Leica Camera AG und Leica Microsystems, aber auch unserer Stadtgeschichte. Darauf darf man erhobenen Hauptes blicken.

Denn so handelten viele nicht.

Die zur billigsten Arbeitskraft degradierten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter standen am unteren Ende der menschenverachtenden Hierarchie des NS-Staates – ihren Tod »durch Arbeit« nahmen die Ausbeuter bewusst in Kauf.

Diese Menschen aus den vom Deutschen Reich überfallenen Ländern waren zur Schwerstarbeit verdammt – zur „Sklavenarbeit“, wie der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg später ausdrücklich befand.

Viele derer, die in der deutschen Industrie Verantwortung trugen, setzten KZ-Häftlinge und im Verlauf des Krieges ungezählte Kriegsgefangene und verschleppte Zivilisten ein, um dem beständigen Arbeitskräftemangel zu begegnen.

Es war ein perfides System der Unfreiheit und der Willkür, in dem Menschen die Wirtschaft und Rüstungsindustrie ihrer eigenen Unterdrücker am Laufen hielten.

Zwangsarbeit war in der nationalsozialistischen Diktatur ein Massenphänomen, ein vor aller Augen begangenes Verbrechen. Davon profitierten alle – auch die zivilen – Sparten der Wirtschaft im Deutschen Reich und in den Gebieten, die es besetzt hielt.

Die Zwangsarbeit im Deutschen Reich war ein Massenphänomen und für jeden sichtbar.

Dass von ihrem unfreiwilligen Einsatz und den ausbeuterischen Bedingungen, unter denen sie arbeiten mussten, niemand gewusst haben will, ist längst ins Reich der Legenden verwiesen. Das lässt sich auch an den für alle erkennbaren Unterkünften, die sich im Gebiet der Stadt Wetzlar befanden, ablesen.

Und doch fand die Zwangsarbeit lange nicht den ihren Opfern gebührenden Platz in der deutschen Erinnerungskultur.

Erst in den 1980er Jahren, als vermehrt Geschichtswerkstätten oder Schülergruppen in ihrer jeweiligen Nachbarschaft auf Spurensuche gingen, gaben vielfach gerade Relikte von NS-Zwangsarbeitslagern diesen zivilgesellschaftlichen Initiativen den Anstoß für weitere Recherchen.

In diese Zeit fällt auch der Aufbau der Ausstellung »Ausländische Zwangsarbeiter in Wetzlar 1939 – 1945«.

Bis deutsche Unternehmen, die von Zwangsarbeit profitiert hatten, dazu bereit waren, Verantwortung zu übernehmen, vergingen Jahre – die Gründung der »Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« (EVZ), die mit der Zahlung von symbolischen Ausgleichsleistungen betraut wurde, erfolgte erst im Jahr 2000!

Damals schon kam das für die meisten der ehemaligen Zwangs­arbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu spät.

Wir sind uns der nicht wieder­gutzumachenden Tatsache bewusst, dass Zwangsarbeit letztlich ohne Gegenwert blieb.

»Entschädigung« kann nicht mehr als eine Geste sein, ein Zeichen an die wenigen Überlebenden, dass ihre Qualen nicht vergessen wurden und ihre Geschichte ein Teil unserer Geschichte ist.

Wenn wir Gedenken ernst nehmen, so müssen wir jeder Zeit, jeder Generation zugestehen, aber auch zumuten, eigene Fragen zu stellen und ein jeweils eigenes Gedenken zu entwickeln – kein Vergessen, sondern Erinnern, stets neues Mitfühlen und Mitdenken. Wer aber mitfühlen, mitdenken will, der braucht Wissen über das was geschehen ist.

Auch in unserer Stadt!

Und daher begrüße ich es sehr, dass wir heute drei weitere Gedenktafeln enthüllen können.

Die Tafel zur Information über das Zwangsarbeiterlager der Fa. Leitz auf der Lahninsel, die Tafel, die an die italienischen Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter bei der Fa. Leitz erinnert und die Tafel, die in Erinnerung ruft, dass auf Anweisung des NS Wirtschafts- und Rüstungsministeriums die Fa. Leitz ab dem Jahr 1943 nur noch rüstungsrelevante Produkte zu fertigen und die Produktion in den Hausertorstollen zu verlagern hatte.

All das beschreibt ein Teil unserer Stadt- und Industriegeschichte. Dies immer wieder ins Bewusstsein zu rufen ist der Auftrag an unsere Generation und an unsere Stadt.

