Zur Erinnerung an die Zwangsarbeiterlager
der Fa. M. Hensoldt & Söhne Optische Werke AG
50 Menschen versammelten sich am Freitag den 4. April 2025, um insgesamt drei neue Gedenktafeln zu den Ereignissen der NS-Zeit zu enthüllen. Diese neuen Tafeln an der Straßenecke Sophien-/Seibertstraße und entlang der Moritz-Hensoldt-Straße weisen auf zwei der insgesamt fünf Zwangsarbeiterlager der Fa. M. Hensoldt & Söhne – Optische Werke AG hin, in denen mehr als 450 Zivilisten aus den von Deutschland besetzten Ländern, die während des Zweiten Weltkrieges in diesen Lagern leben mussten, um bei der Fa. Hensoldt Zwangsarbeit zu leisten. Damit ist mittlerweile seit dem Sommer 2018 die 20. dieser Tafeln in der Stadt Wetzlar aufgestellt worden.
Neben der heutigen Firma Hensoldt Optronics GmbH und dem Nachkommen des Firmengründers Moritz Hensoldt, Dr. med. Ullrich Waldschmidt, konnte Wetzlar erinnert e.V. die heutigen Nutzer der Areale, auf denen das »Idinglager« und das »Lager Hensoldtstraße« standen, gewinnen. Das sind der Lahn-Dill-Kreis (Verwaltungsgebäude entlang der Moritz-Hensoldt-Straße) und die Agentur für Arbeit Limburg-Wetzlar (Verwaltungsgebäude Ecke Sophien-/Seibertstraße), wie der Vereinsvorsitzende Ernst Richter erklärte. Er freue sich darüber, dass der neue Landrat Carsten Braun und die Vorsitzende der Geschäftsführung der hiesigen Arbeitsagentur, Petra Kern, sehr spontan und unkompliziert »Ja!« sagten, als Ihnen der historische Hintergrund für die beiden Gedenktafeln erläutert wurde, um sie als Tafelstifter zu gewinnen. Neben Dr. Waldschmidt nahmen als weitere Tafelstifter die neue Geschäftsführerin der Hensoldt Optronics GmbH und – wie immer – für den Magistrat der Stadt Wetzlar OB Manfred Wagner an der Gedenkstunde teil. Für Wetzlar erinnert e.V, zog Vorstandsmitglied Andrea Grimmer neben den anderen Tafelstiftern das rote Tuch von den drei Tafeln.
Während des NS-Regimes wurden aus ganz Europa fast 10.000 Menschen verschleppt, die von 1939 bis 1945 in der Stadt und dem Altkreis Wetzlar Zwangsarbeit leisten mussten. Reichsweit waren es mehr als 12 Mio. Zivilist:innen. Die Menschen in Wetzlar kamen aus 24 Nationen. Die Fa. M. Hensoldt & Söhne unterhielt insgesamt fünf solcher Lager: Idinglager sowie die Lager Garbenheim, Lahn, Güllgasse und Hensoldtstraße.
Wir möchten – gemeinsam mit den Tafelstiftern – an die erinnern, die verschleppt, entrechtet und hier an diesem Ort ausgebeutet wurden. Laut der mtl. Zählungen waren es 415 Menschen, hiervon 188 Männer und 227 Frauen aus Frankreich, Holland und vor allem aus der ehem. Sowjetunion.
Derartige Tafeln sind seit 2018 auch für die größeren Lager der Buderusschen Eisenwerke, Pfeiffer Apparatebau und Ernst-Leitz-GmbH mit den heutigen Nachfolgefirmen sowie den heutigen Nutzern der Areale auf dem IKEA-Parkplatz, der Lahninsel und in der Sparkassenpassage errichtet worden.
Sehen oder lesen Sie in den nachfolgenden Aufklapp-Feldern das Programm dieser Tafelenthüllung, eine Fotostrecke von der Gedenkveranstaltung, die Statements der o.a. Tafelstifter, den WNZ-Bericht, oder lesen Sie mit den darunter folgenden Links die Hintergurndinformationsseite zu allen Zwangsarbeitertafeln, die Ansicht der Tafeln oder die Information, wo sie diese Tafeln finden.
