»Terror an jeder Straßenecke«
WETZLAR ERINNERT enthüllt Gedenktafel an der früheren Buderus-Villa am Hausertor

Damit die Wetzlarer Stadtgeschichte der Jahre 1933–45 vor Ort besser erfahrbar wird, werden unter Federführung des Vereins WETZLAR ERINNERT e.V. an geplanten 20 hier bedeutsamen Handlungsorten Gedenktafeln aufgestellt. Die vierte Tafel in dieser Reihe wurde jetzt an der Grundstücksgrenze der ehemaligen Buderus-Villa im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« am Hausertor angebracht. Neben WETZLAR ERINNERT sind die Stadt Wetzlar, die Firma Bosch (Buderus-Nachfolge), das Haus Aloys (heutige Nutzerin) sowie das Ärzte- und Gesundheitszentrum Hausertor als Stifter beteiligt.

Den gesamten Bericht von Klaus Petri können Sie im nachfolgenden Akkodeon aufklappen, nachfolgend eine Fotostrecke von der Veranstaltung am 11.06.2019 vor der Buderus-Villa.

Ernst Richter begrüßte als Vorsitzender von WETZLAR ERINNERT e.V. die erschienenen Gäste und erläuterte die Historie der im klassizistischen Stil erbauten Villa. Sein besonderer Gruß galt der 1934 geborenen Wetzlarerin Gisela Jäckel, die zusammen mit ihrer Schwester noch im Frühjahr 1945 als „jüdische Mischlingskinder“ auf Abtransport zur Vernichtung gehen sollten. Das entsprechende Dokument fanden die amerikanischen Befreier in der damaligen NSDAP-Parteizentrale und gaben der betroffenen Familie Best Kenntnis davon.

Vom gleichen Ort aus hatte Kreisparteileiter Wilhelm Haus, ein aus Biebertal stammender vormals arbeitsloser Bergmann, in den letzten Kriegstagen auch den Lynchmord an dem Wetzlarer Bürger Jakob Sauer angeordnet, der eine weiße Fahne mit der Aufschrift »Wir sind keine Nazis, verschont unsere Stadt!« angebracht hatte. Richter hob hervor, dass der verbrecherische Charakter des Nazi-Regimes nicht nur an Auschwitz und Treblinka festzumachen sei, sondern dass »an jeder Straßenecke, in jedem Betrieb Diskriminierung, Terror, Entrechtung und Entwürdigung an der Tagesordnung war«.

Wetzlars Oberbürgermeister Manfred Wagner (SPD) dankte den Initiatoren für ihr ehrenvolles Engagement »beim Bohren dicker Bretter« und lobte die mit Internet-Codes versehenen Tafeln als ausgezeichnete Möglichkeit, anschaulich und fundiert geschichtliches Wissen zu erwerben. Dass aus einem repräsentativen Gebäude mitten in der Stadt darüber entschieden wurde welches Leben »wertvoll« und welches »unwert« sei, dürfe sich nie wiederholen, mahnte das Stadtoberhaupt.

Oliver Barta, Standortleiter von Bosch Thermotechnik Wetzlar, zollte den damaligen Hitlergegnern Respekt für ihren mutigen Widerstand und informierte, dass die Firma Buderus in 2000 der »Stiftungsinitiative der Wirtschaft« beigetreten sei. Gabriele Scholz ist Inhaberin der Fa. SCHOLZ Immobilien und seit 2004 Eigentümerin des Gebäudes: »Ich freue mich über die Initiative, an diesem geschichtsträchtigen Ort ein Mahnmal zu errichten. Das dient der Aufklärung und ergänzt auf sinnvolle Weise das geschichtliche Wissen, was andernorts gelehrt und erworben wird«.

Songül Gül sprach als Geschäfts- und Heimleiterin des Alten- und Pflegeheims »Haus Aloys«, wo heute an Demenz erkrankte Menschen betreut werden:

»Wir merken in unser pflegerischen Arbeit jeden Tag, dass nicht die Zugehörigkeit zu einer Nation oder Religionsgemeinschaft bedeutsam für das menschliche Miteinander ist. Es kommt auf die Würde des einzelnen Menschen an. Ein liebevoller und respektvoller Umgang miteinander sollte das gemeinsame Ziel sein«.

Im Anschluss an die Tafel-Enthüllung gab es bei Snacks, Kalt- und Warmgetränken noch Gelegenheit zum Gedankenaustausch.

Buderus-Villa – ein geschichtsträchtiger Ort

Die Villa war ab 1887 Direktorenwohnung und später Gästehaus der Firma Buderus. Von 1933 bis 1945 war sie Ort der NSDAP Kreisleitung und weiterer Organisationen des NS-Staates. Der offizielle Name lautete zu dieser Zeit »Adolf-Hitler-Haus«. Im Volksmund sprach man vom »Braunen Haus«. Nach der Befreiung Wetzlars am 29. März 1945 nutzten die Amerikaner das Anwesen für ihre Militärverwaltung. Ab nun sprachen die Wetzlarer vom »Weißen Haus«. Später gaben die Amerikaner das Haus an Buderus zurück. Heute ist die Villa ein Alten- und Pflegeheim.