Daher danke ich dem Verein Wetzlar Erinnert e.V. für sein unermüdliches Engagement und ganz besonders den Tafelstiftern, die es mit ihrer Mitwirkung ermöglichen, dass mit dem Erinnern ein Arbeiten an der Zukunft möglich ist.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede

»Zwangsarbeit« und »Rettungswiderstand«,
diese Begriffe in einem Atemzug zu nennen, erscheint wider­sprüchlich, wenn nicht sogar deplatziert. In Wahrheit sind sie jedoch Teil einer historischen Wahrheit der Geschichte Wetzlars und der Ernst Leitz Werke. Die heute eingeweihten Gedenktafeln und die, die wir letztes und vorletztes Jahr in Erinnerung an den Rettungswiderstand meines Urgroßvaters Ernst Leitz II und meiner Großmutter Elsie Kühn-Leitz aufgestellt haben, gehören zusammen und sie zeigen, wie wichtig eine nuancierte Bewertung der Geschichte ist. Es ist nicht alles nur schwarz oder nur weiß.

Wie die Gedenktafel am früheren Leitz-Lager beim heutigen Stadion aufzeigt, waren für die Ernst Leitz Werke lt. Meldezetteln 989 Zwangsarbeiter tätig, darunter 590 Ostarbeiterinnen aus der Ukraine.

Die Ernst Leitz Werke standen aufgrund ihrer kriegsrelevanten Produktion unter besonderer Beobachtung der Nazis, doch waren Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen Teil der Realität der meisten Unter­nehmen im Dritten Reich. Etwa 13 Millionen zivile, aus ihrer Heimat verschleppte Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge wurden im Deutschen Reich zur Arbeit in der Landwirtschaft und der kriegsrelevanten Industrie gezwungen. Diskriminierende Sonder­erlasse des Nazi-Regimes behandelten dabei Menschen aus der Sowjet­­union wie der Ukraine, die sog. »Ostarbeiter«, und aus Polen ganz besonders schlecht. Eine Verordnung von 1942 definierte reichsweit, wie die Entlohnung und Behandlung der »Ostarbeiter« zu handhaben sei; sie gab den Unternehmen nur wenig Spielraum, doch dieser konnte bei den konkreten Lebensbedingungen durchaus sehr unterschiedlich genutzt werden.

Mein Großonkel Ludwig Leitz beschrieb in einem Artikel wie sein Vater, Ernst Leitz II, das Beste versuchte,

»um die Situation erträglich zu machen, mit den geringen Möglichkeiten, die noch zur Verfügung standen. Bei der Ankunft und Unterbringung der ersten Frauen aus der Ukraine in ›Göths‹ Garten gegenüber der Starken Weide war mein Vater als erster dort, um zu sehen, was man tun könnte. Ich begleitete ihn. Man erinnert sich, daß er dann Abend für Abend mit meiner Schwester [Elsie Kühn-Leitz] einen Gang zum Russenlager machte, um nach dem Rechten zu sehen.« [1]

In der Tat ließ sich meine Großmutter [Elsie Kühn-Leitz] nach Ankunft der Ostarbeiterinnen 1942 als Unterlagerführerin ernennen, was es ihr erlaubte, täglich zum Lager zu kommen. Nach dem Kriegsende schreibt sie hierzu:

»Über ein Jahr war es mir möglich gewesen, mit Unter­stützung der Arbeitsfront im Lager bei den Ostarbeiterinnen tätig zu sein und dafür zu sorgen, dass sie, soweit möglich, ausreichend zu essen bekamen, dass sie Kleider und Schuhwerk erhielten. Ich sorgte dafür, dass das Lager richtig eingerichtet und verschönt wurde, dass die Mädchen Radio bekamen, dass eine Nähstube, ein Kaufladen, eine Schusterwerkstätte und anderes eingerichtete wurde, dass die Mädchen regelmäßig zum Baden kamen, die Stuben anständig gesäubert und aufgeräumt wurden, eine Besitzkartei eingerichtet wurde – kurzum, wenn auch unter den schwierigsten Umständen, so wurde doch alles Mögliche für die Mädchen getan, um ihnen neben der vielen Arbeit in der Fabrik auch noch einige frohe abwechslungsreiche Stunden zu verschaffen.« [2]