Übersicht zu den Einzelheiten dieser Veranstaltung
Per Mausklick die gewünschten Informationen aufklappen
Ausmaß der NS-Zwangsarbeit in Wetzlar:
Während des NS-Regimes wurden aus ganz Europa fast 10.000 Menschen verschleppt, die von 1939 bis 1945 in der Stadt und dem Altkreis Wetzlar Zwangsarbeit leisten mussten. Reichsweit waren es mehr als 12 Mio. Zivilist:innen. Die Menschen in Wetzlar kamen aus 24 Nationen. Die Fa. M. Hensoldt & Söhne unterhielt insgesamt fünf solcher Lager: Idinglager sowie die Lager Garbenheim, Lahn, Güllgasse und Hensoldtstraße.
Wir möchten – gemeinsam mit den Tafelstiftern – an die erinnern, die verschleppt, entrechtet und hier an diesem Ort ausgebeutet wurden. Laut der mtl. Zählungen waren es 415 Menschen, hiervon 188 Männer und 227 Frauen aus Frankreich, Holland und vor allem aus der ehem. Sowjetunion.
Derartige Tafeln sind seit 2018 auch für die größeren Lager der Buderusschen Eisenwerke, Pfeiffer Apparatebau und Ernst-Leitz-GmbH mit den heutigen Nachfolgefirmen sowie den heutigen Nutzern der Areale auf dem IKEA-Parkplatz, der Lahninsel und in der Sparkassenpassage errichtet worden.
15:00 Uhr:
Enthüllung der Tafel 19 durch die Tafelstifter
für das »Idinglager« der Fa. Hensoldt AG
an der Straßenecke Sophien- / Seibertstraße vor dem Verwaltungsgebäude der Arbeitsagentur
Anschließend 100 m entfernt:
Enthüllung der Tafel 20 durch die Tafelstifter
für das »Lager Hensoldtstraße« der Fa. Hensoldt AG
an der Motiz-Hensoldt-Straße hinter der Kreisverwaltung des Lahn-Dill-Kreises
15:20 Uhr:
Fortsetzung der Veranstaltung im Gebäude des Lahn-Dill-Kreises
im Sitzungssaal des Kreistages
- Eröffnung und Begrüßung
Ernst Richter
Verein Wetzlar erinnert e.V. - Statements der Tafelstifter
Landrat Carsten Braun
als Hausherr der Veranstaltung und für den Lahn-Dill-Kreis
Oberbürgermeister Manfred Wagner
für den Magistrat der Stadt Wetzlar
Dr. med. Ullrich Waldschmidt
als Initiator dieses Tafelprojektes und Urenkel von Moritz Hensoldt
Christina Canitz
Geschäftsführerin der Fa. Hensoldt Division Optronics
Petra Kern
Vorsitzende der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Limburg-Wetzlar - 16:00 Uhr
Das Ausmaß der NS-Zwangsarbeit in Wetzlar
Um aus der Geschichte zu lernen und unserer Verantwortung für heute gerecht zu werden
Ernst Richter
Verein Wetzlar erinnert e.V.
Es gilt das gesprochene Wort
Anrede,
Gedenktafeln sind Stolpersteine.
Stolpersteine deswegen, weil sie uns in unserem alltäglichen Gang aus dem Tritt bringen und das Weitergehen scheinbar hindern oder verzögern.
Aber es ist wichtig, dass uns gerade die heutige Gedenktafelenthüllung »aus dem Tritt bringt« und uns »stolpern« lässt und zum Nachdenken zwingt.
Warum ist das wichtig?
»Ein Volk, das seine Vergangenheit vergisst,
ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.«
hat der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide so treffend und doch aus so unbequem, aber auch so notwendig – gerade für uns heute – formuliert.
Es ist gerade deswegen heute wichtig »zu stolpern«, damit uns die Vergangenheit im Gedächtnis und im Gewissen bleibt und sich nicht wiederholt. Es ist leider heute wieder genügend Tendenzen, die dieses Erinnern so wichtig und unersetzlich machen.
Als es am 17. Dezember 1999 zur Einigung über die Höhe des Stiftungsvermögens zur Entschädigung von Zwangsarbeitern kam, hat der damalige Bundespräsident Johannes Rau u.a. dazu erklärt:
»Ich weiß, dass für viele gar nicht das Geld entscheidend ist. Sie wollen, dass ihr Leid als Leid anerkannt und dass das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht genannt wird.
Ich gedenke heute aller, die unter deutscher Herrschaft Sklavenarbeit und Zwangsarbeit leisten mussten und bitte im Namen des deutschen Volkes um Vergebung. Ihre Leiden werden wir nicht vergessen.«
Und dieses bewusst »Nicht-Vergessen-Wollen« setzt die Erinnerung voraus, und macht eben Gedenktafeln als Stolpersteine erforderlich. Weil eben »gestern auch heute nicht vorbei ist«, sondern erinnert werden darf und erinnert werden muss.
Darum bin ich den Initiatoren dieser Gedenktafel dankbar. Weil das Erinnern gerade heute wieder Not tut und zwingend erforderlich ist. Und wenn manche sagen; „das ist doch schon so lange her …“, dann will ich mit einem Zitat von Max Mannheimers (1920-2016, Holocaust-Überlebender. Seit 1990 war er der Präsident der Lagergemeinschaft Dachau und seit 1995 Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees. Er arbeitete als Kaufmann und war als Schriftsteller und Maler tätig.) antworten:
»Ihr tragt nicht die Verantwortung dafür, was geschehen ist,
wohl aber dafür, dass es nicht mehr geschieht.«
Darum bin ich dankbar als Tafelstifter, dass wir die Gedenktafel heute hier enthüllen können und danke allen, die mit ihrem Engagement dieses notwendige Erinnern in unserem Gedächtnis halten.
Ich habe mit einem Zitat von Pinchas Lapide mein Grußwort begonnen und möchte es auch mit einem Zitat von ihm jetzt auch beenden:
»Die Vergangenheit verwirft man nicht,
sondern bewältigt sie und lernt aus ihr.«
Ich wünsche uns allen, dass uns diese Gedenktafel in diesem Sinne erinnert und uns gemeinsam lernen und eben auch bewältigen lässt.
Wir können das Vergangene nicht ungeschehen machen: aber wir können daraus lernen.
Und das wollen wir tun!!!
Es gilt das gesprochene Wort
»Wer Unfreiheit und Willkür kennt, der weiß Freiheit und Recht zu schätzen.
Die Selbstverständlichkeit aber, mit der unser Volk Freiheit und Recht erleben darf,
vermittelt mitunter zu wenig Gespür für die Gefahren von Willkür und Unfreiheit.Das ist das große Problem, vor dem jeder Rechtsstaat steht.«
Anrede,
dieses Wort des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog (1994 bis 1999) möchte ich meinem Statement für die Stadt Wetzlar als Tafelstifterin voranstellen, ist es doch angesichts der aktuellen Ereignisse nach wie vor zutreffend, womöglich mehr denn je.
Darum ist erinnern elementar.
Denn: Erinnern bedeutet arbeiten an der Zukunft. Darum geht es. Heute und auch morgen.
Anrede,
vor gut neun Wochen, am 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee, gedachten wir auch in unserer Stadt der Opfer des Nationalsozialismus.
Als die Alliierten 1945 die Konzentrationslager befreiten, stoppten sie eine historisch beispiellos grausame Tötungsmaschinerie.
Gerettet wurden in der Folge zugleich aber Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, denen Deutsche die Freiheit geraubt hatten, um ihre Arbeitskraft auszubeuten.
Die zur billigsten Arbeitskraft degradierten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter standen am unteren Ende der menschenverachtenden Hierarchie des NS-Staates – ihren »Tod durch Arbeit« nahmen die Ausbeuter bewusst in Kauf.