All das rief erheblichen Missmut der Nazis hervor und führte im September 1943 nach Aufdeckung ihrer versuchten Fluchthilfe für die Wetzlarer Halbjüdin Hedwig Palm unter der Anklage der »Beihilfe zur Flucht einer Jüdin und übertriebener Humanität« für die Ostarbeiter­innen zu ihrer Festnahme und Inhaftierung im Frankfurter Gestapo-Gefängnis Klapperfeld. Nur dank der massiven, auch finanziellen Inter­vention meines Urgroßvaters konnte sie der Deportation ins Konzentrations­lager entgehen und im November 1943 freigelassen werden.  Ihr wurde dann jeglicher Kontakt zu den Ostarbeiterinnen verboten; Ernst Leitz II schaute jedoch weiter nach dem Rechten und wurde auch bei der Einnahme des Essens mit den Lagerbewohnern gesehen.[3] Schon im Frühjahr 1943 hatte er sich dafür eingesetzt, dass die Lagerbewohner etwas Gemüse anbauen durften, um sich einen kleinen Nebenverdienst zu ermöglichen.[4] Seinem Antrag vom 24. September 1943 nach der Einrichtung eines Schankraums wurde nicht stattgegeben.[5]

Der Bau der Luftschutzstollen beim Hausertor zeigen ein ähnliches Spannungsfeld auf: er erlaubte den Schutz der dorthin verlagerten kriegsrelevanten Produktion der Leitz Werke und zugleich den Schutz der Zivilbevölkerung vor den Bombardierungen der Alliierten, da – wie Ludwig Leitz ausführte – ab 1943/44 »in der Nacht häufig, nach Tagesanbruch fast immer Fliegeralarm« war. Die Luftschutzstollen beim Hausertor sowie am Kalsmunt neben dem Hauptwerk boten auf Geheiß der Unternehmensführung allen Mitarbeitern, also auch den Zwangsarbeitern, neben der Wetzlarer Zivilbevölkerung Schutz – im offensichtlichen Widerspruch zum von den Nazis verhängten »Kontakt­­verbot« zu Ostarbeitern.[6]

Die eingeweihten Tafeln zeigen uns also, wie in Wetzlar die Begriffe Zwangsarbeit / Rettungswiderstand und Schutz für Kriegsproduktion / Schutz für Menschen vor Bomben zusammengehören. Auch solche Schattierungen der Geschichte des Dritten Reichs dank der Gedenk­tafeln vor historisch relevanten Gebäuden der Stadt Wetzlar lebendig zu machen ist das Anliegen des Vereins Wetzlar Erinnert, das wir als Ernst Leitz Stiftung an der Seite der anderen Tafelstifter aus Über­zeugung unterstützen. Mögen diese Tafeln viele Menschen erreichen, berühren und zum Nachdenken und Diskutieren bewegen.

Quellen:

[1] Ludwig Leitz: »Wenn Leitz sich gegen die Zwangsarbeit gestemmt hätte, wäre das als Kriegsverrat geahndet worden«, Wetzlarer Neue Zeitung, 20.11.1986

[2] Zitiert in Klaus Otto Nass [Hrsg.] (1994): »Elsie Kühn-Leitz: Mut zur Menschlichkeit«, Bonn, S. 45

[3] Dissertation Frank Dabba Smith (2017): »Ernst Leitz of Wetzlar: Helping the Persecuted«, University College  London, S. 246

[4] Ebenda, S. 246

[5] Ebenda, S. 248.

[6] Konrad Miss et al. (1945): Bericht an den Staatsanwalt zur Entnazifizierung von Ernst Leitz II, Anhang 1, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesebaden, HHStAW, Bestand 520/F in K. 1991 (zitiert in der Dissertation von Frank Dabba Smith (2017): »Ernst Leitz of Wetzlar: Helping the Persecuted«, University College London.

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Richter,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Wagner,
sehr geehrter Her Nass,
verehrte Mittafelstifter,
sehr geehrte Damen und Herren,

»Man wird mich begraben und die Meinen werden nicht erfahren, wo mein Grab ist«.

Dieses russische Lied singt Tomasz Kiryllow bei seinem auf Video dokumentierten Besuch im Jahr 1987 in Wetzlar. Etwas mehr als 40 Jahre zuvor hat er dieses Lied schon einmal gesungen. Ebenfalls in Wetzlar, wohin er als 17-jähriger verschleppt wurde und gefangen war. Einer der vielen Zwangsarbeiter, markiert an seiner Kleidung, seines Namens beraubt als eine Nummer.