Diese Menschen aus den vom Deutschen Reich überfallenen Ländern waren zur Schwerstarbeit verdammt – zur »Sklavenarbeit«, wie der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg später ausdrücklich befand.
Viele derer, die in der deutschen Industrie Verantwortung trugen, setzten KZ-Häftlinge und im Verlauf des Krieges ungezählte Kriegsgefangene und verschleppte Zivilisten ein, um dem beständigen Arbeitskräftemangel zu begegnen.
Es war ein perfides System der Unfreiheit und der Willkür, in dem Menschen die Wirtschaft und Rüstungsindustrie ihrer eigenen Unterdrücker am Laufen hielten.
Zwangsarbeit war in der nationalsozialistischen Diktatur ein Massenphänomen, ein vor aller Augen begangenes Verbrechen.
Davon profitierten alle – auch die zivilen – Sparten der Wirtschaft im Deutschen Reich und in den Gebieten, die es besetzt hielt.
Die Zwangsarbeit im Deutschen Reich war ein Massenphänomen und für jeden sichtbar.
Dass von ihrem unfreiwilligen Einsatz und den ausbeuterischen Bedingungen, unter denen sie arbeiten mussten, niemand gewusst haben will, ist längst ins Reich der Legenden verwiesen.
Das lässt sich auch an den für alle erkennbaren Unterkünften, die sich im Gebiet der Stadt Wetzlar befanden, ablesen.
Das dokumentiert auch die große Zahl der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
Im Nachweis des Wetzlarer Landrates vom 18. Januar 1945 für die Gestapo in Frankfurt am Main waren im Gebiet der Stadt Wetzlar mehr als zwanzig Zwangsarbeiterlager verzeichnet mit einer Belegung von 4.752 Personen.
Und das bei knapp 22.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die unsere Stadt damals verzeichnete.
Und doch fand die Zwangsarbeit lange nicht den ihren Opfern gebührenden Platz in der deutschen Erinnerungskultur.
Erst in den 1980er Jahren, als vermehrt Geschichtswerkstätten oder Schülergruppen in ihrer jeweiligen Nachbarschaft auf Spurensuche gingen, gaben vielfach gerade Relikte von NS-Zwangsarbeitslagern diesen zivilgesellschaftlichen Initiativen den Anstoß für weitere Recherchen.
In diese Zeit fällt auch der Aufbau der Ausstellung »Ausländische Zwangsarbeiter in Wetzlar 1939 – 1945«, die es gilt in die Neukonzeptionierung unseres Stadtmuseums zu integrieren.
Bis deutsche Unternehmen, die von Zwangsarbeit profitiert hatten, dazu bereit waren, Verantwortung zu übernehmen, vergingen Jahre. Die Gründung der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« [EVZ], die mit der Zahlung von symbolischen Ausgleichsleistungen betraut wurde, erfolgte erst im Jahr 2000!
Damals schon kam das für die meisten der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu spät.
Wir sind uns der nicht wiedergutzumachenden Tatsache bewusst, dass Zwangsarbeit letztlich ohne Gegenwert blieb.
»Entschädigung« kann und konnte nicht mehr als eine Geste sein, ein Zeichen an die wenigen Überlebenden, dass ihre Qualen nicht vergessen wurden und ihre Geschichte ein Teil unserer Geschichte ist.
Wenn wir das Gedenken ernst nehmen, so müssen wir jeder Zeit, jeder Generation zugestehen, aber auch zumuten, eigene Fragen zu stellen und ein jeweils eigenes Gedenken zu entwickeln – kein Vergessen, sondern Erinnern, stets neues Mitfühlen und Mitdenken.
Wer aber mitfühlen, mitdenken will, der braucht Wissen über das was geschehen ist. – Auch in unserer Stadt!
Und daher begrüße ich es sehr, dass wir heute zwei weitere Gedenktafeln enthüllen können.
Die Tafeln zur Information über zwei Zwangsarbeiterlager der Fa. Hensoldt, »Idinglager« und das Lager »Hensoldtstraße«, erinnern daran, dass das Optikunternehmen zur Aufrechterhaltung seiner Produktion während der Zeit des NS-Regimes in recht großen Maße auf Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter angewiesen war.