Das Video zu diesem Besuch und der singende, sympathisch wirkende ältere Herr haben mich sehr berührt.

Bei seinem Besuch in den 1980er-Jahren konnte sich Tomasz Kiryllow frei durch die Stadt bewegen, um die Orte seiner persönlichen Geschichte noch einmal aufzusuchen. Selbstverständlich.

Und selbstverständlich können wir uns am heutigen Tag frei von Station zu Station bewegen. Und heute Abend können wir nach Hause gehen, zu unseren Familien und vom Tag berichten.

Den fast 1.000 Menschen in den Zwangsarbeiterlagern der Firma Ernst Leitz auf der Lahninsel waren diese Freiheiten verwehrt. Ihren Familien entrissen, ihrer Heimat und Würde beraubt, mussten sie zwangsweise sogenannte kriegswichtige Güter herstellen. Teilweise auch in den Tiefen des Hausertorstollens.

Das alles geschah nicht im Verborgenen, sondern jeder in Wetzlar konnte die Zwangsarbeiter und die Lager sehen. Sie arbeiteten unter uns und mit uns. Im gleichen Gebäude, in dem heute Leica Microsystems Produkte für Kunden in aller Welt mit einem international besetzten Team produziert.  Vielfalt und Respekt ist ein Kern unserer Firmenkultur lebt.

Wo heute Sport getrieben wird, waren Menschen in Baracken gefangen. Wo heute Kultur gelebt wird, waren junge Menschen aus Italien auf der Suche nach einer besseren wirtschaftlichen Zukunft ausgerechnet im Nazideutschland gestrandet. Ja, wir müssen uns erinnern.

Beim Erinnern helfen persönliche Geschichten. Wie die von Tomasz Kiryllow, der Zwangsarbeit und Konzentrationslager überlebt hat. Oder das Schicksal von Maria Gulowata, die mit nur 23 Jahren im Zwangsarbeiterlager der Firma Leitz auf der Lahninsel verstarb.

Damit wir aus unserer Geschichte lernen können, leistet der Verein Wetzlar erinnert und viele Helfer eine Arbeit, die wir enorm schätzen und gerne seitens Leica Microsystems unterstützen. Diese Arbeit führt uns auch die Frage vor Augen, wie wir uns selbst wohl verhalten und gefühlt hätten?

Es tröstet uns, was mittlerweile über den Einsatz von Ernst Leitz II für rassistisch Verfolgte bekannt ist. Unglaublich mutig auch seine Tochter Elsie Kühn-Leitz, die Ernst Leitz II mit der Leitung der beiden großen Zwangsarbeiterlager auf der Lahninsel betraut hatte. Ihr wurde von der Gestapo in Verhören der »humanistische Umgang mit den Lagerinsassen« vorgeworfen. »Mut zur Menschlichkeit« heißt denn auch das Buch über das Leben von Elsie Kühn-Leitz. Dieser Mut soll uns Vorbild und Lehre sein.

Bei Leica Microsystems blicken wir im kommenden Jahr auf 175 Jahre Firmengeschichte zurück. Dazu gehört auch die Zeit unter der Naziherrschaft.

Es ist wichtig an erlittenes Unrecht zu erinnern, damit Menschen sich heute und künftig mit Respekt und unter Wahrung der Menschenwürde begegnen.

Ein Gedanke, der nicht aktueller sein kann. Mehr als 700 der aus dem Osten kommenden Zwangsarbeiter im Lager der Firma Leitz stammten aus dem Gebiet der heutigen Ukraine.

Wir müssen uns erinnern.

Vielen Dank!

Es gilt das gesprochene Wort:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Wagner,
sehr geehrte Frau Dr. Glauning,
meine Damen und Herrn,
wir Unterstützung des Projekts »Wetzlar erinnert« und deren Gedenktafeln ist für die Leica Camera AG ein besonderes Anliegen. Eine Verbeugung vor dem couragierten und vorbildhaften Handeln der Familie Leitz, ihrem selbstlosen Einsatz für Verfolgte des Nazi-Regimes. Ein Vorbild, das unsere Unternehmensgeschichte und Kultur bis heute prägt und uns antreibt, es Augenzeugen zu ermöglichen, Zeitgeschehen unauslöschlich festzuhalten und Momente zu rahmen.