Denn schließlich gab es neben diesen beiden Lagern weiter drei, in denen Hensoldt Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter untergebracht hatte.
All das beschreibt einen Teil unserer Stadt- und Industriegeschichte.
Dies immer wieder ins Bewusstsein zu rufen ist der Auftrag an unsere Generation und an unsere Stadt.
Daher danke ich dem Verein Wetzlar Erinnert e.V. für sein unermüdliches Engagement und ganz besonders den aktuellen Tafelstiftern, allen voran Herrn Dr. Ullrich Waldschmidt, einem Nachfahren von Moritz Hensoldt, die es mit ihrer Mitwirkung ermöglichen, dass mit dem Erinnern ein Arbeiten an der Zukunft möglich ist.
Denn schließlich gilt das Wort des Philosophen Odo Marquardt, der an der Justus Liebig Universität im benachbarten Gießen lehrte:
»Zukunft braucht Herkunft!«
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herrn!
Wenngleich die Täter, Kommandeure oder deren willfährige Lakaien nicht mehr am Leben sind; wenngleich deren Opfer, die Unsagbares erdulden mussten, immer weniger werden und bald keinen Bericht mehr ablegen werden können; so bleiben doch Zeugnisse der Unmenschlichkeit für uns Gegenwärtige greif- und begreifbar. Es sind die Orte wie die Zwangsarbeiterlager der Firma Moritz Hensoldt und Söhne in Wetzlar, wo diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden.
Solche Orte – in unserer Stadt – alltäglich sicht- und wahrnehmbar, zeigen uns deutlich, wie unglaubwürdig die heuchlerischen Aussagen eines »nichts davon gewusst habens« sind. Diese Orte waren alltäglich für jedermann sichtbar und somit selbstverständlich wahrnehmbar. Mag das Bemühen um kollektives Verdrängen, insbesondere in den Nachkriegsjahren, die notwendigen Auseinandersetzungen mit dem geschichtlichen Erbe und der damit einhergehenden Schuld erschwert haben, so hilft doch das Benennen und Bewusstmachen des Geschehenen, das kollektive Unrecht einzugestehen.
Wenngleich wohl nahezu keiner der heute Lebenden diese Taten persönlich begangen hat, tragen wir doch alle die Verantwortung dafür, solche Verbrechen zukünftig zu verhindern. Die Verpflichtung zur aktiven Gegenwehr gegen extremistisches, faschistisches, menschenverachtendes Denken und Handeln fordert ein solcher Ort des Gedenkens von uns heutigen ein. Es ist noch lange nicht vorbei. Es darf keine Selbstzufriedenheit über Erreichtes geben, solange die Folgen von Unterwerfung, Verfolgung und Vernichtung der Zwangsarbeiter bis in die Gegenwart wirksam geblieben sind: Für die Opfer, die alles verloren haben, sowie die Täter, die zum Teil noch bis heute von materiellen Vorteilen Ihrer Verbrechen profitieren.
Überlebende Zwangsarbeiter mussten mangels Entschädigung mitunter ein Leben am Existenzminimum führen, während Nazi-Schergen und deren Angehörige auskömmliche Pensionen einsteckten. Die westdeutsche Gesellschaft ignorierte nach 1945 in weiten Teilen die individuelle Schuld des Einzelnen an den Verbrechen des Nazi-Regimes und unternahm durch großzügige Entnazifizierungsverfahren den Versuch, ein ganzes Volk straffrei zu halten.
Erst Jahrzehnte später begann der Versuch einer zögerlichen Aufarbeitung.
Es ist noch lange nicht vorbei.
In der Gegenwart scheint deutsches Leben geprägt von der Bereitschaft, sich mit der eigenen Gewaltgeschichte auseinanderzusetzen. Deshalb noch ein paar Gedanken zum Begriff der »Erinnerungskultur«. Während »Erinnerung« auf das Vergangene verweist, steht »Kultur« zu oft für inhaltsleere Ritualisierung. Eine funktionierende Erinnerungskultur hat jederzeit Formen von Abwertung, Diskriminierung und Verfolgung zu thematisieren.
Erinnerungskultur beinhaltet neben der Bewusstmachung vergangener Verbrechen die aktive Verhinderung der Wiederholung neuer Verbrechen. Die aktuell wahrzunehmende Verharmlosung völkischen Denkens ist keinesfalls hinnehmbar.
Erinnerungskultur ist nicht Akzeptanz des Gewesenen oder Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit, sondern aktives Eintreten für Demokratie und Menschenrechte.
Es ist noch lange nicht vorbei.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter des Vereins „Wetzlar erinnert“,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Lokalpolitik,
sehr geehrte Damen und Herren,
heute machen wir einen Teil unserer Geschichte sichtbar, der mit schmerzhaften Erinnerungen verbunden ist, aber nicht vergessen oder gar vertuscht werden darf.
Meine Familie hat selbst bittere Erfahrungen mit Verschleppung gemacht, daher ist es mir auch ein persönliches Anliegen, heute hier zu sein.
Mit der Enthüllung dieser Tafel erinnern wir an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs für das damalige Unternehmen Moritz Hensoldt & Söhne unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. Ihnen verdankte das Unternehmen seinen wirtschaftlichen Fortbestand in den Kriegsjahren.
Die Geschichte der heutigen HENSOLDT AG ist geprägt von Wandel, Innovation und Fortschritt. Doch es gehört zur Verantwortung eines jeden Unternehmens, sich nicht nur mit den Erfolgen der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sondern auch mit den dunklen Kapiteln.
Das Unternehmen Moritz Hensoldt & Söhne ging 1928 an das Stiftungsunternehmen Carl Zeiss.
Die heutige HENSOLDT AG blickt auf eine lange Geschichte zurück. Von Zeiss über EADS und Airbus haben wir immer an der Grenze des technisch und physikalisch Machbaren gearbeitet. Dass wir den Namen Hensoldt tragen, ist Bekenntnis zu Qualität und Innovation, aber zugleich auch Tradition und Verpflichtung sowie historische Verantwortung.
Diese Gedenktafel erinnert uns daran, dass in der Zeit des Nationalsozialismus Millionen von Frauen und Männern entrechtet, ausgebeutet und ihrer Freiheit beraubt wurden.
Auch in unserem Vorgängerunternehmen mussten Zwangsarbeiter unter schwierigen und oft menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten.
Heute gedenken wir ihrer und erinnern uns an die unzähligen Schicksale, welche hinter den Zahlen auf den Gedenktafeln stehen. Möge unser gemeinsames Gedenken ein Zeichen des Respekts sein.
Erinnerung lebt von der Unmittelbarkeit des Erlebten – somit von den Zeitzeugen jener Jahre. Da diese immer weiter schwinden, müssen wir andere Formen der Erinnerung schaffen.
Ich danke hiermit allen, die sich für diese Form der Erinnerung eingesetzt haben.
Wir müssen gemeinsam nach vorne blicken, aber mit dem Bewusstsein, dass unsere Geschichte für jeden von uns auch Verpflichtung bedeutet.
Vielen Dank!
Es gilt das gesprochene Wort
Lieber Landrat Carsten Braun,
lieber Oberbürgermeister Manfred Wagner,
liebe Bundestagsabgeordnete Dagmar Schmidt,
lieber Landtagsabgeordneter Frank Steinraths,
sehr geehrte Damen und Herrn Stadtverordnete und Mitglieder des Kreistages,
sehr geehrter Herr Dr. Waldschmidt,
sehr geehrte Frau Canitz,
lieber Herr Richter,
sehr geehrte Gäste und Ehrengäste!
Die Arbeitsagentur Limburg-Wetzlar unterstützt ausdrücklich die wertvolle Initiative des Vereins »Wetzlar erinnert e. V.«, die – gemeinsam mit den Nachfahren der Familie Hensoldt – durch Wort, aber, so wie man heute erlebt, insbesondere auch durch Tat, das Gedenken an alle wacht hält, die hier in Wetzlar Schreckliches, gar Unmenschliches erlitten und in nicht in seltenen Fällen Verschleppung und Zwangsarbeit mit ihrem Leben bezahlt haben.
Die Agentur für Arbeit Limburg-Wetzlar unterstützt somit das Anbringen einer Gedenktafel zur Erinnerung an das seinerzeit auf dem heutigen Agentur-Gelände befindliche Zwangsarbeiterlager der Firma Hensoldt & Söhne Optische Werke AG. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der regionalen NS-Vergangenheit und zur Würdigung der Opfer, die hier unter Zwang arbeiten mussten.
Als Bundesagentur für Arbeit tragen wir eine besondere Verantwortung, uns mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Die Arbeitsverwaltung im Nationalsozialismus war nicht nur eine Institution der Arbeitsvermittlung, sondern aktiv in das System der Zwangsarbeit eingebunden. Die damaligen Arbeitsämter wirkten an der Rekrutierung, Erfassung und Zuweisung von Millionen von Menschen mit, die unter Zwang in der Industrie, Landwirtschaft und anderen Bereichen eingesetzt wurden. Auch in unserer Region wurden zahlreiche ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter teils grausamen Bedingungen zur Arbeit verpflichtet und ausgebeutet. Diese Vergangenheit mahnt uns, Verantwortung zu übernehmen und uns aktiv für eine demokratische, menschenwürdige Arbeitswelt einzusetzen.
Durch die Unterstützung der Gedenktafel »Iding-Lager« setzen wir somit auch ein Zeichen für unser historisches Bewusstsein. Wir erinnern an das Leid der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und bekennen uns zugleich zur Aufgabe, uns offen mit der Geschichte auseinanderzusetzen und für die Zukunft zu lernen.
Ich bin in Wetzlar geboren und ich bin im Stadtteil Naunheim aufgewachsen. Groß geworden unter anderem im Haus, in dem auch meine Großeltern wohnten. Meine Oma war in der Zeit des Zweiten Weltkriegs allein als junge Mutter eines Kleinkindes, deren Mann im Krieg war. Sie hat mit mir bewusst über diese Kriegszeit gesprochen. Meine Großmutter hat immer gemahnt, sich dafür einzusetzen, dass sich dieser Teil unserer Geschichte nie wiederholen darf. Sie hat mich gelehrt, dass das nicht von alleine geschieht, sondern man sich hierfür einsetzen muss. Dass man Dinge tun muss, um die Erinnerungen aufrechterhalten, dass man darüber aufgeklärt, wie und wodurch Nationalsozialisten damals an die Macht kamen, dass man darüber spricht, welches Unrecht geschehen ist. Dass ich heute und hier mit der Errichtung einer Gedenktafel an unserem Dienstgebäude dazu einen Beitrag leisten kann, empfinde ich als Wert.
Unsere heutige Welt wird immer komplexer und sie wird unsicherer, das kann einen ängstigen, ja. Es gibt auf komplexe Sachverhalte keine durchgängig einfachen Antworten.
Wenn aber nie wieder jetzt sein soll, oder nein, ich möchte es bewusst anders formulieren: wenn nie wieder jetzt sein muss, müssen wir uns als Demokratinnen und Demokraten mit Wort und Tat dafür einsetzen, den populistischen, demokratiezersetzenden Tendenzen Einhalt zu gebieten.
Es gibt Menschen, wie Sie, lieber Herr Richter, die sich in Ihrem Verein »Wetzlar erinnert« aktiv für Demokratiebildung einsetzen. Hierfür mag ich Ihnen und allen Mitwirkenden danken, auch für den Einbezug unsere Nachwuchskräfte in Ihre Veranstaltungen, um zu lernen, zu begreifen und zu hinterfragen.
Unsere Zukunft wird maßgeblich davon abhängen, was wir heute tun, was wir zulassen oder eben auch nicht. Lassen Sie uns die richtigen und die wichtigen Dinge tun und lassen Sie uns diese miteinander tun – vielen Dank!