Ein Augenzeuge ist jemand, der etwas beobachtet, während andere nur zuschauen. Mit der Entscheidung von Ernst Leitz II im Jahr 1924, die Produktion der weltweit ersten erfolgreichen Kleinbildkamera zu beginnen, revolutionierte er die Welt der Fotografie und ermöglichte dadurch, die letzten 100 Jahre der Menschheitsgeschichte festzuhalten.

Geschichte schreiben und Geschichten erzählen liegt manchmal ganz nah beieinander. Geschichten, die jeder von uns mitgestaltet und die es zu erhalten gilt. Sich derer zu erinnern und um von den Ereignissen zu lernen. Geschichten, von denen wir ein Teil sind und die wir auch teilen – seit Generationen. Denn Bilder halten die Ereignisse lebendig.

Wir wünschen Ihnen für Ihre weiter Arbeit viel Erfolg!

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,
die Unterstützung des Projekts »Wetzlar erinnert« stellt für unseren Verein einen weiteren Baustein der sozialen Verantwortung und des regionalen Engagements dar. Als Vorbild sehen wir den couragierten Einsatz von Ernst Leitz II. und weiteren Familienmitglieder der Leitz-Familie für die Verfolgten des Nazi-Regimes. Es galt damals wie heute, die Werte unserer Demokratie und somit die Menschenrechte zu verteidigen.

Als lokaler Sportverein mit Verantwortung für junge Menschen, ist es uns wichtig, ein Ausrufezeichen zur Erinnerung der Gräueltaten während der nationalsozialistischen Zeit zu setzen. Das Bewusstsein für unsere eigene Geschichte und der Umgang mit schwierigen Zeiten gilt es zu schärfen und stets als Mahnung für die Zukunft zu interpretieren. Wir versuchen unseren jungen Vereinsmitgliedern diese Werte im täglichen Sportalltag zu vermitteln und Leitplanken für den weiteren Lebensweg aufzuzeigen. Die Menschenwürde muss stets an erster Stelle stehen!

Wir wollen, dass die Menschen, die in das Stadion gehen und dabei das Schild sehen, uns fragen: »Wieso ist da das Logo des FSV HESSEN Wetzlar drauf?« Und dann werden wir ihnen erklären, was damals geschah und dass man sich seiner Geschichte stellen muss. Ich bedanke mich, dass wir bei dieser Initiative mitmachen konnten.

 

Es gilt das gesprochene Wort

Den Förderverein Kulturzentrum Wetzlar e.V. »Franzis« würde es ohne die Leitz-Baracke in der Franziskanerstraße nicht geben. Und umgekehrt wäre die Baracke ohne das Franzis heute nicht mehr existent. Das Bewusstsein für die Hintergründe und Bedeutung des Gebäudes zu schaffen, ist ein Anliegen des Vereins. Die Baracke aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stellt ein wichtiges historisches Bauwerk der NS-Zeit in Wetzlar dar, insbesondere der Kriegsjahre 1939–45. Ihr ungewöhnlich guter Erhaltungszustand macht sie zu einer der bedeutendsten Holzbaracken aus dieser Zeit.

Ursprünglich errichtet für die Unterbringung italienischer Fremdarbeiter der Fa. Leitz in 1941, war die Baracke im Gegensatz zu Zwangsarbeiterbaracken stabiler gebaut – komfortabler und unterkellert. So wurden die Räumlichkeiten auch nach dem Krieg weiter genutzt, es hatte zum Beispiel die griechische Gemeinde lange ihren Sitz in der Franziskanerstraße, auch das Ballettstudio von Berthe Krull, tief im Gedächtnis vieler Wetzlarer*innen verwurzelt, war hier angesiedelt. Berthe Krull war die Schwester der international bekannten Fotografin und Kriegsberichterstatterin Germaine Krull.

 

Dr. Christine Glauning

ist Historikerin und leitet das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin Schöneweide.

Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Berlin

Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Berlin

  • Die Aufgabe des Dokumentationszentrums:
    Dokumentieren. Vermitteln. Bewahren.
    Als Archiv-, Ausstellungs- und Lernort informiert das Dokumentationszentrum insbesondere über die Geschichte und Dimension der größten Gruppe der NS-Zwangsarbeit. Rund 8,4 Millionen Menschen wurden als »zivile« Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten Europas in das Deutsche Reich verschleppt.In seinem Archiv und der Bibliothek hält das Dokumentationszentrum die Stimmen und das historische Erbe der Überlebenden für die nachfolgenden Generationen und zur weiteren Erforschung des Themas fest.
  • Der Ort des Dokumentationszentrums:
    Die ehemaligen Unterkunftsbaracken in Schöneweide dienen als Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Bildungsorte.
    Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide ist die einzige Institution am historischen Ort eines fast vollständig erhaltenen Zwangsarbeiterlagers inmitten eines Wohnbezirks. Seit 2006 macht es hier das lange ausgeblendete Schicksal der über 26 Millionen Männer, Frauen und Kinder sichtbar, die während des Zweiten Weltkriegs durch das NS-Regime als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden.Unter den Augen der deutschen Zivilbevölkerung arbeiteten sie in allen Bereichen der Gesellschaft – in großen, mittleren und kleinen Firmen, in allen Branchen – von der Tischlerei, Bäckerei, Brauerei bis zum Bekleidungsgeschäft, in kommunalen Einrichtungen wie der Müllabfuhr und in der Landwirtschaft, auf kirchlichen Friedhöfen, bis hin zu Privathaushalten. Alleine im Berliner Stadtgebiet befanden sich etwa 3.000 Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.Seit kurzem ermöglicht die internationale Jugendbegegnungsstätte eine intensive und länderübergreifende Auseinandersetzung mit dem Thema.
  • Forschungen zu italienischen Militärinternierten (IMIs)
    Im Zweiten Weltkrieg waren NS-Deutschland und das faschistische Italien zunächst Bündnispartner. Am 8. September 1943 trat Italien aus dem Bündnis aus. Die deutsche Wehrmacht nahm daraufhin die italienischen Soldaten und Offiziere gefangen. Etwa 650.000 Italiener wurden in das Deutsche Reich und in die besetzten Gebiete transportiert. Mit der Gründung der Repubblica Sociale Italiana (RSI) 1944 wurden die Gefangenen zu »Militärinternierten« erklärt. So konnten sie trotz des neuen faschistischen Bündnisses und ohne Rücksicht auf das Völkerrecht als Zwangsarbeiter in der Rüstung eingesetzt werden.Die Dauerausstellung erzählt die Geschichte der italienischen Militärinternierten. Sie spannt den Bogen von der deutsch-italienischen Bündnispartnerschaft im zweiten Weltkrieg bis zur Aufarbeitung des Themas in der Gegenwart. Die einzelnen Kapitel widmen sich zentralen Aspekten von Gefangennahme, Transport, Zwangsarbeit, Kriegsende und Erinnerung.»ZWISCHEN ALLEN STÜHLEN. Die Geschichte der italienischen Militärinternierten 1943 – 1945«

Die Rede von Frau Dr. Glauning kann hier nicht veröffentlicht werden.
Um sich einen Einblick zu den Inhalten ihres Referates zu haben, empfiehlt Dr. Glauning den Download Ihres Beitrags beim NS-Dokumnetationszentrum München 2015.

—› Download des Beitrags von Frau Dr. Glauning als PDF

Informationen zu den drei Tafeln, die am 10.03.2023 enthüllt werden:

Von der Vollbeschäftigung durch Aufrüstung bis zum Programm »Tod durch Arbeit:
Alle drei Tafeln beschäftigen sich mit Episoden des NS- Beschäftigungs- und Wirtschaftssystems. Auch deshalb bietet sich an, diese Tafeln in einer gemeinsamen Veranstaltung zu würdigen.

Während des Zweiten Weltkriegs dienten immer schlimmere Eskalationsstufen im Beschäftigungs- und Wirtschaftssystem des Dritten Reiches der Fähigkeit zur Führung von Eroberungs- und Vernichtungsfeldzügen der Nazis in ganz Europa.

Die Unterjochung anderer Völker und der Terror im eigenen Land waren zwei Seiten derselben Medaille: Sie dienten der Finanzierung und dem Machterhalt des faschistischen Herrschaftssystems mit Hilfe schonungsloser Ausbeutung der besetzten Länder sowie der politisch und rassistisch verfolgten Menschen in Deutschland und ganz Europa.

Die lokalen Ereignisse, auf die unsere Tafeln hinweisen, zeigen einzelne Beispiele und Etappen auf dem Weg von der »Vollbeschäftigung durch Aufrüstung« bis zum Programm »Tod durch Arbeit« wie in den IG Farben-Werken von Auschwitz oder dem Steinbruch des KZ-Buchenwald:

  1. Zwangsarbeiterlager der Fa. Leitz auf der Lahninsel
    Ende 1944 zählten die NS-Behörden knapp 10.000 »Fremdarbeiter« (wie man die zur Zwangsarbeit verpflichteten Zivilisten*innen aus den besetzten Ländern Europas nannte). Nach der Fa. Röchling-Buderus waren die meisten dieser Menschen bei der Fa. Leitz eingesetzt. Auf der Lahninsel befanden sich zwei Lager, das »Lager West« (für Westeuropäer) und das »Lager Ost« für Osteuropäer.
  2. Italienische Fremdarbeiter bei der Fa. Leitz in der Franziskanerstraße
    Im Frühjahr 1941 bezogen rund 120 Italiener die im Volksmund »Leitzbaracken« bezeichneten Unterkünfte. Diese Menschen wurden durch das Reichsarbeitsamt in Italien angeworben und kamen freiwillig nach Deutschland, sie hatten formal den gleichen Status wie Deutsche Arbeiter. Allerdings war es nicht gern gesehen, wenn die Italiener ausgingen und sich in der Stadt bewegten. Nach dem Sturz von Mussolini mussten die Italiener die Baracken verlassen und Kriegshilfsdienstmaiden zogen dort ein. Der längere Flügel der L-förmigen Baracke steht heute noch und ist denkmalgeschützt. Er beherbergt das Kulturzentrum FRANZIS.
  3. Verlagerung der Produktion in den Hausertorstollen auf Geheiß im »totalen Krieg«:
    1943 wiesen NS-Wirtschafts- und Rüstungsministerium die Fa. Leitz (wie andere Unternehmen auch) an, erstens nur noch rüstungsrelevante Produkte zu fertigen und zweitens die Produktion so zu verlegen, dass sie vor den zunehmenden Alliierten Luftangriffen geschützt ist. Deshalb wurde der Hausertorstollen ausgebaut. Hierbei wurden vor allem Italiener eingesetzt. Ob das dieselben waren, die zuvor in den Leitzbaracken wohnten, wissen wir nicht.

Auf dieser Vereinshomepage sind unter der Rubrik »Gedenken« für alle »Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit« Hintergrundinformationsseiten entstanden, Nachfolgend die Informationsseiten zu diesen drei Tafeln:

  1. Zu den Tafeln 2, 5, 7 und 12 über Lager für Zwangsarbeiter*innen
    Informationen zu dem Ausmaß von NS-Zwangsarbeit im Dritten Reich und in Wetzlar, zu Lagern der Firmen Buderus‘sche Eisenwerke, Pfeiffer und Leitz. Weitere Tafeln werden folgen.
    —› Gehe zur Hintergrundinformationsseite
  2. Zu Tafel 13: Leitzbaracken für Fremdarbeiter
    Informationen zur Baracke und Ihrer Nutzung in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Wir danken Prof. Dr. Fabian Lemmes (Saarbrücken) und Brunello Mantelli (Italien) dafür, ihre Forschungsergebnisse nutzen zu dürfen. Ferner beschreiben wir die Eskalationsstufen des NS-Beschäftigungssystems.
    —› Gehe zur Hintergrundinformationsseite
  3. Zu Tafel 14: Hausertorstollen
    Wir danken dem Team der Tourist-Information der Stadt Wetzlar für die Informationen über Ausbau und Nutzen des Stollens als Produktionsstätte und Luftschutzbunker für Zivilist*innen und die NSDAP.
    —› Gehe zur Hintergrundinformationsseite

Projekt Gedenktafeln zu Ereignissen der NS-Zeit in Wetzlar
Dies sind die 12., 13. und 14. von insgesamt 24 geplanten Tafel, die über Ereignisse aus der NS-Zeit informieren sollen. Die 90 x 70 cm großen Tafeln sollen auf öffentlichem bzw. öffentlich begehbarem Gelände in der Stadt Wetzlar an Ereignisse aus der Zeit des deutschen Faschismus erinnern.

Sie werden mit ihrer farblichen Gestaltung, ihrer Platzierung und Aufmachung als Blickfang wirken und Passanten ermöglichen, in kürzester Zeit beim Vorbeigehen das jeweilige Ereignis aus der NS-Zeit zu erfassen. Durch einen QR-Code erhalten Interessierte Hintergrundinformationen zur jeweiligen Tafel.

Tafelansichten • Tafelstandorte • Websites mit Informationen: